Ein Fall in der Schweiz machte uns neugierig: Ein Autofahrer wurde dort verurteilt, weil er seinen Müdigkeitswarner ignorierte. Wie verpflichtend sind Assistenzsysteme?
Berlin – Die Kaffeetasse im Armaturenbrett blinkt. Sie nervt, wird mit der Okay-Taste alle zwei Stunden weggedrückt. Der Fahrer benötigt jetzt keine Pause. Die Strecke ist frei und der Wagen rollt. Doch würden Gerichte das nach einem Crash auch so sehen? War der Fahrer noch fahrtüchtig oder war er übermüdet? Trifft ihn eine Teilschuld? Die meisten Assistenzsysteme im Auto lassen sich deaktivieren. ESP, Toter-Winkel-Warner oder Spurhalteassistent werden auf Knopfdruck stumm. Aber was bedeutet das juristisch, wie verpflichtend ist der Gebrauch von vorhandenen Assistenzsystemen? Müssen Assistenzsysteme wie Müdigkeitswarner oder ESP während der Fahrt immer aktiv sein? Assistenzsysteme werden Pflicht: Es gilt die TypzulassungWir fragten beim ADAC, bei einem Verkehrsanwalt und bei der Versicherungswirtschaft nach. Wie so häufig kommt es auf das System und den Einzelfall an. Fahrdynamikregelsysteme (ESC) sind seit dem 01.11.2011 für jede Typzulassung bei Pkw und Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen Pflicht. Seit November 2014 gilt das auch für jedes Neufahrzeug älterer Baureihen. Busse und Lkw müssen bei neuen Fahrzeugtypen seit 01.11.2013 serienmäßig über einen Notbremsassistenten (AEB) verfügen. Seit dem 01.11.2015 gilt das für alle Neufahrzeuge. Auch Spurhalteassistenten sind derzeit nur für Busse und Lkw Pflicht, für die Typzulassung und Neufahrzeuge gilt dasselbe wie für den Bremsassistenten (2013 / 2015). Für Pkw gilt das nicht. Der ADAC fordert deshalb eine freiwillige Selbstverpflichtung für die Einführung von Notbremsassistenten. Sicherheitsrelevante Assistenzsysteme wie die Fahrdynamikregelung ESC und AEB müssen nach Zündungsneustart standardmäßig wieder aktiv sein. „Die vollständige Deaktivierung vom ESC ist in der Regel nicht mehr möglich. Zwar gibt es häufig einen Off-Taster, die Eingriffe erfolgen aber trotzdem, nur wesentlich später“, sagt Christian Buric vom ADAC. Mitunter hilfreich, aber nicht Pflicht: MüdigkeitswarnerDer Müdigkeitswarner sollte aktiviert sein, aber auch deaktiviert werden können. „Vor allem, weil die „Müdigkeit“ eine sehr subjektive Größe ist und nicht immer mit der Selbsteinschätzung des Fahrers übereinstimmt“, sagt Buric. Auf der einen Seite klingelt das System stur alle zwei Stunden, auf der anderen Seite verläuft die Grenze zwischen Sekundenschlaf und Unfall fließend. Ein Jurist des ADAC bestätigt das: „Generell dürfen abschaltbare Einrichtungen auch ausgeschaltet werden. Das ist grundsätzlich zulässig.“ Allerdings gebe es keine genaue Rechtssprechung dazu. Auch sei nicht klar, ob die Versicherung bei einem Kaskoschaden alles bezahle oder einen Teil auf den Fahrer abwälzt. Traktions- und Stabilitätskontrollen sollten deshalb im Straßenverkehr immer aktiv sein, rät er. Autofahrer sollten sich jedoch niemals nur auf Assistenzsysteme verlassen. Nach dem Wiener Abkommen der Vereinten Nationen über den Straßenverkehr von 1968 trägt der Fahrer die Verantwortung. Er muss sein Fahrzeug während der Fahrt jederzeit beherrschen. Seit der jüngsten Änderung im März 2016 gelten Systeme als kontrollierbar, wenn sie vom Fahrer abschaltbar oder übersteuerbar sind. Der Fahrer muss also jederzeit eingreifen können. Versicherungen und AssistenzsystemeVersicherungen haben natürlich ein Interesse daran, dass Assistenzsysteme aktiviert sind und funktionieren – so dass möglichst wenige Unfälle passieren und sie weniger Schäden regulieren müssen. Doch für einen Versicherungsschutz sei das unerheblich, sagt uns ein Sprecher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Die Versicherung weiß in aller Regel nicht, welche Assistenzsysteme in den Fahrzeugen verbaut sind und macht dementsprechend auch den Versicherungsschutz nicht davon abhängig“, sagt der Sprecher. Versicherungen dürfen die Daten des Fahrzeuges nach einem Unfall nicht auslesen. Nur die Polizei kann auf Anordnung der Ermittlungsbehörde, in der Regel die Staatsanwaltschaft, das Fahrzeug beschlagnahmen und untersuchen lassen. Das geschieht meist nur bei sehr schwerwiegenden Unfällen. Dann können die Ermittler das Steuergerät auslesen und die Daten auswerten, und die Daten dem Staatsanwalt mitteilen. Die Beweislage ist also kompliziert. Dem oben erwähnten Autofahrer wurde übrigens nicht das Auslesen der Fahrzeugdaten und damit der Müdigkeitswarner zum Verhängnis. Eine Dashcam filmte, wie der Fahrer mehrfach von Spurhalte- und Bremsassistent auf seine Müdigkeit hingewiesen wurde. Er hätte also reagieren müssen – schlief aber am Steuer an. |