Elektrische Supersportwagen aus China sind oft nur Versprechen. Der Nio EP9 klingt auch wie eines. Doch die Carbon-Flunder mit 1.380 PS gibt es schon in (Klein-)Serie.
Von Michael Specht London - Das Markenlogo zeigt Himmel und Erde, der Name ist symbolisch aufgeladen: Nio bedeutet so viel wie „Der Himmel wird blau“. Was ja erstmal friedliche Assoziationen weckt. Doch der Nio EP9 ist alles andere als das. Eher ein blaues Wunder als ein laues Sommerlüftchen. 1.360 PS stecken bei dem Supersportwagen unter der flachen Karosserie aus Carbon. Verteilt auf vier Elektromotoren. Damit sprintet der EP9 in 7,1 Sekunden auf Tempo 200, maximal 313 km/h sind möglich. Das Kürzel EP9 soll ja mit Bedeutung gefüllt werden, es steht für "Electric Performance". So also stellt sich Chinas neue Automarke den Eintritt in eine saubere und bessere Welt vor. Wenn aufsehenerregende Elektrosportler vollmundig der Öffentlichkeit präsentiert werden, ist Skepsis angebracht. Anfang Januar präsentierte der chinesische Milliardär Jia Yueting auf der CES in Las Vegas eine Elektrosportwagen-Studie mit 1.000 PS, ernannte sich flugs zum Tesla-Gegner und versprach, schon bald in der Wüste Nevadas eine Fabrik für E-Fahrzeuge zu errichten. Nio EP9: Serienfahrzeug statt Showcar und VersprechungenAusgerüstet werden sollen die Stromer mit Batterien, die doppelt so leistungsfähig seien wie jene renommierter Hersteller. Geschehen ist seitdem wenig. Zwar fahren einige Prototypen in den USA herum, doch die versprochene Fabrik steht noch nicht. Angeblich stockt der Geldfluss. NextEV, das Unternehmen hinter der Marke Nio, will es anders machen. Besser natürlich. Das beginnt schon damit, dass der EP9 keine Studie ist, sondern ein fertiges Serienauto. „Wir gehen nicht mit einem unfertigen Versprechen auf den Markt“, sagt Managing Director Hui Zhang. Kaufen und fahren können werden den sportlichen Super-Stromer allerdings nur Kunden in China. Fünf Exemplare sollen bereits verkauft sein. Den Preis hält man geheim, spricht stattdessen von einem Produktionswert von 1,2 Millionen Dollar. Nio kündigt den EP9 als schnellstes Elektrofahrzeug (313 km/h) der Welt an. Es soll die technische Kompetenz des jungen Unternehmens unter Beweis stellen. Verwendet wird Renntechnik aus der Formel E - die hat NextEV im vergangenen Jahr gewonnen. Doch einige wenige Modelle als „Eye-Catcher“ auf die Räder zu stellen, ist die eine Seite der Medaille. Ob die chinesische Firma wirklich in der Lage ist, eine Serienfertigung bezahlbarer Elektroautos sicher zu stellen, die andere. NextEV mit Mitarbeitern aus der alten IndustrieNextEV ist ein weiterer Quereinsteiger, der seine Zeit nicht mit der Entwicklung konventioneller Autos mit Verbrennungsmotoren verschwenden will. Man weiß schließlich, dass die 130-jährige Erfahrung der etablierten Autoindustrie niemals aufzuholen ist. Also setzt man gleich auf Elektromobilität. Hinter dem Unternehmen steckt ein ganzes Investoren-Konglomerat. Hauptgeldgeber sind unter anderem Tencent (so etwas wie Facebook in China), der Computer-Hersteller Lenovo sowie eine Reihe von Kapitalgesellschaften und Internet-Millionären. Zu letzteren gehört William Li, der Gründer von NextEV. Der 42-Jährige gründete in China 2010 die Plattform bitauto.com, die heute zu den größten Anbietern von Online-Inhalten und Marketing-Dienstleistungen für die chinesische Automobilindustrie zählt. Die Zentrale von NextEV sitzt in Shanghai. Gebaut werden der EP9 und zukünftige Nio-Modelle in Nanjing. Die Konstruktions-, Forschungs- und Entwicklungszentren sind in San José, Peking, Hongkong und London angesiedelt. München beherbergt das Design sowie die Marken- und Produktentwicklung. Im vornehmen Stadtteil Bogenhausen arbeiten derzeit 75 Designer aus 26 Nationen. NextEV hat weltweit knapp 2.000 Mitarbeiter rekrutiert. Nicht wenige kommen von Audi, BMW, Bentley, Aston Martin, Mercedes, Alfa Romeo. Nio EP9: 1.000 kW und viermal 1.480 NmDer EP9 verblüfft die Autowelt zunächst mit Leistungsdaten jenseits aller Normalität. Vier Elektromotoren sollen exakt 1.000 kW liefern. Der Physiker würde von einem Megawatt sprechen, die Stammtisch eher von 1.360 PS. Jede E-Maschine liefert unglaubliche 1.480 Newtonmeter Drehmoment aus dem Stand. Es gehört nicht viel Fantasie dazu zu erahnen, was passiert, wenn das Fahrpedal getreten wird. Tempo 100 soll nach 2,7 Sekunden erreicht werden, 200 km/h liegen nach 7,1 Sekunden an. Da kann kaum ein konventionell angetriebenes Auto mithalten. Und der EP9 kann nicht nur geradeaus. Auf der Nordschleife des Nürburgrings unterbot der China-Kracher den Rundenrekord für Elektrofahrzeuge kürzlich um mehr als 16 Sekunden auf 7:05,12 Minuten. Die geballte Energie des Nio EP9 sitzt in den breiten Seitenschwellern. Jedes Batterie-Paket wiegt 320 Kilogramm und lässt sich bei Bedarf in acht Minuten austauschen. Die Reichweite gibt NextEV mit 427 Kilometern an. Den Zulieferer mögen die Chinesen aber nicht nennen. Zumindest die Elektromotoren sollen eine Eigenentwicklung sein. Limitierter EP9: 100 bis 200 StückDie Produktion des 4,89 Meter langen und 2,23 Meter breiten EP9 ist limitiert. Auf wie viele, darauf will man sich noch nicht festlegen. „Je nach Auftragseingängen werden es 100 bis 200 Einheiten sein“, sagt Designchef Kris Tomasson, zuvor bei Ford und BMW unter Vertrag. Parallel bereitet die neue chinesische Automarke den Launch eines zweiten Modells vor, deutlich volksnäher als der EP9. Vermutlich handelt es sich um einen viertürigen Crossover. Er soll Ende 2017 vorgestellt werden und 2018 in den Markt gehen. Ebenfalls nur lokal in China. „Obwohl wir bereits global arbeiten, ist unser Bestreben, die Marke zunächst in der Heimat zu etablieren“, sagt William Li. Vor 2020, so ein Insider, wird in Europa kein Nio-Modell auf der Straße sein. Schade eigentlich. Quelle: sp-x, Michael Specht |