Ein Erdgasauto explodiert beim Tanken. Vier große Kraftstoffketten stoppen daraufhin den Verkauf von Erdgas. Die Schuldfrage bleibt offen. Hier sind alle Details.
Quelle: Arne Bänsch, dpa/Picture Alliance, Shell, Jet, Total, Esso, Aral
Berlin – Der Unfall vom vergangenen Freitag war nicht das erste Unglück an einer Erdgas-Säule. Aber er löste eine Diskussion aus: Nachdem am 9. September 2016 im niedersächsischen Duderstadt der Fahrer eines VW Touran bei einer Explosion schwer verletzt wurde, empfiehlt der Tankstellenbetreiber Aral einen Verkaufsstop für Erdgas. MOTOR-TALK berichtete. Fast alle Nachrichtenwebseiten und Nachrichtensendungen im TV griffen das Thema auf. Die Konkurrenten Shell, Esso und Jet folgen der Aral-Empfehlung. Damit verkaufen vier der sechs größten Tankstellenketten in Deutschland derzeit kein Erdgas. Doch wie kam es zu diesem Unglück? Wo liegt die Schuld? Wann können wir wieder Erdgas tanken? Welche Autos wurden zurückgerufen? Was sagen die Tankstellenbetreiber dazu? Lest hier den aktuellen Stand zur Erdgas-Thematik. Der VW Touran und sein Rost-Problem an den Erdgas-TanksSeit 2010 sprechen MOTOR-TALKer über Rost an den Erdgastanks des VW Touran. 2012 bestellte VW erstmals 6.700 Fahrzeuge in die Werkstatt. Der Hersteller sprach damals von Qualitätsproblemen. 2016 folgte ein zweiter Rückruf. Am 1. Juni gab VW bekannt, dass weltweit 5.900 Fahrzeuge der Baujahre 2005 bis 2009 in die Werkstatt müssen, 3.900 davon in Deutschland. Die Gasflaschen könnten durch Rost beschädigt sein. VW wies die Besitzer darauf hin, bis zur Reparatur ihrer Fahrzeuge kein Erdgas zu tanken. Die Begründung in der offiziellen Stellungnahme: „Eine reduzierte Wandstärke der Gasflaschen durch Korrosion kann zum Bersten eines Gastanks und so zu einer erheblichen Verletzungsgefahr führen.“ Ein Erdgas-Auto kann in der Regel auch nur mit Benzin gefahren werden. Der deutlich kleinere Benzintank reicht aber nur für kurze Strecken, Fahrer eines solchen Fahrzeuges müssen dann besonders oft tanken. Entgegen anderer Berichte ist derzeit noch nicht bekannt, was genau beim Unfall in Duderstadt passiert ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Vermutlich ist ein Tank geborsten. Es könnte sich auch um einen Defekt an der Leitung handeln, außerdem um menschliches Versagen oder eine Fehlfunktion der Erdgastankanlage. Bisher wissen wir: Der zerstörte Touran ist vom aktuellen Rückruf betroffen. Auf Nachfrage von MOTOR-TALK sagte ein Sprecher, dass dieses Fahrzeug laut internen Unterlagen noch nicht repariert wurde. Haben andere VW-Modelle Probleme mit Erdgas-Tanks?Zeitgleich zum Erdgas-Rückruf startete bei VW eine Service-Aktion. Der Hersteller wollte Tanks von insgesamt 35.000 VW Caddy, Passat und jüngeren Touran kontrollieren und gegebenenfalls kostenlos austauschen. Generell bestehe bei diesen Modellen keine Gefahr. Bei Passat und Caddy sind die Tanks laut VW durch eine andere Einbauposition besser vor äußeren Einflüssen geschützt. Bei jüngeren Touran-Modellen habe der Hersteller bereits den Korrosionsschutz verbessert. Beim Rückruf der alten Fahrzeuge tauscht VW die gefährdeten Tanks gegen eine neue Version. Am Material des Tanks selbst habe sich nichts geändert. Sie seien jedoch mit einem neuen, beständigen Lack beschichtet. Aktuell bietet VW die Modelle Golf (Limousine und Variant), Up und Caddy (Pkw und Kastenwagen mit kurzem und langem Radstand) mit Erdgasantrieb an. Bei ihnen soll es keine Probleme geben. Im August 2016 verkaufte VW 83 Fahrzeuge mit CNG-Tanks. Insgesamt tragen die meisten Erdgas-Fahrzeuge in Deutschland ein VW-Logo. Erdgas-Fahrzeuge in DeutschlandNeben VW bieten derzeit Fiat, Mercedes, Opel, Seat und Skoda Fahrzeuge mit Erdgas-Antrieb an. Bei diesen Fahrzeugen sind keine erhöhten Risiken bekannt. Der „Zukunft Erdgas e.V.