Verkehrsforscher proklamieren bereits das Ende des privaten Fahrzeugbesitzes. Passende Geschäftsmodelle für jetzt und später gibt es auch schon. Tatsächlich kann man heute in den meisten Ballungsräumen auch ganz gut ohne Auto zurechtkommen: Die Konzepte, die uns die Zukunft der Mobilität schon heute versprechen, schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Daneben garantieren öffentliche Verkehrsmittel und Zweiräder weiterhin eine Grundmobilität. Was Verkehrs- und Konsumforscher festgestellt haben: Immer mehr junge Leute, die überwiegend in Städten wohnen, wollen gar kein eigenes Auto mehr haben. Sie scheuen die Kapitalbindung, die Folgekosten und den Aufwand durch Wartung und Reparaturen. Vor allem aber scheuen sie die permanente und oft kostenpflichtige Parkplatzsuche in den Ballungsräumen. Diese Zielgruppe, so die Annahme der Experten, wird in Zukunft erheblich anwachsen. Hauptgründe dafür sind weiter steigende Autokosten ebenso wie gestiegenes Umweltbewusstsein und schlicht verstopfte Städte. In Zukunft, davon wird ausgegangen, wollen immer mehr Menschen Mobilität „konsumieren“ und dabei flexibel sein anstatt selbst ein Auto zu besitzen. Automobilbranche muss umdenken Das Entstehen einer solchen neuen Zielgruppe, die sich in Meinungsumfragen als Trend immer deutlicher zeigt, zwingt nicht zuletzt die Autohersteller zum Umdenken. Denn auch wenn diese Personengruppe gut verdient, ist es unwahrscheinlich, dass sie ein Auto kauft. Wenn die Automobilbauer diese Zielgruppe bedienen wollen, müssen sie ihr also etwas anderes verkaufen als ein eigenes Auto. Deshalb experimentieren die Autohersteller zunehmend mit innovativen Car Sharing Angeboten. Ein Vorreiter ist Peugeot. Die Franzosen wollen mit „Mu by Peugeot“ genau diese Gruppe ansprechen. Bei Mu werden Peugeot-Händler zu Mobilitätsdienstleistern: Die Anmeldung ist unverbindlich, und per Prepaid-Guthaben kann man sich aus dem Fuhrpark seiner Station ein Fahrzeug nach Bedarf mieten. Das Angebot reicht dabei vom Elektrofahrrad bis zum Kleinlaster. Das ist in Teilen ein recht flexibles Modell, wenn man das Was betrachtet: Ein Mu by Peugeot Kunde muss sich nicht an ein bestimmtes Fahrzeug binden. Er kann spontan entscheiden, was er fahren möchte. Sei es ein Scooter für den schnellen Stadttrip, ein Cabrio für den Ausflug, ein Kombi für die Fernreise mit der Familie oder ein Transporter für den Umzug. Unflexibel ist das Peugeot-Modell aber dann, wenn es um das Wo geht. Denn der Kunde muss erst mal zur Abhol-Station. Und, wenn er dort nicht vorbestellt hat, guckt er auch mal in die Röhre. Daimler testet die totale Flexibilität Abhilfe verspricht Daimler, die derzeit in zwei deutschen Städten ihr „car2go“ erproben. Ein „car to go“ kann man theoretisch überall finden und überall abstellen. Der Kunde muss also nicht erst mal eine Station anfahren, er kann idealerweise in seiner Straße in einen Leih-Smart steigen und zur Arbeit fahren. Er muss den Wagen nur mit seinem Smartphone oder Computer orten und aufsuchen. Das klingt sehr verlockend und funktioniert heute schon - in Städten mit genügend zusätzlicher Parkfläche für die vielen Fahrzeuge. Von einer flächendeckenden, verlässlichen Abdeckung ist das Modell aber noch weit entfernt: In der Großstadt Hamburg besteht die Versuchsflotte aus 300 Fahrzeugen. BMW erprobt mit Drive Now derzeit ein ähnliches System. Neuer Trend: Privates Car Sharing Zudem wildert die Automobilbranche damit im Revier der klassischen Car Sharing Agenturen wie Cambio oder DB Car Sharing. Dabei steht das Geschäftsmodell ohnehin schon unter Druck. Pionier einer neuen, cleveren Idee war das Aachener Startup Tamyca. Dort dachte man sich, Car Sharing gut und schön, aber wozu extra neue Autos kaufen? Es stehen doch überall genug davon herum. Es entstand die Idee einer Car Sharing-Börse von privat zu privat. Interessenten kontaktieren auf der Plattform des Anbieters den Halter des für sie interessanten Fahrzeugs. Der kann seine Preise selber