Tue Dec 04 12:35:41 CET 2007 | Druckluftschrauber2011 | Kommentare (14) | Stichworte: Gesellschaft, Zivilcourage
Wie sicher viele/alle bereits gehört haben, kam es am Samstag zu übergriffen in Magdeburg. Dort wurde eine 20 jährige schwangere Frau aus dem Irak massiv angegriffen. Sie wurde in einem vollbesetzten Stadtbus mitten am Tag beleidigt und geschlagen. Diverse rechts motivierte Parolen hagelten auf die Frau und ihre Begleiten nieder, bevor auch Schläge auf sie hagelten.
Man beachte eine schwangere 20 jährige Frau mit einem Kinderwagen!!!
Gleiche Stadt – andere Situation!
In der Nacht zum Ersten Advent waren in der Innenstadt drei Männer und eine Frau attackiert worden. Drei Männer hatten zunächst ausländerfeindliche Parolen skandiert, die Afrikaner angerempelt und dann zugeschlagen - offenbar vor zahlreichen Schaulustigen. Im Laufe der Auseinandersetzung hätten sich noch mindestens drei weitere Angreifer hinzugesellt. Ein Passant habe die Polizei alarmiert. Ein herbeigeeilter Polizist wurde ebenso verletzt wie zwei der Afrikaner. Die Angreifer konnten entkommen.
Da stelle ich mir die Frage, ob es noch so etwas wie Zivilcourage gibt. Auf der anderen Seite frage ich mich selbst, ob ich dort aktiv versucht hätte, diese Situation zu schlichten. Hätte ich mich mehr getraut, als nur die Polizei zu rufen?
Ich stelle mir aber auch die Frage, warum in solch Situationen sich nicht einfach diverse Leute zusammenschließen können? Geschieht dies aus Billigung dieser Übergriffe oder ist es Angst/Selbsterhaltungstrieb? Kann man es eher akzeptieren zu sehen, dass ein Mensch dort offensichtlich politisch motiviert attackiert wird als selbst etwas abzubekommen?
Ich stelle mal die Frage: Ist man Mitschuld an dieser Tat, wenn man nichts aktiv dagegen tut? |
Tue Dec 04 12:58:10 CET 2007 | rallediebuerste
Meine Vermutung: Die Billigung geschieht zu 50% aus Angst. 15% sind "geschieht dem Ausländer ganz recht" und 35% "mir doch egal - kenn den eh nich."
Aber deine letzte Frage kann ich sonnenklar beantworten: Sowohl Gesetz als auch Moral sowie der gesunde Menschenverstand sind der Meinung, dass du etwas gegen eine solche Tat tun musst. Das bedeutet natürlich (für alle drei) nicht, dass du dich selbst dafür in Gefahr bringen musst... ein Anruf bei der Polizei ist also das mindeste.
Und ob ich jetzt aktiv eingreife oder nicht... das kommt halt immer drauf an: wenn ich 100kg Muskelmasse bin und zwei ebenfalls entrüstete Bodybuilder im "Publikum" sehe, während die Angreifer nur 2 Hänflinge sind - feste drauf (Manchmal kann man sich das Schlichten einfach sparen)!
Bin ich der Hänfling, und die vier Angreifer sehen nicht nur aus wie Arnie in Terminator2, sondern sind auch so schwer bewaffnet... dann duck ich mich lieber - so fies das dann für das Opfer ist.
Aber wenn hier von einem vollbesetzten Bus die Rede ist gehe ich mal davon aus, dass schon etwas mehr Zivilcourage vonnöten gewesen wäre... 50/30/20 halt
Tue Dec 04 13:18:36 CET 2007 | Druckluftschrauber2011
Ich denke auch, dass vor allem in diesem Bus jemand etwas hätte sagen können, wenn nicht sogar müssen. Genau dort in diesem Bus kann niemand behaupten, dass er es nicht gesehen oder registriert hat.
Es ist wenige Meter von einem entfernt und da MUSS man schon fast eingreifen – wenn man die eigene Gesundheit nicht extrem gefährdet.
