Vorn oder hinten sitzen, das ist im Mercedes S 63 AMG die Glaubensfrage. Die Antriebsart nicht mehr: Die schnellste S-Klasse gibt es endlich mit Allradantrieb.
Kitzbühel – Darf es der Chefsessel im Fond sein? Oder doch lieber der Fahrersitz? Wer eine S-Klasse in der Langversion bestellt, der stellt sich diese Frage in der Regel nicht. Optionale Einzelsitze, viel Beinfreiheit und First-Class-Atmosphäre in der zweiten Sitzreihe weisen dem Passagier von Welt automatisch den Weg zur hinteren Tür. Quelle: Mercedes In der neuen Affalterbacher Oberklasse könnte die Wahl allerdings anders ausfallen. Denn erstmals bietet Mercedes eine AMG-S-Klasse mit Allradantrieb an. Der S 63 AMG 4Matic fährt schneller, sicherer und kein bisschen zahmer als sein Vorgänger. Mercedes S 63 AMG: Allrad für die LangversionDie Entscheidung für den Allradantrieb fiel bereits vor drei Jahren. Leistung und Drehmoment steigen mit dem Modellwechsel in diesem Jahr um 14 auf 585 PS sowie um 100 auf 900 Newtonmeter. Ohne Assistenzsysteme reiben sich in dieser Klasse sogar 285er-Hinterreifen auf. Trotzdem sollte der Charakter eines Hecktrieblers erhalten bleiben. AMG verzichtet deshalb auf eine variable Momentenverteilung und schickt immer 33 Prozent der Kraft auf die Vorderachse. Das Siebengang-Automatikgetriebe entspricht weitestgehend dem der heckgetriebenen Version. Eine zusätzliche Welle leitet ein Drittel des Moments rechts am Getriebe vorbei, durch die Ölwanne des Motors und über ein Differenzial an die Vorderräder. Theoretisch würde diese Technik 45 Prozent des Motormoments aushalten – aber wer möchte schon eine untersteuernde S-Klasse fahren? Trotz Allrad: 100 Kilogramm leichter als zuvorQuelle: Mercedes Im direkten Vergleich spart der Allradantrieb knapp eine halbe Sekunde beim Sprint auf Tempo 100. Genau vier Sekunden sind es mit S63 mit 4Matic, 4,4 ohne. Das fällt beim Fahren natürlich kaum auf. Sehr deutlich bemerkt man in der Allrad-S-Klasse hingegen die schier unbegrenzte Traktion. Selbst auf nassem Untergrund kämpft kein Reifen mit Schlupf, kein Lämpchen warnt im Tacho vor instabilen Fahrsituationen. Der 5,5-Liter-Biturbo-V8 schiebt und zieht die Limousine souverän gen Horizont. Bis Tempo 250. Dann begrenzt die Elektronik. Eine S-Klasse bleibt eine S-KlasseTrotz aller Finessen bleibt die S-Klasse eine Oberklasse-Limousine – selbst in der sportlichen Version. Noch-AMG-Chef Ola Källenius fasst das in einem Satz zusammen: „Auch wenn man am liebsten vorne links sitzt, muss man genauso hinten rechts sitzen können.“ Deshalb bietet der S 63 AMG auf allen Plätzen jede Menge Luxus, feines Leder und viel Holz. Im normalen Fahrbetrieb verhält er sich ruhig und schwer, fast schon behäbig. Erst bei einem Tritt aufs Gas zeigt er sein volles Potenzial. Für Fahrgäste im Fond gibt es viel Beinfreiheit und unzählige aufpreispflichtige Spielereien, von der Fernbedienung bis zum Liegesitz. Vorne spendiert AMG eine Analoguhr aus dem Hause IWC – neben den üblichen Annehmlichkeiten, versteht sich. Leder, Schaltwippen aus Aluminium, Kindersitzerkennung und eine Servoschließfunktion für die Türen gibt es serienmäßig. Ein AMG bleibt ein AMGQuelle: Mercedes Etwas sportlicher als in der Serienversion soll es trotzdem zugehen. In den Endschalldämpfern regelt deshalb ein Klappensystem zwischen vornehmem Säuseln und kräftigem Bollern. Beim Startvorgang sind sie immer geöffnet – Källenius nennt das „ein schnelles 'Grüß Gott' auf AMG-Weise“. Danach benimmt sich die schnellste S-Klasse wieder vornehm. Laut wird es erst bei Volllast. Das Fahrwerk darf in der S-Klasse nicht so hart sein, wie es AMG gerne hätte. Deshalb simulieren aktive Vordersitze eine geringere Kurvenneigung. Die kurvenäußeren Polster neigen sich bei zügiger Fahrt automatisch nach innen. Das fühlt sich sportlich an und verhindert wildes Rutschen auf den feinen Polstern. Doch selbst ohne vorgetäuschte Stabilität verhält sich der S63 AMG 4Matic überraschend neutral. Das toll abgestimmte Luftfahrwerk kompensiert Gewicht und Fahrzeughöhe. Mehr noch, die Limousine lädt tatsächlich zum Kurvenräubern ein. Mit einem Sportwagen lässt sich das Kurvenverhalten natürlich nicht vergleichen – sehr wohl aber mit deutlich kompakteren Fahrzeugen. Mercedes gibt einen Durchschnittsverbrauch von 10,3 Litern pro 100 Kilometer an - ein kleines Saftglas mehr als ohne Allradantrieb. Während der Testfahrt spritzten die Ventile durchschnittlich 13 bis 14 Liter in die Brennräume. Kein Allrad für den KurzenLeider bietet Mercedes das neue Allrad-System nur für die Lang-Version der S-Klasse an. Die kurze Limousine fährt in Deutschland weiterhin mit Heckantrieb. Dafür bleibt der Preis: Der neue S 63 AMG kostet mit Allrad rund 152.600 Euro – so viel wie der alte ohne.
Technische Daten: Mercedes-Benz S63 AMG 4Matic
Quelle: MOTOR-TALK |