Rasant gegen das Spießer-Image: Der Golf R zeigt mit 300 PS und Allradantrieb, wie viel Können im Golf steckt. Eine Driftfahrt auf Eis und Schnee.
Arvidsjaur/Schweden – Dieser Moment ist surreal: Ich fahre auf einem zugefrorenen See. Mit einem Auto, das aussieht wie ein Golf, aber beschleunigt wie ein Sportwagen. Anschließend will Prof. Dr. Martin Winterkorn, der VW-Chef höchstpersönlich, wissen, wie ich das fand. Damit nicht genug: Audi-Chef Rupert Stadler und Porsche-Chef Matthias Müller zeigen sich ebenfalls für Anregungen offen. Quelle: Volkswagen Wir sind an einem der kältesten Orte Europas, in Arvidsjaur, wenige Kilometer vor dem Nordpolarkreis. Hier testen Autohersteller ihre Fahrzeuge unter extremen Bedingungen. Neben den Vorständen sind auch einige Rennprofis dabei: "Strietzel" Stuck, Jackie Ickx und Sébastien Ogier nehmen in und um Arvidsjaur die kommenden Modelle ab. Mittendrin bin ich: Golf-Fahrer, Redakteur, bereit zur Abnahme. Golf R: Gewichtsverteilung statt SoundDer R bietet VW die Chance zu zeigen, wie gut der Golf konstruiert ist. 300 PS aus zwei Litern Hubraum fordern Antrieb und Aufhängung. Eine große Schürze zeichnet dem R-Golf eine böse Fratze ins Gesicht. Die Auspuffanlage mit vier Endrohren ist dem kleinen Sportler viel zu groß. VW scheint zu denken: Wir tunen besser als die Tuner. Trotzdem klingt der R im Stand kaum anders als ein 1,2er-Golf. Erst mit der Drehzahl knurrt der Vierzylinder aggressiv – typisch für einen kleinen Turbomotor. Ich vermisse den ungehobelten Klang aus VR6-Tagen in Golf 4 und Golf 5. Auch, weil der Klang im neuen Golf R von einem Sound-Aktuator kommt. Synthetisch und auf Dauer nervig. Schade. Quelle: Volkswagen Einen Sechszylinder wird es in einem Serien-Golf aber nie mehr geben - auch wenn die Gerüchte etwas anderes herbeisehnen. Ein Sechszylinder würde den Flottenverbrauch nach oben und die Fahrzeugfront nach unten drücken. Das gilt als gestrig. Vorteil Vierzylinder: Die 1.476 Kilogramm des Golf R verteilen sich im Verhältnis 60 zu 40 auf Vorder- und Hinterachse. Die Differenz gleicht der Allradantrieb mit einer Haldex-5-Kupplung aus. Sie leitet bis zu 100 Prozent des Antriebsmoments an die Hinterräder. Mit Spikes auf EisWas das bedeutet, zeigt der Golf R auf einem riesigen Eissee in Schweden. Bei zügiger Gangart folgt das Fahrzeug genau dem Lenkeinschlag. Tolle Manieren, die ich dem R aber schnell abgewöhne: ESP vollständig deaktiviert (nach langem Druck auf die Taste), fest aufs Gas, gegenlenken und zack – mein Heck überholt mich. Ein Allrader mit Spikes driftet eben ganz anders als ein Hecktriebler. Dafür bleibt er sicherer in der unsicheren Lage. Mit gefühlvollem Pedal- und Lenkradeinsatz zeichnet mein Golf R schließlich feine Kreise in den Schnee. So lange, bis meine Angst vor der Schneewehe (selten) oder mein Übermut (recht häufig) den Drift beenden. Gute Fahrer haben hier den Schnee auf der Seitenscheibe. Die 300 PS sind das Aushängeschild des Golf R. Seine innere Stärke ist jedoch die fünfte Generation des Haldex-Allradantriebs. Die Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse erfolgt nicht mehr rein mechanisch – sie wird von Sensoren gesteuert und über eine elektrische Ölpumpe angeregt. Die Lamellenkupplung schließt deshalb schneller, zusätzlich bremst eine elektronische Differenzialsperre die kurveninneren Räder sanft ein. Dadurch lässt sich der Golf R besser denn je kontrollieren – nach einigen Versuchen sogar im Drift. Konkurrenz aus dem KonzernWer quer fährt, denkt erst an den Tank, wenn kein Sprit mehr kommt. Das geht schnell: Im Drift fließen 30 Liter pro 100 Kilometer durch die Einspritzdüsen. Immerhin weniger als beim Vorgänger, der bei Volllast 20 Prozent mehr schluckte. Laut Normverbrauch braucht der Neue 6,9 (DSG) bzw. 7,1 Liter pro 100 Kilometer (Handschaltung). Der Golf R macht Spaß, aber er stellt nicht den Benchmark. Das bleibt konzernintern der Audi S3. Ebenfalls mit 300 PS sowie 380 Newtonmeter bestückt, aber dank Aluminium 70 Kilo leichter. Für den Sprint auf 100 km/h benötigt er 4,8 statt 4,9 Sekunden. 250 km/h fahren beide. Dafür kostet der Golf R knapp 600 Euro weniger. Technisch unterscheiden sich die Beiden in der Abstimmung. Auf dem Fahrersitz merkt man davon kaum etwas. Der Golf wackelt etwas mehr mit dem Hintern. Oft wird deshalb der Autoquartett-Faktor siegen und zugunsten des Audis entscheiden. Der größte Vorteil des Golf R bleibt die Unvernunft: Nur bei ihm lässt sich das ESP komplett deaktivieren. Hier ist weniger mehr. Den Golf R gibt es jetzt auch als VW Golf R Variant. Auf der CES 2015 in Las Vegas stellt Volkswagen den VW Golf Touch vor. Quelle: MOTOR-TALK |