Einmal einen Rennwagen steuern ist für Viele ein Traum. Unser Reporter erlebte ihn im BMW M6 GT3. Das Gute: Es war geil. Das Schlechte: Er muss noch sehr viel lernen.
Bilster Berg – Trügen mich meine trüben Augen? Nein. Doch. Da steht wirklich mein Name, auf einem Rennwagen. Und auf was für einem. Dem bis zu 585 PS starken BMW M6 GT3. Drei große Buchstaben als Abkürzung, wie es auf Rennautos üblich ist, darunter nochmal ausgeschrieben. Dort, wo vor noch nicht mal zwei Wochen die Namen echter Rennfahrer für das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring klebten. Ich schwitze. Tue ich immer, wenn der Druck steigt. Wie gut, dass ich feuerfeste Unterwäsche trage, die saugt das auf. Quelle: BMW Ich stehe nahe Paderborn, an der Rennstrecke Bilster Berg, in voller Rennmontur. Helm, HANS, Handschuhe - alles geliehen. Das Auto übrigens auch. Ein 4,4-Liter-Biturbo-V8 treibt die Hinterräder des M6 GT3 an. Wert: 451.010 Euro. Gepresst in die Form von 1.300 Kilogram Titan, Aluminium, Carbon und etwas Stahl. In der europäischen Motorsport-Hierarchie rangieren GT3-Autos direkt hinter den Formel-1-Flitzern und Le-Mans-Rennern. Erstmal AussteigenIm Leistungssport kann Denken schädlich sein. Der Bomber Gerd Müller bewies das mit dem Gegenteil. Professionell sein, cool bleiben. Die Renningenieure von BMW verteilen eine angemessene Aufgabe: Aussteigen üben. Dabei ist schon das Einsteigen über den FIA-Käfig schwer: linker Fuß zuerst, oder doch der rechte? Blanke Ironie, dass die dicken Streben der Sicherheit dienen. Was passiert eigentlich, wenn’s brennt, Herr Renningenieur? Quelle: BMW Wenn’s brennt, muss der Fahrer in 7 Sekunden aus der Karre rauskommen. Das bedeutet: Funkverbindung ziehen, Sicherungsnetz aushaken, Sechspunkt-Gurt auf, dann auf den roten Knopf an der Tür schlagen und raus. Um die Tür herumlaufen, am Ende der Motorhaube befindet sich ein Schalter für die in das Auto eingebauten Feuerlöscher. Probelauf: fünf Sekunden, bestanden. Es folgt die Sitz- und Bremsprobe. 70 bar Bremsdruck muss der Fahrer aufbauen. Dafür muss man so fest zutreten, also wolle man einen Golf wegtreten. Das Pedal bewegt sich dabei so viel wie der Golf. Wir sind wir bereit - vermute ich. Was vom M6 übrig bleibtDie in das Chassis eingebauten Druckluft-Stempel fahren hoch. Das Auto senkt sich mit einem Zischen. Funk-Check. Ich drücke artig den Radio-Knopf oben links auf dem Knight-Rider-Lenkrad und antworte. Nein, erst suche ich, denn es ist einer von zehn Knöpfen. Die Konsole auf dem Mitteltunnel hat weitere 22 Schalter. Ich brauche drei. Den Hauptschalter, die Zündung und den Startknopf – der einzige, der an einen normalen M6 erinnert. Quelle: BMW Von dem ist hier nicht mehr viel übrig. Von der Spritzwand bis zum Heck stammt die Rohkarosse aus der Serie. Sie wird mit Carbon-Teilen überzogen, ein Käfig wird eingeschweißt. Die Serien-Aufhängungen werden durch eigens für den Motorsport konstruierte ersetzt. Am Vorderwagen sind die Doppeldreiecksquerlenker an zwei Aluminiumträgern befestigt. Dazwischen hängt eine modifizierte Version des Serienmotors mit dem internen Code „S63“. So flach und tief, wie es beim normalen Motor bestenfalls ohne Ölwanne möglich wäre. Die größte Änderung ist deswegen die Umrüstung auf Trockensumpfschmierung. In der Abstimmung für das 24-Stunden-Rennen leistet der Motor rund 520 PS – heute auf der verkürzten Strecke des Bilster Bergs ebenfalls. Der Ansatz eines GefühlsDie Kupplung wird genau