Seit 19 Monaten fragt sich die Autowelt: Kann Karl-Thomas Neumann Opel retten? Wir sprachen mit dem 53-Jährigen über Geld, GM und die Schließung von Bochum.
Quelle: Jennifer Adler/Motor-Talk Eisenach - Wir treffen Karl-Thomas Neumann in einem einfachen Besprechungsraum im Opel-Werk Eisenach. Ein Stockwerk über den Produktionsstraßen, wo er kurz zuvor den Startschuss für die Produktion des neuen Corsa gegeben hat. Mit glänzenden Augen verfolgten die Mitarbeiter jedes Wort ihres Chefs. Neumann ist seit 19 Monaten Herr über Opel. Er wirkt wie einer aus einer anderen Welt. Drahtig, dynamisch, groß und strahlend. Einstecktuch trifft Arbeitskleidung. Seltsamerweise wirken beide Seiten vertraut. Der eine braucht die anderen, um sein ganz großes Ziel zu erreichen. Die anderen brauchen den einen, da sind sich alle sicher. Wenn Neumann Opel nicht rettet, rettet keiner mehr Opel. Ein Gespräch im Konferenzraum von Opel Eisenach - mit Fragen von MOTOR-TALK und MOTOR-TALKERNMOTOR-TALK: Herr Neumann, wer darf Sie bei Opel KTN nennen? Karl-Thomas Neumann: Alle. Ist überhaupt kein Problem. MT: Wie fühlt man sich als Retter von Opel? KTN: Langsam! Bei einem Marathon kann man auch nicht nach dem Start schon den Zieleinlauf feiern. Was wir erreichen werden, wird der Verdienst einer guten Teamleistung sein – gepaart mit der Unterstützung unserer Mutter General Motors aus Detroit. Neumann nimmt Tempo raus, noch bevor wir richtig beginnen. Retter, das Wort mag er nicht. Obwohl sich medial alles auf ihn fokussiert, geht es ihm vor allem um das Team und GM. MT: Dennoch kann man sagen: Opel legt sein Herz in die Hände seines Chefs. KTN: So einfach ist es nicht. Opel selbst ist wieder erstarkt. Aber klar ist: Alles, was wir tun, läuft unter den Scheinwerfern der Öffentlichkeit ab. Dass ich in meinem Berufsleben schon einige schwierige Erfahrungen gemacht habe, hilft mir dabei, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Dazu gehört sicherlich, Optimismus auszustrahlen und der Marke und den Mitarbeitern Rückenwind zu geben. Für mich ist das eine langfristige AufgabeMT: Mancher bei Opel hat in der Vergangenheit früh aufgegeben. Wie lange halten Sie durch? (Frage: cptahab) Quelle: Jennifer Adler/Motor-Talk KTN: Ich weiß, die Vergangenheit war für Mitarbeiter und Unternehmen nicht leicht. Und es hat schon einige Chefs gegeben. Unser Markenbotschafter Jürgen Klopp hat mir mal erzählt: Als er als Trainer bei Dortmund anfing, hätte ihm niemand eine Wohnung vermieten wollen, er würde ja eh nicht lange bleiben. MT: War das bei Ihnen auch so? KTN: Natürlich haben viele gefragt, wie lange ich denn bleiben wolle. Aber für mich ist das ganz klar eine langfristige Aufgabe. Meine Strategie zielt zunächst auf das Jahr 2022. Bis dahin wollen wir den Marktanteil in Europa auf acht Prozent gesteigert haben und eine Umsatzrendite von 5 Prozent erwirtschaften. 