Es ist die alte Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär. Ein Berliner Junge träumt vom Leben als Rennfahrer, zockt auf der Playstation – und startet am Wochenende mit Nick Heidfeld beim größten Autorennen der Welt.
Quelle: MOTOR-TALK, Christoph Michaelis Berlin – Um das Wunder des Florian Strauss zu verstehen, müssen wir erst einen Blick voraus und dann einen zurück werfen. Kommender Samstag, 21. Juni, irgendwann zwischen 19 und 20 Uhr. Die deutsche Nationalmannschaft bereitet sich auf das Spiel gegen den zweiten Gruppengegner Ghana vor, während Florian Strauss in der Box 24 auf seinen Einsatz wartet. Gleich steigt er in den 500 PS starken Nissan GT-R Nismo GT3. Eine Rennmaschine, die im Top-Feld der 175 Autos beim 24-Stunden-Rennen fährt. Sein Wagen hat schon zwei Stints hinter sich. Stints sind die Zeitspannen, die ein Fahrer mit einem Auto beim 24-Stunden-Rennen fährt. Im Schnitt wechseln die Fahrer alle zwei Stunden, dabei wird der Wagen getankt, oft die Reifen gewechselt, die Technik gecheckt. Kurz bevor Florian einsteigt, klettert der ehemalige Formel-1-Pilot Nick Heidfeld aus dem Nissan. Die beiden klatschen sich ab. Zwei Rennfahrer, zwei Kollegen. Quelle: MOTOR-TALK, Christoph Michaelis Florian aus Ost-BerlinEin Samstag im Juni 2012. Florian Strauss läuft zu Fuß durch seinen Kiez. Berlin-Friedrichshain ist laut, lebendig, abgerockt, hipp – und absolut nicht autofreundlich. Florian liebt schnelle Autos, aber lebt vom Job bei einer Autovermietung. Seine Liebe pflegt er am Computer. Er fährt Rennen, online, als sesselpupsender Rennfahrer. Wie in 24 Monaten aus dem Friedrichshainer Flo der Rennfahrer Strauss wurde, ist ein wahrgewordener Traum, wie man ihn aus amerikanischen Geschichten kennt. Auch, weil Florian längst kein Junge mehr ist, sondern ein Kerl. Groß, breit, stark, und aktuell 29 Jahre alt. Stefan Bellof, einer der besten deutschen Rennfahrer, Langstrecken-Weltmeister, Deutscher Rennsportmeister und Fahrer-Europameister, starb mit 27. Rennfahrer ohne AutoWenn Florian seine Geschichte erzählt, klingt das etwas absurd. Der Flo, der fuhr viele Autorennen, meist am Rechner, meist in internationalen Ligen. Auf die reale Rennstrecke schaffte er es nur einmal. Das war 2005 im Rahmen eines Sichtungslehrgangs für eine VW-Nachwuchsrennserie. Er schlägt sich gut, und sein Herz schlägt hoch, als er am Ende erfährt: Du kannst ein Cockpit haben. Doch der Abflug erfolgt direkt. Denn ein Cockpit kostet damals ein paar Tausend Euro. Sponsoren kennt Florian nicht, Geld hat seine Familie für so ein Hobby nicht. Quelle: MOTOR-TALK, Christoph Michaelis Heute sieht das ganz anders aus. Der Rennfahrer Strauss flog neulich für einen Lauf der Blancpain-Rennserie nach Silverstone. Mit eigenem Rennhelm, feuerfestem Anzug, große Aufnäher auf seiner Kleidung. Mit seinem Team holte er beim Rennen den Klassensieg. Vom Sofa in den RennsitzGeschafft hat er den Auf- und Einstieg ins reale Renngeschehen über eine stinknormale Playstation mit dem Spiel GT5, einem Logitech-G25-Lenkrad und der GT Academy von Nissan. Dieses Talentprogramm sucht mit Hilfe des Computerspiels Gran Turismo talentierte Nachwuchsfahrer. Als Florian davon hört, und davon, wie weit es der erste Gewinner Lucas Ordoñez danach brachte, griff Florian zu. Er kaufte sich eine Konsole, ein Volant und gab virtuell Gas. Beim ersten Versuch 2012 nahm er die Endausscheidung aber auf die leichte Schulter. Noch an der Playstation war Schluss. 2013 dann der zweite Versuch, die allerletzte Rille. Wenn es jetzt nicht klappt, ist es vorbei, das wusste Florian. Er reißt sich zusammen. Heute hat Florian ein paar Rennen in kleineren britischen Serien hinter sich. Die brauchte er für den Erwerb einer internationalen Lizenz. Seit März weiß er, dass er die 24 Stunden am Nürburgring fahren soll. Silverstone bewies sich schon früh als guter Kurs für ihn. Damals, beim Entscheidungsrennen der GT Academy in Silverstone, erteilte Florian seinen Gegnern eine Lehrstunde in mentaler Stärke. Im Qualifying war ein anderer Fahrer eine Sekunde schneller. Florian startete also vom zweiten Platz. Doch schon beim Start setzte er sich deutlich ab. Als einer seiner Verfolger aufholte, blieb Florian cool. Der Hintermann nicht. Der verbremste sich, und verlor das Ringen um den Sieg. Quelle: MOTOR-TALK, Christoph Michaelis Im Auto mit Nick HeidfeldBeim Rennen am Samstag fahren Florian und sein Team nicht auf Sieg. Dafür ist die Konkurrenz zu stark. Sie wollen mithalten, mit den sehr schnellen Manthey-Porsche, den siegfähigen Audi, BMW und Mercedes. „In die Top Ten zu fahren, das wäre ein ganz schöner Hammer“, sagt Florian. Er selbst sorgt sich nur um zwei Dinge: „Dunkelheit und Regen. Mit beidem habe ich auf der Nordschleife keine Erfahrung. Dunkel wird es auf jeden Fall “. Nach kurzem Überlegen fügt er hinzu: „Regnen wahrscheinlich auch“, und grinst. Rund 50 Runden echte Erfahrung hat er bisher auf der anspruchsvollsten Rundstrecke der Welt, die meisten davon in einem leergeräumten Suzuki Swift. Immerhin: Virtuell sind es ein paar Tausend. |