Mercedes-AMG SL 63 (R 231): Test, Technische Daten, Preise -
Der SL ist und bleibt ein zeitloses Schwergewicht
verfasst am 28.02.2016
Mercedes hat die Ikone SL optisch und ein bisschen technisch aufgefrischt. Das war unnötig: der Roadster entzieht sich eh dem Zeitgeist. Gut so. Ausfahrt im SL 63 von AMG.
San Diego –Die Straße mäandert so vor sich hin. Der Himmel strahlt blau, aber von hinten grollt sanft der Donner. Das liegt nicht am Wetter, sondern am Motor. Der blubbert tief, voluminös und unmissverständlich „V8“ aus den schwarz eloxierten Auspuffendrohren. Darauf eingeprägt sind die Buchstaben A, M und G.
„D“ für „Drive“ aktiviert, der rechte Fuß drückt leicht aufs Gaspedal. Das Grollen schwillt an, wird lauter. Mehr Gas. Der Wagen schiebt voran, als würde er von einer großen Welle getragen. Das Grollen wird böse. Das Siebengang-Getriebe mag AMG Speedshift heißen, aber es schaltet nicht schnell. Es schaltet meist gar nicht. Wozu die Mühe, bei 900 Newtonmeter Drehmoment.
Neun Gänge für Mercedes SL 400 und SL 500
Der SL 63 hat eine neue Chromspange, einen anderen Kühlergrill und eine neue Frontschürze bekommenQuelle: Daimler
Es ist das „Jahr der Traumwagen“ bei Daimler. So nennen sie das in der Marketingabteilung. Das ist eine gute Nachricht für alle, die sich vor allem für den zweiten Teil des Wortes Autofahren interessieren. Nach den vielen Mercedes-SUV im vergangenen Jahr kommen nun Autos, die nicht viel Geld verdienen. Cabrios vor allem. Deren Verkaufszahlen sinken auf fast allen Märkten.
Den Anfang der „Traumwagen“-Offensive macht der SL. Vier Jahre nach Einführung der Generation R 231 ändert Mercedes Motorhaube, Kühlergrill und Frontschürze, plus Rückleuchten und Heckschürze, hier und da ein kleines Detail – viel mehr nicht. Aus der Zeit gefallen bleibt er trotzdem. Das Faltdach ist aus Blech, obwohl der Trend seit einigen Jahren zum Stoffdach geht. Der SL ist groß, schwer, offen, selbst als Basismodell übermotorisiert. Und überhaupt nicht für den Limousinen-Markt China geeignet.
Technisch überarbeitet wurden vor allem SL 400 und SL 500. Die haben jetzt die Neungang-Automatik. Der kleine SL bekam oben drauf noch 34 PS und 20 Newtonmeter Drehmoment Nachschlag. Sein 3,0-Liter-V6 leistet 367 PS und kommt auf 500 Newtonmeter Drehmoment. Reicht auch, denn: Der SL 400 ist der agilste SL. Er wiegt 60 Kilo weniger als der SL 500 mit seinem V8 und 455 PS. Und 110 Kilo weniger als der SL 63 mit 585 PS. Darüber schwebt der SL 65 mit 6,0-Liter-V12 und 630 PS sowie glatten 1.000 Newtonmetern Drehmoment.
Knapp 78.000 Euro Aufpreis für den V12
Im Innenraum des neuen SL hat Mercedes kaum etwas geändert, das Design ist quasi eine Generation altQuelle: Daimler
Der SL 400 wiegt nicht nur weniger, die Pfunde sind auch besser verteilt. Deshalb feuert man ihn sorgloser in die Kurven. Stellt ihn auf der Bremse an, setzt ihn mit der prima gewichteten Lenkung präzise auf die perfekte Linie – und gibt kurz nach dem Scheitelpunkt Vollgas. Kein Sturm bricht los – außer dem Fahrtwind, wenn Windschott und Seitenscheiben unten sind. Der V6 klingt nicht so komplex und groß wie die V8, aber trotzdem sportlich. Das Drehzahlniveau ist meist höher, bei Halbgas wirkt der Motor manchmal angestrengt. Aber was ihm an Leistung fehlt, macht er durch Agilität wett.
Der SL 63 AMG ist dagegen Überfluss pur. Der V8 klingt besser als der V12 des SL 65, er ist bis Tempo 100 nur eine Zehntel langsamer (4,1 Sekunden) – und: Er ist billiger. Was man spart, reicht ziemlich genau für einen Mercedes-AMG C 63, der als Kombi 77.945 Euro kostet. Traumauto heißt eben auch, dieser SL wird für die meisten von uns ein Traum bleiben.
Das Blechdach öffnet sich bei bis zu 40 km/h
Man merkt dem SL den hohen Preis an. Die Verarbeitung ist ausgezeichnet, das Cockpit steckt voll Leder und Alcantara. Das Infotainment wurde auf den aktuellen Stand gebracht, mit Internet und Apple Carplay und auch die Assistenten wie die Distronic mit Lenk-Pilot und Kreuzungsfunktion sind jetzt aktuell.
Das Verdeck des Mercedes-AMG SL 63 schließt und öffnet sich nun bei bis zu 40 km/hQuelle: DaimlerDas Blechdach öffnet und schließt jetzt bis 40 km/h, allerdings nur, wenn man den Vorgang im Stand ausgelöst hat. Der Verdeckkasten im Kofferraum funktioniert automatisch, fährt also nach unten, wenn man das Verdeck öffnet oder nach oben für mehr Laderaum. Neu ist der Curve-Modus, den der SL vom S-Klasse Coupé erbt. Damit lehnt das Auto sich um bis zu 2,65 Grad in die Kurve, minimiert also die Seitenneigung. Das gibt es aber nur für SL 400 und 500, nicht für die AMG-Modelle.
Der Mercedes SL bleibt ein Cruiser für lange Reisen
Zurück auf die Straße im SL 63. In langgezogenen Kurven zerren die 1,85 Tonnen, drängen nach außen. Man spürt das. Die Kurve verengt sich, leichtes Nachbremsen, noch mehr Gewicht wandert nach vorn und fehlt hinten. Der SL schwingt aus, gutmütig, nicht gefährlich. Solide und satt fühlt er sich an, der SL 63.
Trotz AMG-Behandlung, der SL bleibt ein Cruiser. Man kann sicher Rennstrecken damit umkreisen, will aber Kontinente damit durchqueren. Über Küstenstraßen und Bergpässe, von der Ostküste an die Westküste, im Sommer über die Alpen. Verdeck runter, sich den Wind um die Ohren wehen lassen. Das macht den SL so wenig zeitgemäß: Er ist ein Auto für Menschen mit viel Zeit im Gepäck.