Berlin – Auf dem Markplatz in Brescia steht ein Rennwagen neben dem anderen, Alfa Romeo 6C, Fiat 1100MM, Lancia Aprilia Spider. Die Motoren laufen warm, die Fahrer kippen noch schnell einen Espresso und ziehen ihre Lederhauben stramm. Bei der Mille Miglia vor 75 Jahren, mitten im Zweiten Weltkrieg, trugen die meisten Fahrzeuge ein italienisches Emblem auf der Haube. Dennoch waren alle Blicke auf drei kleine deutsche Supersportwagen gerichtet: zwei BMW 328 und ein 328 Berlinetta Touring.
Im Original BMW 2 Liter Sport ist ein Hurth-Vierganggetriebe verbaut Quelle: MOTOR-TALK / Fabian Hoberg
Offen, schnittig, schnell und leicht fuhr der BMW durch die Dörfer quer durch Italien, von Brescia bis nach Rom und wieder zurück nach Brescia. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 166 km/h raste Fritz Huschke von Hanstein mit dem 328 Berlinetta Touring zum Sieg. Ohne Dach flog er über die Straßen, kurbelte wild und entschlossen am Lenkrad. Auf dem Kopf trug er nur eine dünne Lederhaube, darüber schien die Sonne am italienischen Himmel.
Comeback nach 75 Jahren
75 Jahre nach seinem letzten Start rollt der einstige Supersportwagen noch einmal durch Italien, 1.760 Kilometer von Brescia nach Rom. Dabei trifft er unter anderem auf den jüngeren Mercedes-Benz 300 SLR Flügeltürer von 1955, auf den Alfa Romeo 1900 Sport Spider von 1954 und den Alfa Romeo 750 Competizione von 1955. Kurz vor dem Start durfte MOTOR-TALK mit dem legendären Oldie fahren.
Der Klassiker ist perfekt restauriert - und verlangt nach wie vor viel von seinem Fahrer. Er ist ein Sportgerät der 1930er-Jahre: 830 Kilo Leergewicht, zwei Sitze, Sechszylinder mit 80 PS. Das reichte 1936, um gleich ab dem ersten Rennen der Konkurrenz die Rückleuchten zu zeigen. 1938 fuhren vier Fahrzeuge bei der Mille Miglia Klassensiege ein und belegten im Gesamtklassement die Ränge acht, zehn, elf und zwölf. Ein Jahr später dann der Sieg von Huschke von Hanstein in seinem stromlinienförmige 328er mit 120 PS.
464 Fahrzeuge für 7.400 Reichsmark das Stück
Die offizielle Bezeichnung des Oldtimers lautet BMW 2 Liter Sport Quelle: MOTOR-TALK / Fabian Hoberg
Zu dieser Zeit wurde der Renner schon nicht mehr gebaut und war bereits eine Legende. Zwischen der Serienproduktion in Eisenach im April 1937 und Kriegsausbruch 1939 entstanden nur 464 Fahrzeuge, die 7.400 Reichsmark kosteten. Zum Vergleich: Die 1936 vorgestellte neue NSU Quick gab es für 290 Reichsmark und das Jahreseinkommen lag im Durchschnitt bei 1.783 Reichsmark. Nur etwa 200 Exemplare haben bis heute überlebt. Unser blauer BMW 328 ist das fünfte gebaute Auto der Serie und hat einen geschätzten Wert von mehr als 750.000 Euro.
Die kleinen Türen öffnen sich nur von innen, sie schwingen knarzend auf. Mit etwas Akrobatik und noch mehr Übung gelingt ein schmerzfreier Einstieg. Das wagenradgroße Lenkrad erschwert das Hinsetzen auf die breiten Sessel. Das Dreispeichen-Lenkrad aus Bakelit mit seinem Zeigefinger-dünnen Kranz drückt auf die Oberschenkel.
Doch wenn der Motor erwacht, verschwinden alle Qualen. Der Sechszylinder ist die Mutter aller Sportmotoren. Er war seiner Zeit weit voraus: bissig, kraftvoll, schnell und laut, dazu standfest und wartungsfreundlich. 80 PS aus 2,0 Liter Hubraum klingen nach heutigen Maßstäben nach motorisiertem Einkaufswagen. Vor knapp 80 Jahren war das Supersportwagen-Niveau. Auch heute noch schüttelt der Motor seine Leistung lässig aus den Zylindern, dreht bis 5.000 Touren singend hoch. Das maximale Drehmoment von 125 Newtonmetern liegt bei 4.500 Touren – diese Leistung reicht für 150 Sachen.
Bis zu 5.000 Touren
Der blaue BMW 328 ist das Fünfte von 464 gebauten Modellen Quelle: MOTOR-TALK / Fabian Hoberg
Das Geheimnis liegt im Zylinderkopf. Die Aneinanderreihung von Stößelstange, Kipphebel fürs Einlassventil, zweiter Stößelstange und Kipphebel fürs Auslassventil sorgt für ein leistungsfähiges Gemisch in den Brennräumen und einen schnellen Gaswechsel. Das Gestänge sieht fragil aus, lässt aber im Renntrimm Drehzahlen bis zu 6.000 Touren zu. Bei den Rennen wie der Mille Miglia nutzten das die BMW-Piloten aus.
Der große Tourenzähler zittert aufgeregt bei jedem kurzen Fußstoß. Der erste Gang flutscht rein und mit leisem Differenzial-Geheule schüttelt der BMW los. Kurz Zwischengas und ein Griff zum lang gekröpften Schaltknüppel. Trotz langen Hubs ist der Sechszylinder ein Freund von hohen Drehzahlen – bis zu 5.000 Touren verträgt das Serien-Triebwerk. Auf den ersten Kilometern schalten wir früh, bis der Motor richtig warm ist.
Die Hitze des Motors wärmt die Waden
Im dritten und vierten Gang berührt die rechte Hand den Oberschenkel des Beifahrers. Der bemerkt das nicht, versucht sich irgendwo im Auto festzuhalten, mit Angst in den Augen und schwitzigen Händen. In den ersten schnell gefahrenen Kurven wimmern die schmalen Reifen und das Heck tanzt einen Charleston. Ganz leicht, sehr langsam, fast zurückhaltend edel.
Also kurz anbremsen, Zwischengas geben, einen Gang runter schalten und mit etwas Gas in die nächste Kurve. Der mittlerweile heiße Motor strahlt in den Innenraum, wärmt Waden und Oberschenkel, die heiße Luft zieht bis an die Ohren. Der BMW liegt dank tiefer Sitzposition, 16-Zoll-Rädern und einem harten, aber hydraulischem Fahrwerk satt auf der Straße, mit den hydraulischen Trommelbremsen bleibt meine Angst zu Hause. Für ein fast 80 Jahre altes Auto fährt sich der BMW 2 Liter Sport, so die offizielle Bezeichnung, erstaunlich einfach.
Das liegt auch am Getriebe: Statt des originalen teilsynchronisierten Hurth-Vierganggetriebes sitzt heute hinterm Motor ein Volvo-Getriebe aus den 1960er-Jahren. Die originale Schaltbox lässt sich nicht nur schwierig bedienen, sondern verträgt auch auf Dauer die Leistung nicht. Das synchronisierte Viergang-Getriebe des Volvo Amazon passt super und lässt sich einfach schalten – zumindest mit ein bisschen Zwischengas und bei der richtigen Drehzahl.