Mir fällt gerade ein Kurs ein den ich einmal mitmachen durfte, bei dem es genau um solch eine Situation ging. Da habe ich den bösen Nazi gespielt, der eine Ausländerin vollpöbeln sollte(ich sollte auf niemand sonst eingehen). Eine weitere Kursteilnehmerin sollte versuchen mich von ihr abzulenken. Sie sprach mich immer wieder direkt an, als ich versucht habe meine Aufgabe zu erfüllen. Ich hatte keine Chance, mich um „die Ausländerin zu kümmern“
Mein Fokus richtete sich komplett auf die Person, die sich mit mir auseinander gesetzt hat.
Man sieht also, dass ein Einmischen mit Worten ausreicht, um einen Menschen aus der Klemme zu helfen. Zumal die Kursteilnehmerin extrem Selbstbewusst aufgetreten ist, was einen gewissen Grad an Respekt geschaffen hat.
Aber ich denke du hast das schon recht richtig erkannt Ralle. Wenn man sich sicher sein kann, dass von dem Täter für einen selbst keine Gefahr ausgeht, dann sollte man eingreifen. Vielleicht dann auch mal Gleichen mit Gleichem bekämpfen.
Man muss es wohl abwägen, was man riskiert.
Am besten ist es wohl zu interagieren, bevor die Situation unkontrollierbar wird. Eine Gruppe entwickelt ja recht schnell eine ungemeine Dynamik und so fängt es mit Worten an dann wird geschupst und dann als letzter Schritt halt geschlagen oder eben auch getreten.
In der Situation, wo „nur“ Worte fallen, kann man wohl noch am ehesten regulierend eingreifen ohne Gefahr zu laufen, ein Opfer von Gewalt zu werden.
Tue Dec 04 16:26:07 CET 2007 | rallediebuerste
das ist wahr... aber genau an diesem punkt ist die hemmschwelle zum eingreifen noch viel höher, weil ja "nur" ein paar böse wörter fallen.
Tue Dec 04 20:45:21 CET 2007 | Kurvenräuber136602
schwierig, schwierig ... bei der DLRG lernt man zuerst die Selbstsicherung, bevor man einen Menschen vor dem Ertrinken rettet. So muss es auch hier sein. Es kann nicht verlangt werden, dass Personen, die dazu nicht in der Lage sind, den "Helden" spielen. In diversen Lehrgängen wird immer wieder gelehrt, dass Öffentlichkeit herzustellen ist. Lautes um Hilfe bitten, direktes Ansprechen von "stark" aussehenden Personen u.s.w. --- wenns hilft ...
Ich meine, dass das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Da konnte sich nach der "Wende" eine Subkultur im Osten bilden, die von vielen "anständigen" Bürgern heimlich begrüßt wird. Alles was fremd ist muss raus, muss weg, weil die uns unsere Arbeitsplätze klauen und Sozialschmarotzer sind. Da hat die Politik versagt. Wer jahrelang Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt keine Chance gibt, die Leute verelenden lässt, 30% Arbeitslosigkeit zulässt, darf sich nicht wundern, wenn solche Subkulturen (seien es rechte Schläger oder arabische Straßengangs) entstehen. Die sollen eines Tages meine Rente erarbeiten .... ick gloob nich dran.
Wed Dec 05 08:54:56 CET 2007 | Druckluftschrauber2011
Da gebe ich dir völlig Recht. Man sieht, es ist nicht so einfach zu definieren, wann man eingreifen muss.
Das in den neuen Bundesländern eine Subkultur entstanden ist, liegt wohl auf der Hand. Aber ich würde die Übergriffe nicht einzig und allein darauf schieben. Immerhin hat sich nicht einmal 2 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands der schlimmste Ausländerfeindliche Übergriff auf deutschem Boden nach dem 2 Weltkrieg in Rostock zugetragen. Im August 1992 wurde ja das Sonneblumenhaus attackiert bzw. deren Bewohner.
Ich denke nicht, dass 2 Jahre reichen, um eine Subkultur entstehen zu lassen.
Liegt wohl eher an anderen Gründen. Perspektivlosigkeit ist wohl einer der Hauptgründe. Mangelndes Wissen bzw. mangelnde Aufklärung tragen ihren Rest dann dazu bei. Anders sind mir Sätze wie „Alles was fremd ist muss raus, muss weg, weil die uns unsere Arbeitsplätze klauen und Sozialschmarotzer sind“ nicht zu erklären.