zweimal benötigt. Beim Anfahren und beim Anhalten. Mit Betätigung der rechten Schaltwippe rastet der erste Gang im sequenziellen Sechsgang-Renngetriebe an der Hinterachse ein. Jetzt bloß nicht abwürgen, Junge. Gas, mehr Gas, noch mehr. Die Erfahrung mit endverbrauchten Kupplungen zahlt sich endlich aus - mein linker Fuß ist geschult. Der M6 holpert Richtung Boxenausfahrt. Ohne Gas läuft der Rennmotor nicht rund. Quelle: BMW Im M235i Racing vor mir fährt Lucas Luhr, Ex-DTM-Pilot und FIA-GT1-Weltmeister 2011. Zuerst gibt es ein paar geführte Runden, um die Strecke kennenzulernen – und damit keiner den 450.000-Euro-Schlitten sofort wegwirft. Es reicht, damit das Zittern in den Händen nachlässt. Wie weit kannst Du gehen?Die ersten freien Runden in einem Rennwagen bedeuten Verlorenheit. Das Auto fährt sich so einfach, dass es jeder im Besitz eines Führerscheins steuern könnte. Der Motor kann nicht überdrehen, es gibt eine Renn-Traktionskontrolle und ein Renn-ABS, sogar eine Klimaanlage. Aber es gibt keinen, der Dir sagen kann, wie Du Dich an die Limits dieses Autos tasten sollst. Mit Vollgas geht es auf die längste Gerade. Die Lämpchen oben auf dem Lenkrad blinken nacheinander auf. Gangwechsel. Bämm. Nochmal, Gangwechsel, Bämm. Vierter Gang, geschätzte 210 Sachen. Es rappelt und scheppert im leeren Innenraum. Der Funk schweigt, totale Einsamkeit. Dann naht die langgezogene Doppel-Links. Was tun? Bremse leicht anlegen, oder kurz und stark bremsen, um dann das Gas wieder hochzuziehen? Oder die Kurve voll nehmen? Könnte funktionieren. Der GT3 ist ein Abtriebsauto – je schneller ich fahre, desto stärker wird die Fuhre auf den Asphalt gedrückt. Ich entscheide mich für irgendwas zwischen A und B. Quelle: BMW Nach ein paar Runden geht es in die Box. 15 Minuten Pause, ein Schluck Wasser und die Datenanalyse mit einem Techniker und Lucas Luhr. Als Vergleich dient eine von ihm gefahrene Runde. Wir picken uns die enge Rechtskurve am Ende von Start-Ziel heraus, um an ihr zu arbeiten. Der rote Graph für die Bremskraft (meiner) zeigt vor der engen Rechts einen Wert, der nur halb so groß ist, wie bei Lucas Luhr. „Viel später und viel stärker Bremsen“. Wo ungefähr? Alles klar. "Ausbaufähig"Diesmal bleibe ich lange auf dem Gas. Noch ein Stück, nur noch ein bisschen. Hinter dem kleinen Bogen hat er gesagt. Jetzt. Nein, jetzt. Ich verpasse dem Bremspedal einen Bruce-Lee-Kick. Zwei Gänge runter und in die Rechts. Das war’s. Volltreffer. Später hätte nicht mal Senna gebremst. Den Rest der Strecke wurschtel ich mich so durch, bevor ich wieder in die Box gerufen werde. Wieder an den Laptop. Das bedeutet Rennfahrer sein: Einsteigen, aussteigen, Kurven diskutieren, weiterfahren. Der Weg zur Perfektion muss unfassbar lang und mühsam sein. Mein Quelle: BMW Resultat: Unglaublich, die Graphen liegen für die ausgewählte Kurve fast exakt aufeinander. Gleiche Bremskraft, nicht mehr viel zu früh, und das Gas beim Herausbeschleunigen: auf den Punkt. Meine beste Runde wird eine 1:06.72 Minuten. „Ausbaufähig“ urteilen Rennfahrer und Ingenieur. Ungefähr 4,7 Sekunden trennen mich von der Zeit, die Lucas Luhr mal eben so in der Mittagspause gesetzt hat – eine Ewigkeit im Rennsport. Während im Hintergrund der Aufkleber mit meinem Namen vom Auto gezogen wird, sonne ich mich in meinen Ruhm. Und in dem Bewusstsein, dass mich jetzt nur noch mehrere hundert Runden Übung davon trennen, zumindest diese eine Kurve zu fahren wie ein richtiger Rennfahrer. |