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Interview: Ein Gespräch mit einem Unfallchirurgen - "Das Risiko zu sterben steigt mit der Geschwindigkeit"

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Auf deutschen Straßen sterben ein paar tausend Menschen pro Jahr. Wer das Krankenhaus lebend erreicht, überlebt meistens. Ein Gespräch mit Unfallchirurg Uli Schmucker.

In Deutschland ist in den vergangenen Jahren die Sterblichkeit von Schwerletzten stark zurückgegangen In Deutschland ist in den vergangenen Jahren die Sterblichkeit von Schwerletzten stark zurückgegangen Quelle: Picture Alliance / AOK / DGU

Berlin - In den vergangenen 20 Jahren ist die Sterblichkeit von schwer verletzten Unfallopfern von 20 auf 10 Prozent gesunken, sagt die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Wir haben mit dem Unfallchirurgen Uli Schmucker (40) über Unfälle, Verletzungen und die Autoindustrie gesprochen.

MOTOR-TALK: Herr Schmucker, Sie sind Unfallchirurg, welche schweren Verletzungen sehen Sie nach Verkehrsunfällen am häufigsten?

Schmucker: Bei Verletzungen mit tödlichem Ausgang sind Kopfverletzungen die mit großem Abstand häufigste Ursache. Danach folgt der Brustbereich mit Verletzungen, die sehr schwer und teilweise lebensbedrohlich sein können. Zahlenmäßig am häufigsten treten Verletzungen der Beine auf. Sie sind zwar nicht immer lebensbedrohlich, haben aber oft eine Behinderung zur Folge.

MOTOR-TALK: Kann ein Gurt zu Verletzungen führen?

Schmucker: Es ist wichtig, dass Gurt und Airbag zusammenwirken. Ein Airbag ohne Gurt ist eher schädlich als nützlich, da man zu schnell und zu früh auf das Luftkissen knallt. Es stimmt, der Gurt kann Verletzungen im Bereich der Rippen und Lungen hervorrufen. Doch man muss diese Verletzungen mit denen vergleichen, die man unangeschnallt erlitten hätte. Ohne Gurt können Sie sich nicht einmal bei einem Aufprall mit 10 km/h selbst abstützen.

MOTOR-TALK: Manche Menschen sehen aber sehr mitgenommen aus, wenn sie mit einem Airbag kollidiert sind?

Schmucker: Das stimmt. Aber ein Airbag verhindert, dass Sie sich schwer am Kopf verletzen. Dafür muss man mögliche Verletzungen im Brustbereich in Kauf nehmen, die aber in aller Regel deutlich weniger schwer sind.

MOTOR-TALK: Warum und wie kommt es zu den tödlichen Kopfverletzungen?

Schmucker: Der klassische Unfallmechanismus ist, dass der Kopf gegen einen Teil des Fahrzeugs stößt, beispielsweise gegen die A- oder B-Säule. Bei modernen Fahrzeugen sind das extrem harte Werkstoffe, hochfeste Stähle. Wenn man mit dem Kopf da gegen knallt, sind schwere Verletzungen der Regelfall. Bei einem Frontalaufprall kann das gesamte Armaturenbrett samt Lenkrad in Richtung des Fahrers gedrückt werden. Das ist eine hochgefährliche Situation.

MOTOR-TALK: Hat sich die Art der Verletzungen in den vergangenen Jahren verändert?

Wenn Sie die vergangenen drei Jahre betrachten, hat sich wenig verändert, in den vergangenen 20 Jahren dagegen viel. Das hat damit zu tun, dass sich die Sicherheit der Fahrzeuge verbessert hat, aber auch die medizinische Versorgung - vom Unfallort bis hin zum Krankenhaus.

MOTOR-TALK: Was meinen Sie damit?

Schmucker: Einerseits gibt es bei Pkw-Unfällen generell weniger Kopfverletzungen, weil immer mehr Autos einen Airbag haben. Andererseits ist die Zahl der Fußverletzungen gestiegen, da die Autos schwerer und stabiler werden. Die Autoindustrie konzentriert sich bei der Insassensicherheit auf die lebenswichtigen Reserveräume für Kopf, Brust und Bauch, das geht auf Kosten des Fußraums. Etwas vereinfacht gesagt erkauft man sich den Raum im Bereich der Brust und des Kopfes mit dem Bereich der Füße.

MOTOR-TALK: Welche Geschwindigkeiten und Kräfte kann ein menschlicher Körper aushalten?

Schmucker: Das kommt darauf an, wie abrupt der Mensch abgebremst wird, und auf den Menschen selbst. Ein 20-Jähriger hält in der Regel mehr aus als ein 85-Jähriger. Außerdem kommt es darauf an, ob die Kraft flächig oder punktuell einwirkt. Aus diesem Grund gibt es keinen festen Wert. Theoretisch kann man einen Unfall mit 150 km/h überleben.

MOTOR-TALK: Kann ich auch bei 10 km/h sterben?

Schmucker: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Doch das Risiko zu sterben steigt mit der Geschwindigkeit, ganz klar. Tempo ist der wichtigste Risikofaktor für eine tödliche oder sehr schwere Verletzung.

MOTOR-TALK: Wie viele Menschen schnallen sich nicht an?

Schmucker: Die bundesweite Anschnallrate liegt bei über 90 Prozent. Das ist eine schöne Zahl. Aber: Von den Schwerverletzten und Toten waren nur 50 oder 60 Prozent angeschnallt. Das heißt: Menschen, die sich nicht anschnallen, haben ein deutlich höheres Risiko zu sterben.

MOTOR-TALK: Was müssen Eltern beachten, die mit ihren Kindern unterwegs sind?

Schmucker: Bei Kindern ist das richtige Rückhaltesystem das A und O. Bei der Wahl des richtigen Sitzes helfen Vergleichstests von ADAC oder Stiftung Warentest. Ganz wichtig ist allerdings auch, wie der Sitz befestigt ist. Hier sind manche Eltern zu schlampig oder wissen gar nicht, wie sie den Sitz richtig befestigen. Deshalb empfehle ich allen Eltern das standardisierte System „Isofix“.

MOTOR-TALK: Was wünschen Sie sich von der Autoindustrie?

Schmucker: Meiner Meinung nach sollten sicherheitsrelevante Systeme wie automatische Bremssysteme, ein Toter-Winkel-Assistent für Lkw oder ABS fürs Motorrad nicht mehr nur in der Oberklasse, sondern in allen Klassen eingebaut werden. Und zwar zu realen Preisen. Für den Fahrer eines 50.000 Euro teuren Oberklassewagens sind 2.000 Euro nicht entscheidend, für einen Studenten schon.

Daten zu Uli Schmucker

Uli Schmucker (40) ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er arbeitet seit 10 Jahren als Unfallchirurg und seit 2 Jahren für die AUC - Akademie für Unfallchirurgie. Gleichzeitig ist er als Beauftragter für Verkehrssicherheit und Unfallprävention bei der DGU - Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. tätig.

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