festlegen und auch Mieter ablehnen, wenn ihm die Anfrage suspekt ist oder er seinem alten Polo keine Nordafrika-Safari mehr zutraut. Der Pferdefuß des Konzepts ist natürlich die Versicherung. Recht schnell zeigte sich aber, dass die Versicherungsbranche gerne mitspielte: Über eine Pauschale ist der Vermieter vollkaskogeschützt, auch seine Schadensfreiheitsklasse wird über einen Rabattretter abgesichert. Voraussetzung ist allerdings, dass der Versicherungsschutz der Haftpflicht übertragbar ist. Für die Versicherung und die Vermittlung zahlt der Mieter 7,50 Euro zusätzlich zum Mietpreis an den Seitenbetreiber. Die Idee fand schnell Nachahmer. Vor allem in Ballungsräumen ist sie nicht ohne Charme, erhöht sie doch die Mobilität, ohne mehr Parkplätze zu verbrauchen. Wer auf sein Auto mal verzichten kann, kann seine Autokosten reduzieren. Wer das nicht hat, zahlt in der Regel deutlich weniger als bei einer Autovermietung. Eine neue Plattform namens frents.com treibt die Idee sogar noch weiter. Hier kann man praktisch alles vermieten, was nicht niet- und nagelfest ist. Wobei diese Plattitüde nicht einmal zutrifft, denn auch seine Wohnung kann man hier verleihen. Der Klassiker: Mitfahrbörsen Mitfahrbörsen gibt es schon seit Jahrzehnten. Waren sie früher wie Reisebüros organisiert, hat das Internet hier vieles schon lange vereinfacht. Durchgesetzt haben sich Online-Mitfahrbörsen wie mitfahrgelegenheit.de. Hier können Nutzer Mitfahrten anbieten oder Gesuche aufgeben, passende Mitfahrgelegenheiten suchen und sich zur Fahrt verabreden. Vorteil: Spezielle Versicherungsfragen stellen sich normalerweise nicht, der Autobesitzer fährt ein eigenes Auto und gibt es nicht aus der Hand. Als Mitfahrer kann man oft viel Geld gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln sparen. Nachteil: Das System bedarf eines Minimums an Vorlauf und Planung und ist deshalb eigentlich nur für gelegentliche längere oder regelmäßige Fahrten wirklich interessant. Und ein bisschen Abenteuer ist auch immer dabei, zu Fremden ins Auto zu steigen - was nicht jedem gefällt. Mitfahrbörse 2.0 Eine neue Idee, sozusagen eine Mitfahrbörse 2.0, möchte die Plattform flinc.org aufbauen. Neben dem heimischen PC werden die neuen Möglichkeiten mobiler Endgeräte wie Smartphone-Apps und Navigationsgeräten für eine Echtzeit-Vermittlung von Mitfahrgelegenheiten genutzt. Damit kann Mitfahren deutlich spontaner und auch für Kurzstrecken interessant werden. Zusätzlich bietet die Plattform eine soziale Netzwerkstruktur, ähnlich wie Facebook. Die Betreiber nennen das Mobilitäts- und Vertrauensnetzwerk: Je mehr Freundschaften man schließt, desto vernetzter ist man unterwegs. Damit soll das Abenteuer langfristig aus dem Mitfahrbörsen-Konstrukt verschwinden und durch ein „social mobility network“ ersetzt werden. Gemeinsame Nutzung privater Fahrzeuge Wohin man also schaut, die Konzepte für die Mobilität ohne eigenes Auto entstehen derzeit im Dutzend. Ihnen gemeinsam ist, dass sie auf die Vorteile des Autos gegenüber Bus und Bahn nicht verzichten wollen. Allerdings muss es eben nicht mehr das eigene Auto sein. Basierend auf alten Ansätzen wie Car Sharing, Autovermietung und Mitfahrbörse entstehen neue Geschäftsmodelle. Auf Seiten der Hersteller gehört es derzeit zum guten Ton, sich in Konzepten für die automobile Zukunft zu erproben. Das sind derzeit sicher noch Verlustgeschäfte, aber das muss ja nicht so bleiben. Geld verdienen wollen natürlich auch die Startups mit ihren privat-zu-privat-Vermittlungsideen. Sie heben die Grundentscheidung für oder gegen ein eigenes Auto teilweise auf und setzen dabei auf gemeinsame Nutzung. Autobesitzer haben, so die Hoffnung der Betreiber, ein Interesse daran, ihre Autokosten zu verringern - sei es durch Mitfahrer oder Mieter. So könnten soziale Netzwerke im Internet auch auf der Straße langsam aber sicher ein wichtiger Faktor werden. (bmt)
Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 22.07.2011
408
MOTOR-TALK (MOTOR-TALK)