Shitstorm gegen Deutschlands renommierteste Autozeitschrift: Hat "auto, motor und sport" die Reichweiten von Elektroautos in einem Test falsch ermittelt?
Quelle: dimabl - istockphoto.com, Montage: MOTOR-TALK Stuttgart - An „-gates“ scheitern die Großen. Richard Nixon machte es mit Watergate vor, Bill Clinton mit dem Lewinsky-Gate fast nach. Groß ist im deutschen Autojournalismus die Zeitschrift "auto, motor und sport“ (ams). Um die geht es, wenn in sozialen Netzwerken und Foren derzeit vom "#amsgate" die Rede ist. Die Elektroauto-Szene ärgerte sich erst. Hinterfragte dann. Traf auf überraschte Redakteure. Traf sich dann, um den Test zu widerlegen. Und wird sich Mitte September gemeinsam mit der ams zu einem Nachtest treffen. Wie verlässlich sind die Herstellerangaben?Dazwischen das, was man neudeutsch Shitstorm nennt: „Was mir da an Anfeindungen und Unterstellungen angetragen wurde, hatte nichts mehr mit einer sachlichen Diskussion zu tun“, sagt uns der ams-Testredakteur Alexander Bloch. Quelle: e-auto.tv Was war passiert? Am 24. Juli veröffentlichte Deutschlands renommierteste Autozeitschrift den Artikel „E-Autos im Härtetest“. Das Versprechen: „Von minus sieben Grad bis konstant 120 km/h reicht das Programm, in dem wir testen, wie verlässlich die Reichweiteangaben der Hersteller sind“. Die Reichweiten testete die ams gemeinsam mit dem TÜV Süd auf dem Prüfstand und im Bosch-Testzentrum Boxberg. Das wenig berauschende Ergebnis: Ein E-Smart schaffte bei 30 Grad Celsius und konstant 120 km/h nur 50 Kilometer Reichweite, ein Nissan Leaf 71 Kilometer, ein Tesla Model S 184 Kilometer. Jeweils weniger als die Hälfte der Herstellerangabe. Motorpresse gegen Tesla-ForumEs ist keine neue Erkenntnis, dass die Reichweite von Elektroautos je nach Temperatur und zusätzlichen Verbrauchern schwankt. Das ergab auch unser Einjahres-Test mit dem Nissan Leaf. Aber 184 Kilometer im Tesla? Die Mitglieder im Tesla-Fahrer und Freunde Forum (TFF) wollten das nicht glauben, weil sie es täglich anders erleben. Und unterstellten: Da will doch jemand die E-Mobilität allgemein und Tesla im Besonderen schlecht machen, oder hat zumindest nichts verstanden. Tesla-Fahrer sind, noch, eine kleine Elite: Gut verdienend, informiert und oft fachkundig. In der Community sammelten sie Stücke, versuchten, aus verfügbaren Informationen zu rekonstruieren: Wie kommen die Abweichungen zwischen unserem Erleben und diesem Test zustande? „Da wurden Dinge, die ich einer Person schrieb, sofort an alle weitergereicht, aus dem Zusammenhang gerissen, falsch interpretiert“, sagt Alexander Bloch. „Das fand ich sehr schade“. Wie wurde getestet?Was die Tesla-Community zusammentrug: Bei 30 Grad Außentemperatur wurden die Autos auf 20 Grad heruntergekühlt, dann mit eingeschaltetem Fahrlicht 31 Kilometer gefahren. Dann wurde nachgeladen Quelle: e-auto.tv und der Verbrauch hochgerechnet. „Ein übliches Verfahren, reproduzierbar und vergleichbar“, sagt Bloch. Extrem fehlerbehaftet, sagen die Tesla-Fahrer. Die Enthusiasten kritisieren: Die Tester hätten die „Kühlphase“ nicht vom Verbrauch abgezogen, Ladeverluste falsch berechnet. Und außerdem die Nettokapazität des Akkus (ohne Reserve) falsch angesetzt. Die sei nämlich niedriger als 85 kWh. Im Forum errechnet ein Tesla-Fahrer auf dieser Grundlage eine Reichweite