150.000 Fans und der VW-Regent reisen zum Wörthersee – trotzdem fühlt es sich leer an: Neben Partyvolk und Konzern-Studien werden getunte GTIs zur Nebensache.
Reifnitz – Adi Stark wirkt nervös. Während seiner Rede zittert seine Stimme, er stolpert über die Ansprache. „Herr Professor Diplom-Ingenieur Piëch“, sagt er, dann „Herr Doktor Piëch.“ Korrekt wäre beides. Heute, zum offiziellen Beginn des 33. GTI-Treffens am Wörthersee, erklärt der Bürgermeister von Maria-Wörth den Kaiser von VW zum Ehrenbürger seiner Gemeinde. „Die höchste Auszeichnung“, betont er, als er die Urkunde überreicht. Piëch lächelt spitz in die Kameras. Das Traditions-Treffen in Österreich ist für das Örtchen Maria-Wörth und für den gigantischen Konzern gleichermaßen wichtig. 150.000 Besucher geben hier an vier Tagen 20 Millionen Euro aus. Das bedeutet viel Geld für die Gemeindekassen, die lokalen Supermärkte, Bierlieferanten, Tankstellen. Der Konzern unterstützt die Veranstaltung und zeigt vier seiner Marken vor Ort: VW, Audi, Seat und Skoda werben mit üppigen Messe-Ständen für die sportlichsten Produkte und bauen eigene Studien für das Treffen. Selten scheint ein Hersteller so nah an seiner Kernzielgruppe zu sein, auf Augenhöhe mit den Autofahrern. Zumindest den ersten Blick. Flaute an der Mischkulnig-TankeQuelle: MOTOR-TALK Der zweite Blick zeigt sich nachts, etwa drei Stunden vor Christi Himmelfahrt. An der Eni-Tankstelle Mischkulnig in Velden trifft sich dann die VW-Szene. Fans sitzen in mehreren Reihen auf dem Bürgersteig, auf der Straße patrouilliert tiefergelegtes und turbogeladenes Blech stolz und lautstark auf und ab. Inhaber Peter Mischkulnig hat von diesem Auflauf und dem damit verbundenen Umsatz an seiner Tanke mal einen Ferrari bezahlt. Doch in diesem Jahr fehlt etwas. Die Autos. Ein grauhaariger T-Shirt-Verkäufer schüttelt ungläubig den Kopf: „Ich bin seit 1996 jedes Jahr hier. Aber so schlimm war es noch nie.“ Früher war ein Parkplatz auf dem Gelände hinter der Tankstelle kaum zu ergattern. Heute bleibt es zur Hälfte leer. Unter den Zeigefreudigen findet sich kaum Extravagantes. „Wenn morgen Abend auch nichts los ist, bauen wir ab.“ Früher, erzählt er, hätten bei ihm vier Personen Shirts, Modellautos und Aufkleber verkauft. Heute sitzt er mit seiner Frau unter dem Zeltdach und langweilt sich. Nur wenige Besucher fahren noch zur Tanke, kaum jemand spielt dort mit dem Pedal. Zwei Polizeistreifen unterbinden jeden Ansatz unnötiger Beschleunigung. Ein Audi-80-Fahrer weiß das nicht. Unter lautem Gröhlen der verbliebenen Schaulustigen rollt er hinter den Beamten in eine Parkbucht. Wörthersee: Die Szene ist genervtQuelle: MOTOR-TALK Das traditionelle Schaufahren hat sich auf die vergangenen Wochen verteilt. Viele Tuner sind genervt von aggressiven Schnapsleichen und der Anwesenheit des Konzerns. Sie reisen trotzdem noch zum See, aber früher: Mittlerweile dauert das Treffen um Reifnitz drei Wochen. Offiziell sind es nur die letzten vier Tage. Dazu kommt die Vorsicht der meisten Gäste. Im vergangenen Jahr zeigte die Polizei sehr deutlich, dass tiefergelegte VW nicht willkommen sind. Angeblich