Nachdem die Mineralölbranche in der vergangenen Woche mit dem Stopp der E10-Einführung dem Boykott der Verbraucher Rechnung trug, hat die Bundesregierung heute unter Federführung des Wirtschaftsministers Rainer Brüderle einen „Benzin-Gipfel“ veranstaltet. Bundeswirtschaftsminister Brüderle stellte erleichtert fest, E10 sei nach Auffassung aller Beteiligten der richtige Weg. Darauf hätten sich alle beteiligten Seiten geeinigt. E10 sei Teil der Strategie zur Einführung von Kraftstoff aus Biomasse, die notwendig sei, um positive Umwelteffekte mit der Verringerung der Abhängigkeit vom Erdöl zu verbinden. Umweltminister Norbert Röttgen hob besonders hervor, dass man mittelfristig nicht mehr seinen Energiebedarf bei Despoten wie Gaddafi decken wolle. Zudem sei der Ölpreis sehr instabil und seit Jahren im Steigen begriffen. Derzeit habe E10 eine Marktdurchdringung von 40 Prozent, so Röttgen. Das heißt, laut Bundesumweltministerium tanken derzeit 40 Prozent der Pkw, die für E10 zugelassen sind, das neue Superbenzin. Alle Parteien bekennen sich zu E10 Die Automobilwirtschaft, die Mineralölwirtschaft, die großen Automobilclubs ADAC und AVD, die Landwirtschaft und Bioethanolwirtschaft sowie die Bundesregierung bekannten sich geschlossen und ohne Vorbehalte zur Einführung von E10. Alle Beteiligten wollen aber ihr Informationsangebot ausbauen. So sollen in Zukunft an Tankstellen und in Werkstätten die DAT-Listen ausliegen, damit sich Verbraucher direkt über die Herstellerangaben zur E10-Verträglichkeit ihrer Autos informieren können. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) sagte, die Aussagen der Hersteller in der DAT-Liste seien rechtsverbindlich. Was das konkret im Zusammenhang mit Gewährleistungen bedeutet, wollte er allerdings nicht genauer ausführen und verwies auf das Zivilrecht. Umwelt: Röttgen will Zweifel ausräumen Vielfach wurde auch der Umwelt- und Klimaeffekt von E10 in Frage gestellt. Nach Auffassung des Bundesumweltministers ist der positive Effekt zunächst damit sichergestellt, dass Biokraftstoff eine um mindestens 35 Prozent bessere CO2-Bilanz als herkömmliches Benzin haben muss. Andernfalls sei er nicht zulassungsfähig. Das bedeutet allerdings auch, dass E10 Benzin gegenüber E5 einen staatlich garantierten CO2-Vorteil von nur etwa 1,7 Prozent hat. Das Problem der Landumnutzung, bzw. der Abholzung von Regenwald zur Spritherstellung, bezeichnete Röttgen als erkannt. Konkrete Schritte der europäischen Regierungen konnte er aber nicht benennen. Derzeit, so führte der Minister aus. kann Europa seinen Bedarf an Kraftstoff aus Biomasse noch zu 90 Prozent selbst decken. Der Rest kommt aus Brasilien. Raffinerien: Tanks sind voll Durch die große Medienöffentlichkeit hatte sich der Absatz von E10 übers Wochenende weiter verschlechtert. Wie die „Zeit“ meldete, hat die Raffinierie PCK in Schwedt angegeben, bislang 60.000 Tonnen E10 produziert zu haben. Davon wurden aber nur 20.000 Tonnen an die Tankstellen ausgeliefert. Derzeit werde man nur ein Viertel der bestellten E10-Menge los. Für Super Plus, das an der Produktion nur einen Anteil von 5 Prozent hat, sei die Nachfrage derzeit viermal so stark. Aus der Raffinerie PCK kommen immerhin 85 Prozent des Berliner Kraftstoffs. Nun stößt der Hersteller, der als erster von 13 deutschen Raffinerien auf E10 umgestellt hatte, an die Grenzen der Lagerkapazität. Die Tanks sind voll, daher musste die Produktion massiv gedrosselt werden. Zahlenspiele Es fragt sich, wie die von Bundesumweltminister Röttgen attestierte Marktdurchdringung von 40 Prozent zustande kommt, wenn in den Raffinerien nur 25 Prozent der E10-Bestellungen auch abgeholt werden. Denn auch, was abgeholt wird, ist ja noch lange nicht verkauft. Auch in einer derzeit laufenden Umfrage auf MOTOR-TALK geben derzeit sieht die Welt etwas anders aus: Knapp 47 Prozent der Umfrageteilnehmer geben an, E10 zu boykottieren, obwohl sie es tanken dürften. Und immerhin gut 13 Prozent der MOTOR-TALK Nutzer vertrauen den Angaben der Autohersteller nicht. ADAC: Autofahrer bleiben auf Kosten sitzen Der ADAC hat sich zur möglichen Haftung bei Motorschäden geäußert. Nach Auffassung des Automobilclubs bleiben auf möglichen Schäden de facto die Verbraucher sitzen. Selbst wenn das Fahrzeug in der DAT-Liste aufgeführt sei, und der Hersteller damit die E10-Tauglichkeit praktisch gewährleiste, müsse man immer noch nachweisen, dass man immer richtig getankt habe. Der Nachweis, dass ein möglicher Motorschaden tatsächlich auf E10 zurückzuführen ist, dürfte für Privatpersonen ohnehin nur schwer zu führen sein. Dennoch bekannten sich der ADAC und der AVD auf dem dienstäglichen Benzingipfel ohne Vorbehalte zur Einführung von E10. Es könnte also sein, dass die Automobilclubs ihr mediales Störfeuer gegen die Mineralölkonzerne erst einmal einstellen, um ihren Teil zur Erhöhung der Akzeptanz von E10 zu leisten. Ob die Verbraucherverbände ADAC und AVD damit auch die Interessen und Wünsche ihrer Mitglieder auf den Punkt treffen, diese Frage müssen sie sich gefallen lassen.