2016 wollen wir die Gewinnschwelle erreichen. Ich will und werde weiterhin zeigen, dass der eingeschlagene Weg funktioniert. MT: Ihre Ex-Kollegen im VW-Konzern sagen, der KTN, der hat jetzt den härtesten Job der Branche... KTN: Es ist ganz sicher der spannendste. Bei Opel spürt man wirklich den Geist der Marke. Sie können sich kaum vorstellen, wie viel Begeisterung und Leidenschaft einem da entgegenschlägt. Von unseren Fans und von den Mitarbeitern. Optimistische Opelaner motivieren KTNMT: Sie meinen für das Foto jubelnde Werksarbeiter? KTN: Nein, ich meine das überall. Gestern kam mir ein Opelaner auf dem Flur entgegen, sprach mich an und sagte: „Ich finde es toll, dass es wieder voran geht.“ So etwas motiviert mich. Und stärkt mein Gefühl, das Richtige zu tun. Kurz vor unserem Gespräch hat Karl-Thomas Neumann in der Kantine des Eisenacher Werks gegessen, Seelachsfilet mit Reis. Weil Bochum schließt, haben die Männer und Frauen in Eisenach eine bessere Perspektive MT: Sie haben die Unterstützung von GM angesprochen. Sind Sie so etwas wie der Familientherapeut für GM und Opel? KTN: Nein. Es ist nur eine einfache Erkenntnis: Ein Autohersteller, der etwas mehr als eine Million Autos produziert und nicht auf Wachstumsmärkten außerhalb Europas aktiv ist, kann nicht dauerhaft allein existieren. MT: Warum sehen Sie das so? KTN: Für ein Fahrzeug wie den Corsa reichen 300.000 Einheiten pro Jahr nicht aus; ein solches Fahrzeug muss auf einer globalen Architektur stehen, auf der ein oder zwei Millionen Autos gebaut werden. Das schaffen wir nur, wenn wir mit GM gemeinsame Sache machen. Und nicht zu vergessen: Auch GM hat ein Interesse an einem guten Europageschäft. Und das schaffen wir nur, wenn wir uns verbrüdern. MT: So klar hat das keiner Ihrer Vorgänger formuliert. KTN: Es geht ja noch weiter. Wir sind auf die Finanzierung von GM angewiesen. Schauen Sie nur auf die ursprünglich 4 Milliarden Euro Investment und die zusätzlichen Investitionen in ein zweites Flaggschiff und neue Motoren und Getriebe, die Mary Barra (die GM-Chefin, Anm. d. Red.) kürzlich angekündigt hat. MT: Wofür brauchen Sie so viel Geld? Quelle: Jennifer Adler/Motor-Talk KTN: Wir investieren in neue Produkte. Bis 2018 bringen wir 27 neue Modelle und 17 neue Motoren auf den Markt. Und ich glaube, dass es derzeit keinen anderen Hersteller in Europa gibt, der so viel Geld pro Auto (gemessen an den verkauften Stückzahlen pro Jahr, Anm. d. Red.) investiert wie wir. Das ist ein Riesenkraftakt, andererseits aber die wichtigste Grundlage für Wachstum. Wenn wir wachsen, werden wir unsere Werke wieder besser füllen. MT: Was passiert, wenn Opel 2016 den Break Even, die schwarze Null, nicht erreicht? KTN: Wir haben ein Ziel, wir haben einen Plan, wir haben eine klare Mechanik dahinter. Und wir werden dieses Ziel erreichen. Er hält an diesem Ziel fest, eisern. Doch KTN ist klug. Er weiß: Ziele mindert man nur, wenn es gar nicht anders geht. Und er weiß auch: Der Weg ist das Ziel. Opel hat das Potenzial zu siegenMT: Können Sie gut mit Niederlagen umgehen? KTN: Nein. Leider nicht. MT: Aber Opel... KTN: ... birgt Potenzial für eine Niederlage? Ich behaupte das Gegenteil: Opel hat das Potenzial zu siegen. Ich habe in der Vergangenheit gezeigt, dass ich es kann. Und ich hatte schon meine persönlichen Niederlagen. Das hat mich abgeklärt. Ich bin weniger empfindlich. Aber das Verantwortungsbewusstsein bleibt. Karl-Thomas Neumanns Antworten