Solche Sätze zeugen für mich von Unwissenheit und von Dummheit der Menschen. Das es Menschen gibt, die nach Deutschland kommen und sich hier in dem sozialen Netz suhlen steht außer Frage. Das soll jetzt auch nicht ausländerfeindlich klingen.
Denn die machen nix anderes, als genügend Deutsche, die ebenfalls noch nicht einen Cent Lohnsteuer abgegeben haben.
Beide leben hier, beide haben das Gleiche „geleistet“, also bekommen beide Gruppen auch das, was ihnen eben zusteht. Wie man darüber denkt, muss wohl jeder für sich entscheiden. Das man dieses Denken aber an der Herkunft ausmacht ist ganz großer Mist.
Der Ausländer nimmt mir nämlich nicht die Arbeit weg. Er ist wahrscheinlich besser qualifiziert bzw. fleißiger als ich und wurde daher berücksichtigt.
Da fällt mir gerade noch etwas ein.
Man müsste vielleicht einmal die genauen Gründe für Ausländerfeindlichkeit erläutern. Immerhin gab es auch bereits in der DDR zahlreiche Neonazis. Zwar wurde ihre Existenz weitestgehend geheim gehalten aber es gab sie halt.
Perspektivlosigkeit usw. gab es ja nicht wirklich. All die Gründe, die wir bisher benannt hatten fallen dort weg. Trotzdem gab es Leute mit dieser Gesinnung.
Komisch! Warum?
Wed Dec 05 09:25:09 CET 2007 | Spiralschlauch10251
Wed Dec 05 10:27:04 CET 2007 | Druckluftschrauber2011
Ob nun Links oder Rechts. Sobald dort das Wort „Radikalismus“ dazu kommt, ist es eh nicht mehr mit meinen Gesellschaftsvorstellungen kompatibel.
Ich danke für die Erläuterung, aus welchem Hintergrund sich dieses Gedankengut auch bilden kann. So weit habe ich gerade gar nicht gedacht, wenn ich ehrlich sein soll…
Man bin ich manchmal doof und begrenzt in meinem Denken.
Wed Dec 05 22:03:29 CET 2007 | Kurvenräuber136602
Im Grunde wurden die Menschen in der DDR von einer Diktatur 1933-1945 in die nächste Diktatur 1949-1990 geführt. Da blieb keine Zeit, Demokratie zu lernen, zu erleben. Deshalb verwundert es auch nicht, dass es rechte Gesinnung auch in der DDR gegeben hat. Viele Ost-Karrieren sind 1990 einfach zusammengebrochen. Die Kinder wurden geprägt von ihren Eltern. Rostock hatte die höchste Arbeitslosigkeit der Republik mit über 30%. Da wirste einfach blöd im Kopp - dagegen kann man kaum was machen.
So schlimm wie sich das anhört, aber mit dem Finger auf den einzelnen Täter zeigen und den Typen wegsperren, ist zu kurz gesprungen. An den Fehlern und Versäumnissen nach der Wende werden wir noch Jahrzehnte zu knabbern haben - und das hat nichts mit "mehr Geld" zu tun.
Thu Dec 06 14:24:09 CET 2007 | Forddietunwas
Hallo!
Ich bin der Meinung, das man als erwachsener(Frauen und Kinder ausgenommen) da einfach eingreifen muss.
Natürlich kann man von niemandem erwarten, der nicht in der Lage ist da etwas zu tun, einzugreifen.
Aber es gibt doch genug Leute die da hätten eingreifen können.
Zivilcourage sollte für uns alle selbstverständlich sein.
gruß Fdtw
Thu Dec 06 15:23:03 CET 2007 | rallediebuerste
sollte... ja.
Interessanterweise greifen oftmals die ein, denen man's eher nicht zutrauen würde... die Kleiderschränke gucken weg und die alte Oma und der Assipunk gehen dazwischen. Habe ich jedenfalls oft so beobachten können.
Und um die Angst ein wenig zu mildern: Meine Erfahrung zeigt: Sobald einer anfängt dazwischenzugehen, besinnen sich andere ihres Gewissens und helfen ebenfalls.