“ schreibt in einer Stellungnahme: „Das Tanken von CNG ist für alle nicht von der Rückrufaktion betroffenen Fahrzeuge auch weiterhin bedenkenlos möglich. Es ist davon auszugehen, dass alle CNG-Tankstellen kurzfristig von den Mineralölunternehmen wieder freigegeben werden.“ Grundsätzlich stelle das Fahren mit bzw. Tanken von Erdgas kein Risiko dar. Die Unfallgefahr sei gegenüber Benzin- oder Dieselantrieben nicht erhöht. Es handele sich um einen unglücklichen Unfall. Die Zukunft von CNG sei nicht gefährdet. Auf Nachfrage von MOTOR-TALK sagte ein Sprecher: „Erdgas ist sicher.“ Er ergänzte jedoch, dass Rückrufe wie beim Touran sofort umzusetzen seien. Das sagen die TankstellenkettenDer Vorfall in Duderstadt hat trotzdem dramatische Folgen. Aral empfahl seinen Pächtern, den Verkauf von Erdgas an allen 192 Standorten mit CNG-Säulen einzustellen. Shell (58 Stationen), ExxonMobil (Esso, 84 Stationen) und Jet (keine Angabe) zogen nach. Wenn alle Pächter der Empfehlung folgen, sind insgesamt fast 40 Prozent von insgesamt 900 CNG-Säulen ohne Funktion. Betroffen sind rund 100.000 Besitzer von Erdgas-Fahrzeugen. Sie müssen auf andere Tankstellen ausweichen oder Benzin tanken. Das soll nur eine Übergangslösung sein. Auf Nachfrage von MOTOR-TALK erklärte eine ExxonMobil-Sprecherin, man müsse die Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaft abwarten. Es sei sicherzustellen, dass der Unfall nicht durch die CNG-Säule verursacht wurde. In diesem Fall müssten die Säulen repariert oder überarbeitet werden. Liegt es am Auto oder an menschlichem Versagen, öffnen die Tankstellen sofort wieder den Erdgas-Hahn. „So ein Vorfall darf sich nie wieder ereignen“, ergänzte die Sprecherin. Die Tankstellenkette Total reagiert weniger vorsichtig. Alle 90 betroffenen Filialen sind angewiesen, die Erdgasanlagen zu sperren. Kunden mit Erdgasfahrzeugen können sie vom Tankstellenpersonal wieder freischalten lassen. Das geschieht allerdings nur, wenn das Fahrzeug nicht vom großen Rückruf betroffen ist oder bereits repariert wurde. Die Tankstellenkette Avia prüfe derzeit, inwieweit ein Verkaufsstopp an 33 Erdgasstationen sachdienlich ist. Die Entscheidung werde kurzfristig fallen. Warum Erdgas?2014 nannte VW Erdgas die „dritte Säule“ im Antriebsprogramm. Nach Benzin und Diesel sollten Verbrenner des Konzerns mit Compressed Natural Gas (CNG), also Erdgas, fahren. Der Gaskraftstoff kann langfristig viel CO2 einsparen. Verglichen mit einem Benziner stößt ein CNG-Fahrzeug 25 Prozent weniger CO2 aus. Mit Bio-Gas werden es sogar 30 Prozent. Zudem wird der Kraftstoff staatlich subventioniert. CNG kostet also weniger als Benzin oder Diesel. Besonders wichtig: Erdgasfahrzeuge sind nicht von fossilen Vorkommen abhängig. VW-Tochter Audi synthetisiert Erdgas aus Wasserstoff und CO2. Mit dem sogenannten „E-Gas“ fährt der (aktuell nicht erhältliche) A3 G-Tron CO2-neutral. Aus diesem Grund hat sich der VW-Konzern gegen die Alternative LPG (Liquified Petroleum Gas, „Autogas“, fast 500.000 Fahrzeuge in Deutschland) und für CNG entschieden. |