kommen aus seinem Herzen, manchmal spontan, manchmal nach einer kleinen Denkpause, bei der er seinen Blick durch den grauen Konferenzraum schweifen lässt. MT: Mit wie viel Verlust rechnen Sie 2014? Mit mehr als einer Milliarde Euro? KTN: Sie kennen die Zahlen der ersten drei Quartale (GM Europa hat darin insgesamt 770 Millionen Euro Verlust gemacht, Anm. d. Red.). Mehr darf ich dazu nicht sagen. Kein Geheimnis ist, dass wir zwei große Sonderposten hatten, die deutlich auf die Ertragslage drücken. Der eine hängt mit der Schließung des Werkes in Bochum zusammen. Dazu hat sich Russland schwierig entwickelt, was in der Form niemand vorhersehen konnte. Den Verfall des Rubels kann man nicht auffangenMT: Wie sehr trifft die Russland-Krise Opel? KTN: Russland war für Opel 2013 der drittgrößte Markt. Und Russland ist und bleibt sicher mittel- bis langfristig ein Wachstumsmarkt. Der Mittelstand wächst, es gibt einen geringen Fahrzeugbestand. Aber die Krise und der Verfall des Rubels um mehr als 60 Prozent seit Jahresbeginn, das kann man nicht auffangen. Das trifft auch den Automobilmarkt heftig. Die gute Nachricht ist: Wir haben es in diesem Jahr geschafft, in wichtigen Ländern Marktanteile zu gewinnen. In England und Deutschland läuft es gut für uns, in Spanien hervorragend. Dort sind wir im bisherigen Jahresverlauf sogar die Nummer zwei. MT: Was ist Ihnen lieber: Marktanteil oder Volumen? KTN: Mit Marktanteilen verdient man kein Geld. Wir müssen mehr Autos verkaufen. Als ich für VW in China gearbeitet habe (das war vor Opel, Anm. d. Red.), ging es darum, das Wachstum schnell umzusetzen. Hier muss ich Wachstum auf einem gesättigten Markt schaffen. Das ist weitaus fordernder. Karl-Thomas Neumann arbeitet seit dem 1. März 2013 für Opel. Seine Hauptziele für Opel: Neue, attraktive Produkte, die engere, energiegeladene Bindung an GM und die Marke Opel wieder in ein positives Licht rücken. MT: Wie wollen Sie das schaffen? KTN: Wir haben das in einigen Ländern bereits geschafft. Obwohl unser Portfolio im Durchschnitt 5,5 Jahre alt ist. Im nächsten Jahr sinkt das Durchschnittsalter der Modellpalette auf 3,5 Jahre. MT: Ist Opel ohne Bochum rentabel? KTN: Als ich bei Opel begann, waren die Werke nicht ausgelastet, der Marktanteil ging seit fast 20 Jahren bergab. In Bochum arbeiten mehr als 3.000 Menschen. Früher waren es mehr als 10.000. In einem Riesenwerk wurden zu wenig Autos produziert. Parallel dazu mussten wir in anderen Werken die Produktion drosseln. Wenn man das überall macht, ist die Fixkosten-Situation in allen Werken miserabel. Manchmal muss man einen großen Fixkostenpunkt rausnehmen. Wie in Bochum. Diese Entscheidung ist uns sehr, sehr schwer gefallen, aber sie war notwendig. Das Ziel: Vollauslastung der WerkeMT: Wie wirkt sich die Schließung von Bochum auf die Auslastung der anderen Werke aus? KTN: Mit halbvollen Werken kann man kein Geld verdienen. Wir tun jetzt alles, um in allen unseren deutschen und europäischen Werken ein Ziel zu erreichen: eine Vollauslastung im Dreischichtbetrieb. MT: Liegt das auch an der Produktion des Mokka in Saragossa? KTN: Der Mokka war für uns ein unerwarteter Riesenerfolg. GM