Autofahrer „falsch informiert“? Fraglich bleibt, ob eine „bessere Informationspolitik“ der beteiligten Verbände und der Politik das Verhältnis der Autofahrer zum Thema E10 wesentlich verbessern wird. Natürlich möchte niemand bestreiten, dass bei der Information der Verbraucher vieles hätte besser laufen können. Aber sind die Verbraucher wirklich uninformiert? Vielleicht haben sie ja auch genau zur Kenntnis genommen, dass, wie der Bundesumweltminister heute bestätigte, E10 gerade mal eine um 1,7 Prozent bessere CO2-Bilanz aufweisen soll als herkömmliches Benzin – wenn in dieser Bilanz denn auch alle umweltpolitischen Seiteneffekte berücksichtigt sind. Und dass eben dieser Umweltnutzen von vielen Naturschutzverbänden, die bisher sicher nicht die großen Freunde der Autofahrer waren, extrem kritisch beurteilt wird. Auch der Umstand, dass ihnen nicht nur intransparente Risiken und ein intransparentes Produkt vorgesetzt wurden, sondern ihnen dies auch noch zu intransparenten Preisen verkauft wurde, haben die Verbraucher sehr genau zur Kenntnis genommen. Sie entschieden sich, lieber für ein bekanntes Produkt einen etwas höheren Preis zu bezahlen. Zur Preispolitik der Mineralölwirtschaft bei E10 hielt sich die Bundesregierung denn heute auch vornehm zurück. Es wurde zwar gesagt, dass Bioethanol im Grunde preislich konkurrenzfähig ist. Aber was heißt das konkret an der Tankstelle? Ist Gaddafi wirklich an allem schuld? Möglicherweise haben sich tatsächlich viele Verbraucher entschieden, diffuse Risiken und einen rechnerischen Mehrverbrauch ohne jeden Preisvorteil nicht in Kauf zu nehmen, um einen ebenso diffusen ökologischen Vorteil zu erzielen. Und möglicherweise ist die starke Fokussierung der Regierung auf den ehemaligen Freund Muammar Gaddafi auch ein Stück weit Ehrlichkeit: Angesichts der instabilen politischen Lage in großen Teilen der arabischen Welt befürchtet man möglicherweise zu Recht, dass die Auswirkungen auf den Ölpreis noch längst nicht absehbar sind. Hier dürfte E10 aber kurzfristig nicht weiterhelfen. Informationskultur: Schlaglichter Ein schönes Stück Informationskultur lieferten auch BMW und die Welt am Sonntag: Die Zeitung hatte mit der Aussage des BMW-Mitarbeiters Thomas Brüner für Wirbel gesorgt, dass alle Motoren eventuell von Langzeitschäden betroffen sein könnten und empfahl, häufiger den Ölstand zu kontrollieren. BMW sah sich genötigt, eine Klarstellung zu dieser Meldung zu veröffentlichen. Der Münchner Autohersteller betonte, man stehe zu der Aussage, dass der Einsatz von E10 in allen BMW-Fahrzeugen mit Benzinmotoren unbedenklich sei, wenn der Motor für Kraftstoff mit der entsprechenden Oktanzahl zugelassen sei. Insbesondere sei ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von E10 Kraftstoff und einem „schnelleren Motorenverschleiß“ fälschlich in die Aussagen des BMW-Mitarbeiters hineininterpretiert worden, so die BMW-Pressestelle. Auch die Ölwechselintervalle wolle BMW nicht verändern. In der Welt-Redaktion bezeichnete man die Aussagen des BMW-Mitarbeiters vom Wochenende als von BMW autorisiert. Die Tagesschau-Redaktion der ARD hat unterdessen beschlossen, zumindest sprachlich für etwas mehr Informations-Hygiene zu sorgen und den Begriff “Biosprit”, der zurzeit die Medien nur so flutet, nicht mehr zu benutzen. Denn ein Anteil von 10 Prozent Pflanzentreibstoff mache Super-Benzin noch lange nicht Bio. (bmt)
Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 08.03.2011
664
MOTOR-TALK (MOTOR-TALK)