von – nach Ansicht der Tesla-Fahrer realistischen – 314 Kilometern (Werksangabe: 502 km). Der Chefreporter von "auto, motor und sport“ sieht das anders: „Wir untersuchen noch eine Unschärfe. Wir mussten aufgrund der Vergleichbarkeit einphasig laden. Wenn das Model S da nun extrem hohe Ladeverluste hat, kann das eine Fehlerquelle sein. Das wäre ein Fehler von rund 10-12 Prozent“. Wir kommen weiter, wetten dass ...Die Tesla-Fahrer diskutieren sich nicht nur die Köpfe heiß. Sie veranstalten stattdessen den „ersten öffentlich-transparenten, crowd-organisierten Auto-Vergleichstest“, arrangiert vom „Verein der Tesla-Fahrer und Freunde“. Die "auto, motor und sport“ ist eingeladen. Die Autofahrer sind sich ihrer Sache sicher: Der Model-S-Fahrer Lars Thomsen verwettet sein bestelltes Tesla Model X im Wert von 120.000 Euro, dass er viel weniger verbraucht als die ams in ihrem Test. "Was uns wahrscheinlich am meisten geärgert hat, war, dass dort eine Grafik gezeigt wurde, dass man mit dem Wagen noch nicht einmal von Stuttgart nach München fahren kann, sondern irgendwo kurz hinter Augsburg liegen bleibt. Das galt es zu widerlegen“, sagt Thomsen. 363,5 statt 184 KilometerAm 23. August treffen sich die Besitzer von 39 Elektroautos im Ladepark Hilden in der Nähe von Düsseldorf und messen die Reichweite ihrer Elektroautos. Auf der Autobahn fahren sie die Batterie bei möglichst konstanten 120 km/h Quelle: Tesla Motors und ca. 20 Grad Außentemperatur halb leer. Dann an der nächsten Ausfahrt heraus und zurück. Ergebnis: Der Smart erreicht 94 statt 50 Kilometer, der Nissan Leaf 118 Kilometer und das Model S 363,5 Kilometer - statt 184 Kilometer wie im ams-Test. Vier Tesla erreichen Reichweiten von weit über 500 Kilometer. Erst verhärtete Fronten, dann neuer TestBloch nahm die Wette zunächst an. Wegen „persönlicher Angriffe“ trat er aber wieder zurück. Zum Treffen erschien niemand aus der Redaktion. Stattdessen veröffentlichte "auto, motor und sport" am 26. August eine Pressemeldung. Die empfanden die Tesla-Fahrer ihrerseits als unsachlich: Von „privaten Autotestern“, "privaten Autofahrern“ und „anerkannt harten und objektiven Testmethoden“ lasen sie dort. Verhärtete Fronten, gegenseitige Vorwürfe – „Arroganz und Ahnungslosigkeit“ gegen „privates Autotesten“. Musste es so kommen? „Da ist viel im falschen Hals gelandet“, sagt ams-Redakteur Alexander Bloch: „Ich finde es toll, wenn sich Autobegeisterte zu so einer Aktion treffen. Die Bedingungen dort waren aber nicht direkt mit unserem Test vergleichbar.“ Mittlerweile, findet Bloch, wurde genug, wahrscheinlich bereits zu viel, spekuliert: „Wir wollen einen Schlussstrich ziehen“, sagt der Elektrotechnik-Ingenieur. Deshalb lud die Redaktion schon vor dem Test in Hilden einige Elektro-Aktivisten um Lars Thomsen und aus dem TFF-Forum ein: zu einem gemeinsamen Nachtest auf der Bosch-Teststrecke in Boxberg, in der zweiten Septemberwoche. „Ich will einfach nur noch fahren“, sagt Bloch. „Was dabei herauskommt, damit müssen wir dann alle leben – egal, wer am Ende Recht behält. Vielleicht haben wir unter den jeweiligen Bedingungen ja alle Recht“. Leider habe Tesla Deutschland es abgelehnt, für einen weiteren Test ein Fahrzeug zu stellen. Deshalb fahren beim gemeinsamen Nachtest von ams und der TFF-Community nun drei Privatfahrzeuge. |