Sindelfingen - Die Welt ist schlecht, und das ist gut so. Zumindest für Menschen wie Markus Nast. Als Produktmanager für Mercedes‘ gepanzerte Flotte namens „Guard“ verdient er sein Geld mit der Angst von Politikern, Potentaten und Prominenten.
Im Keller des Mercedes-Werkes in Sindelfingen peitschen drei Schüsse durch den schummrigen Raum, und über das Gesicht des Ingenieurs huscht ein zufriedenes Lächeln. Er kann es kaum erwarten, bis sich der Pulverdampf verzogen hat. Schnell öffnet er die Stahltür, läuft in den Schießstand und begutachtet die armdicke Glasscheibe, auf der gerade drei Gewehrkugeln eingeschlagen sind.
Von vorn sieht man Millionen von feinen Rissen, pulverisierte Splitter, weißes Mehl rieselt aus tiefen Löchern. „Doch auf der Rückseite ist die Scheibe völlig unversehrt“, sagt er zufrieden, streicht mit dem Finger über das glatte Glas.
Kugeln statt Crashs
Daimler-Produktmanager Markus Nast verdient sein Geld mit der Angst wohlhabender und prominenter Menschen vor Terror und Verbrechen Quelle: Daimler
Die Beschussprüfung im frisch modernisierten Schießstand ist bei Mercedes eine der wichtigsten Stationen bei der Entwicklung der gepanzerten, so genannten Guard-Modelle. Die schützen seit mittlerweile über 80 Jahren Leib und Leben prominenter Kunden. Denn mancher denkt bei Sicherheit im Auto nicht an Crashs, sondern an Kugeln.
Die Panzerwagen bauen Menschen von Hand in einer Manufaktur in Sindelfingen. Und die hat gut zu tun. Allerdings will Markus Nast nicht verraten, wie viele der 30.000 Fahrzeuge, die pro Jahr in den unterschiedlichsten Schutzklassen verkauft werden, tatsächlich von Mercedes kommen. Selbst die exakte Zahl der Mitarbeiter ist streng geheim.
Zu sehen sind in der zweigeschossigen Halle weit über 100 Mechaniker, die an mindestens ebenso vielen Fahrzeugen arbeiten. Ein Jahr nach dem Generationswechsel der S-Klasse wird hier jetzt auch das Flaggschiff der Schwaben zum Hochsicherheitsobjekt aufgerüstet, daneben stehen E-, M- und G-Klassen. Seit Mercedes 1935 den ersten Guard für den japanischen Kaiser Hiroito gebaut hat, belieferten die Schwaben rund 90 Regierungen und Königshäuser.
200.000 Euro Aufpreis
Die wenigsten Panzer-Autos haben das Niveau der S-Klasse oder vergleichbarer Modelle von BMW und Audi. Die meisten Autos haben eine niedrigere Schutzklasse und werden oft nachträglich umgerüstet. Sie schützen nicht vor Terrorangriffen, sondern vor allem vor Zufallskriminalität: „Da reicht es, wenn einem an der Ampel niemand mit einer Pistole an der Seitenscheibe drohen kann“, skizziert Nast das Anwenderszenario.
Beschusstest: Außen darf das dicke Panzerglas splittern, innen nicht Quelle: Daimler
Wer wirklich um Leib und Leben fürchtet, von Berufswegen im Kreuzfeuer steht oder extrem unbeliebt ist, fährt dagegen Autos wie den neuen S Guard. Der basiert auf der Langversion des S 600 und kostet schnell mal 200.000 Euro Aufpreis gegenüber dem Serienmodell, verrät Nast.
„Doch dieses Geld ist gut angelegt“, sagt der Mercedes-Mann. In der Manufaktur schweißen und schrauben die Techniker drei Monate lang weitgehend von Hand rund 500 zum Teil zentimeterdicke Stahlplatten an die Rohkarosse. So wird aus der Fahrgastzelle ein nahezu hermetisch abgeriegelter Sicherheitskäfig.
„Der ist so hart, dass selbst Hochgeschwindigkeitsgeschosse aus einem militärischen Gewehr daran förmlich pulverisiert werden“, sagt Nast und zieht zum Beweis eine gerade beschossene Stahlplatte hervor, die man nur abstauben und neu lackieren müsste.
Ausgekleidet sind die Karosserien mit speziellen Aramid-Matten, aus denen auch schusssichere Westen gemacht werden. Und statt der konventionellen Scheiben setzen sie jenes Panzerglas ein, das gerade im Schusskanal getestet wurde. Allein die Frontscheibe wiegt fast drei Zentner.
Das erfordert auch eine aufgerüstete Technik: Zum Beispiel hydraulische Fensterheber, weil die normalen E-Motoren dieses Gewicht nicht stemmen können.
Kaum zu knacken
Das Ergebnis sei, sagt Nast, mit herkömmlichen Waffen nicht zu knacken. Wer ihm das nicht glaubt, dem zeigt er eine Urkunde des Beschussamtes in Ulm. Diese Behörde ist eine Art staatlicher Waffen-TÜV. Zwischen 400 und 500 Schüsse haben die Beamten auf die Panzer-S-Klasse abgegeben und dabei vor allem auf neuralgische Punkte wie den Übergang von Tür und Karosserie gezielt.
Im Untergeschoss des Sindelfinger Werks schraubt eine geheime Anzahl von Mitarbeitern an den gepanzerten Mercedes-Modellen Quelle: Daimler
Zwar sah das Auto danach nicht mehr gut aus. Aber es drangen keine Projektile oder Splitter in den Innenraum. Selbst je zwei Handgranaten auf dem Dach und unter dem Boden und eine zusätzliche Sprengladung hätten Insassen unverletzt überlebt. Natürlich saßen nur Dummy-Puppen im Auto.
Käufer werden überprüft
„Im Prinzip kann diese Autos bei uns jeder bestellen“, sagt Produktmanager Nast. Aber nicht jeder wird auch einen bekommen. Daimler überprüft die Kunden auf einen einwandfreien Leumund. Gepanzerte Geländewagen fallen teilweise unter das Kriegswaffenkontrollgesetz und benötigen deshalb eine spezielle Ausfuhrgenehmigung.
Bei anderen Guard-Modellen gibt es eine gründliche Prüfung durch den Handel, sagt Nast. Zwar muss der Händler nicht entscheiden, ob der Kunde politisch komplett korrekt sei; an Kriminelle oder über schwarze Kassen würden die Wagen aber nicht verkauft.
Ungewöhnliche Wünsche gibt es auch, aber nicht alles, was geht, wird auch gebaut. Frischluftanlagen gegen Giftgas-Angriffe, automatische Feuerlöschsysteme, schusssichere Tanks? Alles kein Problem.
Aus der Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt weiß Nast von streng geheimen Extras für die verschlüsselte Datenkommunikation der Regierung. Aber Türgriffe, die man unter Strom setzen kann, Nebelwerfer, Ölkanonen, oder Krähenfüße, die man aus dem Fahrzeugheck fallen lässt? Nast winkt ab: „Wir sind hier schließlich bei Mercedes-Benz, nicht bei James Bond.“
Quelle: SP-X