Thu Dec 06 16:31:17 CET 2007 | Druckluftschrauber2011
Es muss halt bloß einer „Eisbrecher“ spielen. Dieses menschliche Verhalten wird ja auch bei Kaffeefahrten genutzt. Wenn der erste die Töpfe kauft, dann kaufen es auch genug andere. Es muss halt nur der erste den Schritt machen.
Da hast du wohl leider recht.
Ich bin mal gespannt, wie sich das „hier“ noch entwickeln wird.
Obwohl ich persönlich das Empfinden habe, dass zumindest in Cottbus die Anzahl der Klischee Faschos abgenommen hat.
Hier geht das alles mehr in die Richtung „Berliner Gangsta“. Braungebrannt, breit gepumpt, Kampfsport und immer bereit jemanden zusammenzuschlagen.
Meist in Gruppen und sowieso in Vereinigungen.
Früher gab es viel mehr mit Parolenshirts, Springerstiefeln, Alphajacken, und Glatze.
Obwohl ich auch schon bei Hausbesuchen Reichskriegsflaggen an Wänden habe hängen sehen und erst neulich schwenkten ein paar Jugendliche eines Abends eine Fahne schwarz/weiß/rote Fahne in einer Bushaltestelle, die ich passiert habe.
Drive by shooting Gedanken schnell verworfen und mir mein Teil dazu gedacht.
Forddietunwas hat schon ganz recht.
Zivilcourage sollte für uns alle selbstverständlich sein.
Mon Dec 17 10:33:21 CET 2007 | Antriebswelle48531
Sozialcourage hin, Eigenverantwortung her: Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Staatsmacht auf dem rechten Auge auch, aber nicht nur in diesem östlichen Teil Deutschlands sehr blind ist. Die freie Meinungsäußerung ist was Feines, aber bestimmte Sachen (wie zum Beispiel Hakenkreuz und Reichskriegsflagge) werden von unserer Rechtsprechung nicht geduldet. Viele Herren in Grün (bzw. bald blau) jedoch gerieren sich sehr stark als Verteidiger von RechtS und Ordnung. Das erinnert mich an den Punk, der ein durchgestrichenes Hakenkreuz ("gegen rechts") auf die Jacke aufgenäht hat und den ein Polizist dann versucht hat wegen zurschaustellens faschistischer Symbole zu belangen. Das ging vor Gericht und ist ein Musterbeispiel für die Idiotie mancher Beamter.
Daneben sollte man auch nicht außer Acht lassen, dass das Kernproblem in der völlig misslungenen (und auch selten versuchten) Integration von ausländischen Mitbürgern zu suchen ist. Da wir sie nicht integrieren, suchen sie sich ihre eigenen Identitäten. Nicht deutsch ("wir" akzeptieren sie ja nicht), aber auch nicht türkisch (kurdisch, iranisch, albanisch etc.), denn da sind sie nicht geboren, sprechen oft die Sprache nicht richtig etc.
Das Ergebnis ist eine verlorene Generation von Zuwandererkindern. Und wenn das jetzt auf eine genauso verlorene Generation von "Einheimischen" in der Tristesse so mancher neudeutscher Plattenbausiedlug trifft, dann haben wir den Salat.
Und das noch Jahrzehnte lang, denn diese verblendeten Idioten auf beiden Seiten sind erst 20 / 30 Jahre alt, die bleiben uns noch locker 50 Jahre erhalten...
Passt auf Eure Kinder auf, wenn wir alle nur "vernünftige" Kinder erziehen werden die die Welt irgendwann mal zu einem besseren Platz machen. Und mit "wir" meine ich alle Nationalitäten und Religionen.
Sat Jan 12 14:35:16 CET 2008 | Druckluftschrauber2011
Schön auch, dass diese Symbole, wegen denen er angezeigt worden ist auch in den Stadien der WM 06 hingen.
Ganz offiziell und daran hat sich dann auch niemand gestoßen.
Schon sehr merkwürdig das ganze.
Mon Sep 14 09:42:33 CEST 2009 | Trackback
Kommentiert auf: Halbgott:
Was für ein Wochenende: Gewalt, Unkenrufe, Aufschreie und sogar Politik
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Der Tod eines Mannes bei dem Versuch anderen zu helfen und Zivilcourage zu zeigen? Oder vielleicht doch die populistische Scheiße der CSU nach härteren Strafen. Wobei denen [...]
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