Irgendwann einmal muss jedes Vorspiel ein Ende haben: Der Jaguar XE absolviert wenige Monate vor seiner Markteinführung seine letzten Testfahrten, wir waren dabei.
Sintra/Portugal - Jon Darlington wirkt ein wenig genervt. Zu oft hat der Ingenieur die Geschichte des Jaguar XE gehört oder gar selbst erzählt. Doch er weiß, wie wichtig das Mittelklassemodell für den Autohersteller ist. Es geht um Milliarden-Investitionen in Entwicklung, Produktion und eine neue Motorenfamilie. Man will vorangehen in der Aluminium-Konstruktion und aus der feinen, aber kleinen Jaguar-Nische heraus. Deshalb gab es bei Jaguar in den vergangenen zwei Jahren – abgesehen vom F-Type – kein anderes Thema. Als Projektleiter für den XE hat Darlington jetzt nur noch einen Wunsch: Dass das Auto endlich fährt und die Geschichte ein Happy End bekommt. „Es braucht nur 500 Meter am Steuer, dann versteht man das Auto ganz von selbst“, sagt der Ingenieur und reicht die Zündschlüssel für die allerletzten Prototypen weiter. Der erste Mittelklässler mit Alu-KarosserieDer Startknopf pulsiert mit beinahe hypnotischer Kraft in der Mittelkonsole. Wenn der Motor das erste Mal faucht, wirkt der XE gleich viel lebendiger als seine deutschen Konkurrenten. Quelle: Jaguar Damit das kein leeres Versprechen bleibt, haben Darlington und seine Mannschaft tief in die Trickkiste gegriffen. Eine adaptive Federung, zwei Programmierungen für die elektrische Servolenkung, unterschiedliche Setups für Gaspedal und Automatikgetriebe und die kurvengerechte Verteilung des Drehmoments durch gezielte Bremseingriffe – das bieten die meisten Konkurrenten allerdings auch. Einzigartig ist hingegen das Drumherum: Als erstes Auto seiner Klasse bekommt der XE eine Karosserie, die komplett aus Aluminium gefertigt ist. „Das hilft uns gleich doppelt“, sagt der Projektleiter. Zum einen, weil der leichteste XE damit nur 1.470 Kilo wiegt und mit diesem Klassenbestgewicht auch am leichtfüßigsten um die Kurve fährt. Zum anderen, weil die Aluprofile steifer sind als solche aus Blech und im XE deshalb mehr Ruhe herrscht. Das Ergebnis ist ein Auto mit zwei Gesichtern. Giftig und gierig, wenn dem Fahrer der Kamm schwillt und er alle Systeme auf Attacke schaltet. Geschmeidig und gelassen, wenn man in der Komfortstellung einfach nur Kilometer fressen will. Drei Vierzylinder und ein V6Seinen Raubzug gegen die Platzhirsche von Audi, BMW und Mercedes beginnt der Jaguar zunächst mit fünf Motoren: Für die Fraktion der Vernünftigen gibt es einen nagelneuen 2,0-Liter-Diesel mit 163 PS und einem respektablen Knauser-Normverbrauch von 3,8 Litern. Oder man wählt 180 PS und bekommt dafür einen Antritt, der gut zu den sportlichen Ambitionen des Hoffnungsträgers passt. Bei den Benzinern gibt es den ebenfalls neuen 2,0-Liter-Vierzylinder mit 200 oder 240 PS sowie einen standesgemäßen V6-Motor, dem ein Kompressor 340 PS und bis zu 450 Newtonmeter entlocken. Der Motor knurrt nicht nur so laut und leidenschaftlich, wie man es von Jaguar erwartet. Er beschleunigt die Limousine auch in ambitionierten 5,1 Sekunden auf Tempo 100 und lässt sich das Limit von 250 km/h nur ein Schulterzucken kosten. Mal laut und leistungsstark, mal entspannt, leise und lässig – was den Fahrer angeht, muss sich Darlington für den XE keine Sorgen machen. Selbst wenn der Jaguar bei der Dynamik nicht ganz an den BMW 3er heranreicht und sich beim Komfort der C-Klasse geschlagen geben muss, bietet der XE in der Summe seiner Fahreigenschaften ein prächtiges Paket und wird zum aussichtsreichen Verfolger. Jaguars Pläne: Kein Kombi, dafür ein SUVBei den Passagieren im Fond sieht das ein bisschen anders aus. Denn auf der Rückbank geht es genau wie im Kofferraum einen Tick enger zu als bei der Konkurrenz. Ein Kombi mit mehr Platz für Kind und Kegel ist fürs Erste nicht geplant, sagt Darlington. Dafür schreiben seine Kollegen bereits an der nächsten Story: Auf der Alu-Architektur des XE soll ab 2016 das SUV F-Pace fahren. Der wird sicher genug Platz bieten. Doch das liegt für Darlington in ferner Zukunft. Viel greifbarer: Im Juni beginnt die Markteinführung des XE, zu Preisen ab 36.500 Euro. Damit ist sein Job fürs Erste erledigt. Auch Peter Modelhart freut sich auf Juni. Für den Deutschlandchef von Jaguar und Land Rover geht es dann erst richtig los. Schließlich hofft er, dass mit der Markteinführung ein „neues Kapitel in der Erfolgsgeschichte von Jaguar“ beginnt. Das kann die britische Traditionsmarke auch gut gebrauchen. Denn während die Schwestermarke Land Rover von einem Rekord zum anderen fährt, tut sich Jaguar schwer. Doch Modelhart sprüht förmlich vor Zuversicht: „Unser Image haben wir mit dem F-Type bereits ordentlich aufgeladen. Und mit dem XE bringen wir jetzt die Stückzahlen nach oben.“ |