Behält die Autobranche die Kontrolle über das Auto, oder liefert sie bald nur noch die Hardware für Silicon Valley? Die Branche kämpft um die Kontrolle über ihr Produkt.
Frankfurt/Main - Auf der IAA in Frankfurt stehen die neuen Modelle der Autohersteller im Scheinwerfer-Licht, doch es mischen sich Sorgen in die Stimmung der Branche. Es sind nicht nur die Turbulenzen im wichtigen Riesen-Markt China. Es bahnt sich ein Umbruch an, wie es ihn lange nicht mehr gab. „Die Wertschöpfungskette war früher einfach: Es gab Hersteller, Zulieferer, Händler“, sagt Branchenexperte Axel Schmidt von der Unternehmensberatung Accenture. „Jetzt entsteht ein Ökosystem, das kein Hersteller alleine beherrschen kann.“ Schuld an dieser Unsicherheit sind die die Ambitionen der IT-Konzerne. Google arbeitet seit Jahren an Technik für selbstfahrende Fahrzeuge. Uber, eines der reichsten Start-ups, forscht an Roboter-Autos. Apple entwirft angeblich ein Elektro-Auto. Auch Sony denkt darüber nach. „Der Wettlauf um die Mobilität der Zukunft ist extrem hart, eine Erfolgsgarantie gibt es für niemanden“, sagte Volkswagen-Chef Martin Winterkorn im Frühjahr. Man könne sich eine Zukunft vorstellen, in der die Autoindustrie die Fahrzeuge baut – „aber das Gehirn kommt von einem Apple oder Google“, betont Schmidt. Davor habe die Branche zu Recht Angst. „Und dieser Erkenntnisprozess ist inzwischen eingetreten.“ Apple und Google wollen keine Autos bauenQuelle: dpa/Picture AllianceWährend die Autobosse bisher bei Fragen nach einer Gefahr aus dem Silicon Valley eher abwinkten, streckte Daimler-Chef Dieter Zetsche nun den IT-Riesen die Hand aus. „Eine Option könnte sein, dass die Autos in einem Joint Venture entstehen und wir diese dann bauen, sagte er in einem Interview. „Aber ich spreche hier rein fiktiv“, schränkte Zetsche ein. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen geht nicht davon aus, dass Apple oder Google im großen Stil selbst in die Produktion einsteigen: Die Margen seien für die IT-Größen viel zu niedrig. Selbst Oberklasse-Hersteller wie Daimler müssen sich anstrengen, damit zehn Prozent vom Umsatz als Gewinn hängenbleiben. Möglich wäre es aber, sagt Dudenhöffer. „Autobauen ist deutlich einfacher, als die Autohersteller immer erzählen.“ Der kalifornische Elektroauto-Hersteller Tesla ist ein Beispiel dafür, wie eine Marke neu entstehen kann. Das Geld dazu hätten die IT-Konzerne allemal. “Google hat kein Interesse an Auto-Hardware. Google will ein Mobilitätssystem in großen Städten erschaffen“, sagt Schmidt, der bei Accenture den Auto-Bereich in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Lateinamerika leitet. Im Auto werde es künftig um den Zugang zu den Insassen gehen, darum, welche Dienste von welchem Anbieter ins Fahrzeug kommen. Wettlauf der Plattformen„Das Spiel wird sich in den nächsten drei bis fünf Jahren entscheiden.“ Es ist ein Wettkampf der Plattformen, in dem Google und Apple Hunderte Millionen Smartphone-Kunden haben. „Wer die meisten Nutzer auf seiner Plattform hat, wird das System bestimmen, wird die Services bestimmen und letztlich auch die Preise und die Margen.“ Quelle: dpa/Picture Alliance Die Autohersteller denken nicht daran, kampflos aufzugeben. „Wir wollen keine Lieferanten werden, die keinen direkten Kundenkontakt mehr haben und Hardware an Dritte liefern“, betont Zetsche. Auch deshalb kauften Daimler, Audi und BMW gemeinsam Nokias Kartendienst Here. Es geht um mehr als nur Karten für selbstfahrende Autos: Sie wollen die Kontrolle im Cockpit nicht abgeben. „Es ist eine Initiative, eine Hersteller-Plattform als Alternative zu Google, Apple und möglichen anderen Playern aufzubauen“, sagt Accenture-Mann Schmidt. Wie schnell Software die Hardware übertrumpfen kann, zeigte sich in den vergangenen zehn Jahren in der Handy-Branche, wo Betriebssystem und Apps zur Hauptsache wurden. Und dass der Kontakt zum Kunden das Tor zu weiteren Geschäften öffnet, belegt das Modell Facebook. “Wir haben so gelernt, dass es in unserem Geschäft nicht mehr allein um PS und Drehmoment geht“, sagte Volkswagen-Chef Martin Winterkorn im Frühjahr. „Es gibt eine neue Emotion rund ums Autofahren, die entsteht“, sagt Dudenhöffer. „Wir wissen noch nicht genau, was es ist, aber es ist etwas anderes, als schnell um die Kurve zu kommen und die Reifen quietschen zu lassen.“
Quelle: dpa/bmt |