Die Technische Universität München tüftelt an einem Elektro-Auto, das alles besser macht: Der „Visio.M“ soll sparsam, sportlich und günstig sein. Erste Details.
Neubiberg – Die Forscher der TU München können die Lücke zwischen Theorie und Praxis genau beziffern: vier Monate ist sie groß. So lange dauert es noch, dann fährt ihr Elektroauto-Projekt „Visio.M“ so, wie es der Computer berechnet hat. Ein sparsames, günstiges Elektroauto, dem die Entwickler sogar Sportliches nachsagen. Außerdem soll er mehr Kofferraum bieten als ein Mittelklassewagen. Ein stromsparendes Wollmilchauto. Elf Millionen Euro hat das Projekt insgesamt gekostet. Die eine Hälfte kommt vom Staat, die andere von Partnern. Unter ihnen sind bekannte Namen wie BMW, Daimler, Continental, Siemens und Webasto. Der Visio.M sei trotzdem ohne Einfluss von Serienmodellen entstanden – er basiere lediglich auf der Vorgänger-Studie „Mute“. Visio.M: Elektro-Flitzer mit 20 PSQuelle: MOTOR-TALK „Zulassungsfähig wäre er wahrscheinlich jetzt schon“, schätzt Prof. Dr.-Ing. Markus Lienkamp. Der Prototyp wirkt noch sehr provisorisch: Lenkrad, Lichtschalter und Kühlmittel-Ausgleichsbehälter stammen von verschiedenen Audi-Modellen. Im Beifahrer-Fußraum liegen diverse Anschlüsse für den Datenbus, ein Steuergerät klebt mit Panzerband am Mitteltunnel. „Motor und Batterie entsprechen noch nicht dem endgültigen Stand“, erklärt Dipl.-Ing. Patrick Stenner. Außerdem befinden sich unter dem bunten Lack noch rund 30 Kilogramm Spachtelmasse, ergänzt Lienkamp schmunzelnd. Auf einer Messe zählt ein hübsches Kleid mehr als das Idealgewicht. Das beträgt laut Datenblatt 450 Kilogramm. Ohne Batterie, Fahrer, Flüssigkeiten und Zusatzausstattung, aber mit Motor, Eingang-Getriebe und Leistungselektronik. Damit gehört der Visio.M zur gleichen Zulassungsklasse wie ein Renault Twizy. Hier und heute fährt der Flitzer noch etwa 150 Kilogramm Übergewicht spazieren. Elektroauto zum Neupreis eines VW GolfAuf den Datenblättern der Entwickler hat der Visio.M aber längst abgespeckt. Das fahrbereite Auto soll inklusive Fahrer künftig etwa 625 Kilogramm auf die Waage bringen. Aluminium-Rahmen, Carbon-Monocoque und Motorrad-Bremse stecken bereits im Prototyp. Servolenkung oder einen Bremskraftverstärker gibt es nicht, dafür aber ABS und ein programmierbares ESP. Quelle: MOTOR-TALK Trotzdem soll der Elektro-Zweisitzer nicht teurer werden als ein Kleinwagen mit Verbrennungsmotor. Der Preis wird irgendwo zwischen 15.000 und 20.000 Euro liegen. Die Mehrkosten zum Sprit-Säufer oder Erdgas-Verdichter amortisieren sich nach etwa vier bis fünf Jahren über die Stromkosten von 2,50 Euro pro 100 Kilometer. Voraussetzung für die ganze Rechnung sei eine Mindestproduktion von 50.000 Exemplaren pro Jahr. Kompromisse für einen hohen NutzwertWer alles können will, der muss viele Kompromisse eingehen. Der sportliche Gedanke des Visio.M versteht sich deshalb nicht auf dem Niveau eines Porsche 911. Das verhindern schon die Reifen, die an Fahrrad-Pneus erinnern: Auf den selbstgebauten Felgen stecken die Hinterreifen eines VW XL1 in der Dimension 115/70 R16. Ohnehin soll der Visio.M eher pragmatisch sein. Zwei Personen sollen mit etwas Gepäck (500 Liter) bis zu 100 Kilometer weit durch Mitteleuropa fahren können. Das ergibt Maße, die sich irgendwo zwischen einem japanischen Kei-Car und einem VW Up einordnen. Quelle: MOTOR-TALK Lienkamp betont, dass der Visio.M die angepeilte Reichweite im Alltag schaffen wird. „Nach NEFZ-Vorgaben liegt er wahrscheinlich irgendwo bei 160 Kilometern“, denkt er laut. Dabei helfen eine winzige Stirnfläche (1,69 m²), ein guter cW-Wert (derzeit bei 0,24) und der Widerstands-optimierte Antrieb. TUM Visio.M: Kleiner Sport mit großer TechnikZurück zum Sport: Das Universitäts-Projekt darf auf keinen Fall eine müde Elektro-Möhre werden. Eine optimistische Aufgabe bei einer Motorleistung von 15 Kilowatt (etwa 20 PS, kurzzeitig 30 kW), 80 Newtonmeter Drehmoment und Fahrradreifen an den Achsen. Flinke Beschleunigung steht nicht zur Debatte – Tempo 100 erreicht der Visio.M erst nach knapp 13 Sekunden. Trotzdem, das versprechen alle Entwickler, fühlt er sich unglaublich sportlich und agil an. Eine erste Sitzprobe bestätigt den sportlichen Eindruck – im Innenraum gibt es schließlich nur das Nötigste. Auf einem Handling-Parcours demonstrieren die Techniker dann ihre Lösung für das Leistungsdefizit: Mit einem tiefen Schwerpunkt (45 Zentimeter), wenig ungefederter Masse und Torque Vectoring an der Antriebsachse wedelt der Flitzer flink und flott um die Pylonen. Eigene Fahreindrücke dürfen wir aber erst im Oktober sammeln. Die Industrie bestimmt die SerienfertigungOb aus der Studie bald ein cooles Single-Mobil oder Muttis Einkaufswagen wird, das entscheiden die Partner. Eine Serienumsetzung ohne Änderungen scheint quasi ausgeschlossen, da sind sich alle einig. Aber vielleicht schafft es ja zumindest die Idee des praxistauglichen, günstigen Elektro-Autos auf den Fahrzeug-Markt. Visio.M: Technische Daten
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