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Test: Piaggio Ape TM - Der Kasten passt in keine Schublade

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Mit 10 PS und drei Rädern von Berlin nach Italien? Das klingt anstrengend. Ist es aber gar nicht. Denn in der Ape ist man schon nach drei Kilometern angekommen. Gefühlt.

Die Ape ist für kleine Unternehmen gut geeignet, als Transportmittel und als Werbeträger Die Ape ist für kleine Unternehmen gut geeignet, als Transportmittel und als Werbeträger Quelle: MOTOR-TALK

Berlin - „Ist das ein Auto?“ Die Frage des vierjährigen Jungen ist berechtigt. Sein Vater schaut zunächst zu mir, dann begutachtet er die Ape. „So etwas Ähnliches“, antwortet er und wir grinsen so breit, wie unsere Münder es zulassen.

Für die orangefarbene Piaggio Ape mit Kastenaufbau gibt es keine Worte und erst recht keine Schublade - vom überdimensionierten Spielzeugauto bis hin zum kleinsten Laster der Welt ist alles drin. Für mich ist die Ape ein Stück Italien - laut, chaotisch, charmant. Schon nach den ersten drei Kilometern wird es im Zwei-Mann-Cockpit stickig. Ich fange an zu schwitzen und beginne sofort, mich ins sommerliche Rom zu träumen. Doch erst einmal fahre ich von Berlin nach Jüterbog und weiter nach Potsdam. 150 Kilometer, auf einem Vorderrad und zwei schiefen Hinterrädern, die erst bei Volllast gerade rücken.

Erster Gang: Die Basis

Die Ape ist eines der vielfältigsten Transportmittel der Welt. Von 1948 bis heute wurden allein in Europa Ein historische Aufnahme einer Ape - damals noch ohne Fahrerkabine Ein historische Aufnahme einer Ape - damals noch ohne Fahrerkabine Quelle: Piaggio rund zwei Millionen Exemplare verkauft. Die erste Ape war nichts weiter als eine Vespa mit zwei Hinterrädern und einer Ladefläche. In den folgenden 60 Jahren bot Piaggio alle möglichen Variationen an, von der schicken Cabrio-Version Calessino bis hin zu einem fünfrädrigen Modell mit einer Nutzlast von 700 Kilogramm war alles dabei. Stets klein und wendig und mit dem lauten und unverwüstlichen Zweitaktmotor.

Auch heute noch ist das Angebot vielfältig. Lenkstange oder Lenkrad? Benziner oder Diesel (Viertakter)? Kasten, Kipper oder Pritsche? Für Nostalgiker bauen die Italiener immer noch die Calessino mit Stoffdach und Weißwandreifen und für Retro-Verliebte hat Piaggio die Ape Classic im Look der 50er-Jahre im Portfolio. Für meine Tour wähle ich die seit 1982 gebaute und von Giorgetto Giugiaro höchstpersönlich entworfene Ape TM, mit dem großen Zweitakt-Benziner, 10 PS und einer Nutzlast von 765 Kilogramm.

Zweiter Gang: Das Beste

Ape heißt übersetzt Biene, schließlich ist das Gefährt auch eng mit der Vespa, also der Wespe, verwandt. Kein anderes Auto hat so viel Charme wie diese kleine Biene. Obwohl das träge Dreirad im Stadtverkehr eine echte Behinderung darstellt, hupt niemand. Keiner drängelt, wenn ich das knatternde Insekt mühsam auf Fußgänger-Tempo treibe und beim Hochschalten vom kurz übersetzten ersten Gang fast wieder zum Stehen komme.

Das orangefarbene Dreirad fällt auf, egal ob im trubeligen Berlin oder auf verlassenen Straßen in Brandenburg Das orangefarbene Dreirad fällt auf, egal ob im trubeligen Berlin oder auf verlassenen Straßen in Brandenburg Quelle: MOTOR-TALK Auf der Landstraße flaniere ich mit maximal 65 km/h, bergab geht es noch ein wenig schneller.

Doch auch hier ernte ich mit meinem geschrumpften Müllauto auf O-Beinen keine bösen Blicke. Im Gegenteil. Ich bekomme so viel Aufmerksamkeit und freundliche Zurufe, als schlenderte ich mit Sophia Loren über die Via del Corso.

Dritter Gang: Das Schwächste

Die Ape TM ist fast so etwas wie ein Auto, immerhin braucht der Fahrer den A- oder den B-Klasse-Führerschein. Auch wenn ein Rad fehlt hat die Ape ein Lenkrad, drei Pedale und vier Vorwärtsgänge. So weit, so gewöhnlich. Besonders wird es, wenn man den schwer gängigen Umschalthebel am Armaturenbrett umlegt und plötzlich vier Rückwärtsgänge zur Verfügung stehen.