hat dadurch wieder mehr Vertrauen in Opel gewonnen. Die Produktion des Mokka in Saragossa hilft auch Eisenach; das Werk fährt schon bald wieder eine dritte Schicht. Quelle: Jennifer Adler/Motor-Talk MT: In Eisenach könnte auch ein anderer koreanischer Opel produziert werden. Der Kleinwagen Karl. Möglich? KTN: Die GM-Philosophie lautet: Build where you sell. Wenn der Karl ein großer Erfolg wird, hätte er theoretisch auch Chancen, in Europa gebaut zu werden. MT: Wie fühlen Sie sich dabei, in Bochum so viele Leute entlassen zu müssen? KTN: Das tut weh. Ich weiß, was das für die Leute bedeutet. Ich habe in Dortmund studiert. Aber als Opel-Chef bin ich für mehr als 38.000 Mitarbeiter verantwortlich. Für die und die Marke Opel ist es entscheidend, wieder Geld zu verdienen, und zwar nachhaltig. Seine Stimme verändert sich. Am 5. Dezember 2014 endete in Bochum die Fahrzeugproduktion nach 52 Jahren. Es ist das erste große Autowerk in Deutschland, das seit Gründung der Bundesrepublik geschlossen wird. KTN mag Bochum. Die Stadt, das ist ein Stück Heimat. Sein erstes Auto, ein orangefarbener Kadett D, wurde in Bochum gebaut. 18,2 Kilometer entfernt von der Technischen Universität Dortmund, an der er studierte. Die Schließung von Bochum belastet ihn mehr, als er sagen möchte. MT: Den Bochumern hilft das nicht... KTN: Das verstehe ich. Aber die Entscheidung war notwendig. Trotz der Schließung der Fahrzeugproduktion bleibt Opel mit dem Warenverteilzentrum in Bochum. Und Deutschland bleibt unsere Heimat und unser Rückgrat. Deswegen haben wir gerade, wie schon erwähnt, massive Investitionen in Deutschland angekündigt. Wir bauen ein zweites Flaggschiff in Rüsselsheim, einen neuen Motor in Kaiserslautern. Wir schaffen eine dritte Schicht in Eisenach. Wir sichern 430 Arbeitsplätze langfristigMT: Haben Sie Angst, die treuen Opel-Fans im Ruhrgebiet zu verlieren? (Frage: mke124) KTN: Wir legen großen Wert darauf, den Auslauf der Fahrzeugproduktion so verantwortungsbewusst wie möglich umzusetzen. Es gibt eine zweijährige Transfergesellschaft. Opel bleibt in Bochum: Wir investieren 60 Millionen Euro in ein neues Logistikzentrum. Dadurch können rund 430 Arbeitsplätze langfristig abgesichert und 265 Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden. Zudem haben wir die Möglichkeit für Bochumer-Mitarbeiter geschaffen, an einen anderen Opel-Standort zu wechseln. Und wir investieren in die „Perspektive Bochum 2022“. Wir wollen gemeinsam mit der Stadt Bochum die Flächenentwicklung vorantreiben, innovative Technologien fördern und neue Arbeitsplätze in Bochum schaffen. Das ist auch wichtig für die mehr als 300 Opel-Händler im Ruhrgebiet – mit ihren über 5.000 Mitarbeitern. MT: Müssen Sie als Opel-Chef mehr aushalten als andere Auto-Bosse? KTN: Nein. Denn ich glaube felsenfest an das Comeback von Opel. Da kann man nicht zweifelnd vor einer Mannschaft stehen und dennoch sagen: „Wir schaffen das.“ Das wäre unglaubwürdig. Man muss vorleben, woran man glaubt. MT: Herr Neumann, wir danken Ihnen für das Gespräch. Hier geht es zu Teil 2 unseres großen Interviews mit dem Opel-Chef. Vor dem Interview haben wir Eure Fragen eingesammelt. |