gab es unbegründete Kontrollen und fadenscheinige Anschuldigungen. Eintragungen seien angezweifelt und Fahrzeuge stillgelegt worden. Das möchte niemand mehr riskieren. Der starke Auftritt des Konzerns und das in Folge massive Auftreten der Ordnungshüter haben dem Treffen den Charakter genommen. Wenn die vier Konzernmarken das Tuning-Zentrum in Reifnitz bilden, bleibt kein Raum für Tuning. Denn es zielt an der Idee des Treffens vorbei. Bei dieser Spaß-am-Gas-Party geht es nicht um das, was der Konzern anbietet. Sondern um das, was die Szene daraus baut. Reifnitz steht an Himmelfahrt stillQuelle: MOTOR-TALK Am Tag darauf herrscht weiter Flaute. Auf den Straßen in Reifnitz reihen sich tiefergelegte Golf, Audi A6 auf 20 Zoll, verrostete Polo und geairbrushte Scirocco aneinander. Wie jedes Jahr bewegt sich kaum ein Auto, die ganze Stadt steht im Stau. Getreu dem Motto „wer langsamer fährt, wird länger gesehen“ rollen die Tuner gemütlich weiter, wenn sich eine Lücke auftut. Trotzdem dauert eine Ortsdurchfahrt „nur“ fünf Minuten. In besseren Zeiten warteten die Tuner eine Stunde. An den Trends ändert sich seit Jahren nur wenig. Vom 80er-Jahre-Breitbau bis zum Airrider mit gummibedampften Riesen-Felgen fährt, parkt und hupt in Reifnitz alles, was das Tunerherz begehrt. Längst geht es nicht mehr nur um den GTI, alle Konzernmarken sind vertreten. Mittendrin wollen eine Hand voll Ferrari, Mercedes und BMW ein paar Blicke erhaschen. Piëch wünscht sich mehr Marken am SeeEine Genugtuung für den frisch gekürten Ehrenbürger der Gemeinde Maria-Wörth. Denn eigentlich geht es doch nur ums Geschäft. Das denkt er nicht nur, das sagt er ganz offen: Piëch findet, dass der GTI den Einstieg in die Welt sportlicher Autos markiert. Und die „tüchtigen Golf-Fahrer“ von heute könnten sich in Zukunft einen Porsche, Bentley oder Lamborghini leisten. Deshalb sollen bald weitere Marken mit großen Ständen zum Wörthersee reisen. Quelle: MOTOR-TALK So lange wie an diesem Tag hört man Piëch sehr selten sprechen. Er erzählt von einem schlechten Jahr, in dem seine Frau Ursula und er die Reise der Mitarbeiter zum See aus eigener Tasche bezahlt hätten. „Aber inzwischen geht es uns ja etwas besser“, beendet er seine Rede mit einem Schmunzeln. Seine Zuhörer applaudieren. Danach flaniert das Ehepaar ein paar Hundert Meter durch Reifnitz, dann wird es in das eigene Haus am Wörthersee chauffiert. Die Fans wollen ihr Treffen zurückEs ist viel los rund um den See. Aber es fühlt sich inhaltsleer an. Das Treffen läuft ordentlich, nur wenige fallen auf. Was fehlt, wenn alles so geschmiert läuft wie die VW-Marken? Die pfeifenden Turbos, das Kreischen der Reifen, Lust und Leistung zum Sehen und Fühlen. Weniger Korn, Brause und Konzern, dafür mehr Autos, die Können, was sonst kaum ein anderes kann Aussteller bleiben den Treffen fern, Fans folgen diesem Beispiel. Bei Mischkulnig ist es am Donnerstag noch leerer. Die Veranstaltung hat sich schon ein paar Wochen vorher auf die umliegenden Regionen verlagert. Das „GTI-Mekka“ von einst wirkt heute austauschbar, manchmal fast wie ausgetauscht. Quelle: MOTOR-TALK |