Ob vorwärts oder rückwärts: Alle anderen Gangwechsel gleichen einem Stochern im Kiesbett. Das Getriebe ist unpräzise und unsynchronisiert und es knarzt so heftig, dass sich meine Fingernägel nach hinten rollen. Zwischengas, hohe Drehzahl – am Ende hilft nur die Erfahrung, bei welcher Drehzahl die Schaltbox am leisesten knirscht. Der erste Gang beispielsweise flutscht am sanftesten in seine Gasse, wenn ich zuvor kurz aufs Gas trete.

Auch die Bremse ist für Grobmotoriker geschaffen. Das merke ich, als ich nach vier Tagen Ape-Fahrt in ein echtes Auto steige und bei der ersten Ampel ungewollt eine Vollbremsung hinlege. Die Lenkung der Ape ist hingegen leichtgängig und lässt das kleine Mobil in nur 7 Metern im Kreis tuckern.

Vierter Gang: Das Überflüssigste

An der Ape gibt es nichts Überflüssiges. Wie auch? Es ist ja kaum etwas dran. Fahrer und Beifahrer sitzen Der Innenraum der Ape, bei der TM-Version mit Lenkrad Der Innenraum der Ape, bei der TM-Version mit Lenkrad Quelle: MOTOR-TALK auf einer fest eingebauten Bank mit 90-Grad-Lehne. Verstellmöglichkeiten gibt es genauso wenig wie Radio, Klimaanlage oder Airbag. Die Fenster werden von Hand nach unten und unter einigem Kraftaufwand auch wieder nach oben geschoben. Licht, Blinker und Hupe werden über zwei Hebel links neben dem Lenkrad betätigt. Der abgeknickte Scheibenwischer kann über einen Kippschalter am Armaturenbrett in Aktion versetzt werden.

Fünfter Gang: Das Wissenswerte

Im Jahr 1948 bekam der italienische Kultfilm Ladri di biciclette einen Oscar, der italienische Leichtathlet Consolini gewann bei den Olympischen Spielen in London Gold und Piaggio verpasste der erfolgreichen Vespa ein drittes Rad. Ein Dach über dem Kopf folgte erst Jahre später. Ab 1958 gab es eine richtige Fahrzeugkabine mit Türen und Scheinwerfern. 1968 folgte eine Version mit Lenkrad. Die erste Ape kostete 170.000 Lire. Damals wie heute wird die Ape im italienischen Pontedera gebaut. Seit 1999 rollt sie für den asiatischen Markt auch in Indien vom Band.

Sechster Gang: Das Besondere

Wer heute beim Berliner Piaggio-Händler eine Ape bestellt, muss vier bis sechs Wochen auf sein Dreirad Das kleine Dreirad ist ganz schön leistungsfähig, wie dieses Bild beweist Das kleine Dreirad ist ganz schön leistungsfähig, wie dieses Bild beweist Quelle: Piaggio warten. Denn das Modell geht erst dann in Produktion, wenn es geordert wurde, sagt Guido von Volckamer, Ape-Spezialist bei Roller Scholz in Berlin.

Steht das Grundgerüst aus Italien erst einmal auf seinem Hof, sind der Konfiguration kaum noch Grenzen gesetzt. „Ich mache alles möglich“, verspricht der kleine Herr, der zum Leben nicht viel mehr braucht als eine Flasche Rotwein, gutes Brot, Olivenöl und natürlich eine Ape. Selbst einen Wasserfall hat Volckamer schon auf die Ladefläche einer Ape gebaut, die als Messestand dienen sollte. Generell sind 75 Prozent seiner Ape-Käufer Gewerbekunden – vom Pizzabäcker über den Friedhofsgärtner bis hin zur Bundeswehr ist alles dabei.

Fazit:

Es gibt viele Gründe, die Ape nicht zu mögen. Sie ist laut, schlecht verarbeitet, bietet weder Komfort noch Geschwindigkeit. Doch wer so denkt, der sollte sich weder eine Ape kaufen noch über einen längeren Rom-Aufenthalt nachdenken. Denn bei beidem geht es nicht um Vernunft, sondern um ein Gefühl. Und das hat ein wenig mit Rotwein und Olivenöl zu tun.

Piaggio Ape TM: Technische Daten:

  • Motor: luftgekühlter 218 ccm Zweitakt-Benziner
  • Leistung: 10 PS
  • Getriebe: manuelles Vierganggetriebe
  • Höchstgeschwindigkeit: 65 km/h
  • Tankvolumen: 15 l Benzin
  • Länge x Breite x Höhe in m: 3,21 x 1,48 x 1,78 m
  • Kasten: 1,77 x 1,07 m
  • Wendekreis: 7 m
  • Nutzlast: 765 kg
  • Preis: 7.530 Euro

Quelle: MOTOR-TALK

Avatar von sabine_ST
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