Vor 35 Jahren präsentierte Volkswagen den ersten Golf. Das Auto war leicht, schnell und vor allem bezahlbar - und gilt seitdem unangefochten als Primus in der Klasse der schnellen Kompakten. Ein Wiedersehen mit den drei ersten VW Golf GTI-Generationen. Der VW Golf GTI muss sich ständig beweisen, damals in der zweiten Hälfte der Siebziger.Wird an jeder Ampel, auf jeder Geraden und besonders auf Landstraßen zum Duell gefordert. Die, die es wissen wollen, heißen Opel GT/E und Ford Escort RS 2000 und nicht selten sogar Mercedes, BMW und Porsche. Eine ganze Generation träumt vom VW Golf GTI Sie sind oftmals stärker und schneller und müssen dennoch einsehen, dass sich gegen eine entstehende Legende wenig ausrichten lässt: Volkswagen hat aus einem Biedermann einen Brandstifter geschaffen, einen erschwinglichen Traumwagen, der in unter zehn Sekunden auf Tempo einhundert sprintet, mit 182 Sachen deutlich schneller als die meisten Mittelklassewagen seiner Zeit läuft und auf den Namen VW Golf GTI hört - eine ganze Generation von Autofans begehrt plötzlich dieses neue Sportabzeichen. Dabei hätte es den VW Golf GTI um ein Haar nicht gegeben. Es ist die Zeit der Popkultur. Unsere Helden heißen Che Guevara, Barbarella und Jimi Hendrix, und wir tragen Schlaghosen und Plateauschuhe, stehen auf gemusterte Tapeten in Signalfarben und reden erstmals öffentlich über Sexualität und die Emanzipation der Frau. Keine Spur mehr von der Bürde der Nachkriegszeit, Restauration und Konrad-Adenauer-Ära - Deutschland hat sich längst von einer Malocherin eine Freizeitgesellschaft gewandelt. Der VW Golf GTI kam zur Hintertür herein Doch Rohstoff- und Umweltkrisen lassen die Stimmung kippen, die Unbeschwertheit der ersten Hälfte der Siebziger - sie verfliegt so rasch, wie sie gekommen ist. Für die Automobilhersteller bedeutet dies, sich verstärkt über sparsame Kleinwagenkonzepte Gedanken zu machen. Autos mit Sportwagenattributen gelten plötzlich als politisch so unkorrekt wie die Apartheid in Südafrika, und niemand will so vehement an den Pranger gestellt werden, wie es kurz zuvor BMW mit dem exzessiven 2002 Turbo geschehen ist. Ein paar VW-Ingenieure wollen sich dennoch nicht den Spaß vermiesen lassen, wollen mehr als nur ein mit Rallyestreifen und Zusatzscheinwerfern optisch auf Sportlichkeit getrimmtes Automobil. Klammheimlich wuchten sie nach Feierabend den 110 PS starken Motor eines Audi 80 GTE um 90 Grad gedreht in den engen Maschinenraum eines Golf, der seit zwei Jahren auf dem Markt und bereits das meistverkaufte Auto Deutschlands ist - der erste VW Golf GTI ist geboren. Erst dann weihen sie den Vorstand ein, der, wenn auch wenig überzeugt, einer Kleinserie von 5.000 Exemplaren zustimmt. Der VW Golf I GTI: Eine legendäre Geschichte begann Auf der IAA 1975 überrascht Volkswagen die Besucher schließlich mit einem marsroten VW Golf GTI - einem Sechzehnhunderter mit 110 PS! Mit schwarzen Kunststoff-Kotflügelverbreiterungen, 175er-13-Zöllern und um 20 mm tiefer gelegt als seine kreuzbraven Brüder. Mattschwarze Rallyestreifen zieren die Flanken des neuen Sport-Golf, dessen Tachoskala bis Tempo 220 reicht, und der unübersehbar drei Buchstaben auf dem rot umrandeten Kühlergrill sowie am Heck trägt: GTI. Was für einen Star man da geschaffen hat, ahnt bei VW zu diesem Zeitpunkt noch kein Mensch. Es dauert bis zum Herbst des darauffolgenden Jahres, bis die ersten VW Golf GTI-Modelle an die wartenden Kunden geliefert werden können. Von einer Kleinserie mit 5.000 Exemplaren spricht auf Grund der großen Nachfrage niemand mehr. Der Rest ist Geschichte: Heute, nach 35 Jahren, rollt die inzwischen sechste VW Golf GTI- Generation über die Straßen, sind insgesamt über 1,83 Millionen Fahrzeuge dieser Baureihe produziert worden. Ein Wiedersehen mit den ersten drei GTI-Generationen Drei von ihnen stehen sich heute gegenüber. Ein VW Golf I GTI 1.6, ein VW Golf II GTI 16 V sowie ein VW Golf GTI der dritten Generation. Jeder für sich ein typischer Vertreter seines Jahrzehnts. Und dennoch unverkennbar immer ein Golf. Dessen schmale, kantige Grundform stammt von Giorgio Giugiaro, ein zeitloser Entwurf mit einem offensichtlich unerschöpflichen Potenzial. Die erste Ausfahrt für heute - sie findet selbstverständlich im Ur-GTI statt. Wer auf den karierten Sportsitzen Platz nimmt, muss wahrhaftig keine Bedienungsanleitung studieren. Tacho und Drehzahlmesser sitzen in einem kantigen Instrumententräger, während Öldruckmesser und Zeituhr ihre Heimat in der Mittelkonsole gefunden haben. Das kleine Dreispeichen- Spucknapflenkrad mit der tiefgeschüsselten Huptaste und der Golfballschalthebel besitzen in der Szene längst Kultstatus. VW Golf I GTI: Alles dreht sich nur ums fahren Ein rechter Außenspiegel? Fehlanzeige. Und selbstverständlich drücken auch nicht eine Servolenkung, elektrische Fensterheber oder gar eine Klimaanlage aufs Gewicht des VW Golf I GTI. Ganz offensichtlich dreht sich hier alles nur ums Fahren, und auf einmal merkt man, wie wenig dafür erforderlich ist. Ein weiterer Vorteil des Weglassens: Das Auto wiegt nur 851 Kilo. Vollgetankt, versteht sich. Der 1,6-Liter verharrt eine Weile nervös im Standgas, ist dann aber hellwach. Ein paar Kilometer zum Warmfahren und Eingewöhnen, dann darf der ursprünglich für den Audi 80 GTE entwickelte 110 PS starke Vierzylinder endlich zeigen, wozu er mit so einem federleichten Auto fähig ist: Der Spaß beim VW Golf I GTI beginnt bereits bei 2.000 Umdrehungen, und nichts scheint dieses Triebwerk ernsthaft davon abzuhalten, der roten Markierung im Drehzahlmesser bei Sechsfünf entgegenzustürmen. Nebenbei wird der Sprint von null bis Tempo einhundert in 9,4 Sekunden erledigt. Ein Sportler, der sich hören lassen kann Das kurz übersetzte Vierganggetriebe passt dabei perfekt zum Charakter des damals schnellsten Volkswagens, obwohl es den Motor bei Tempo 120 bereits mit 4.000 Touren drehen lässt. Das sorgt zusammen mit den Windgeräuschen dafür, dass der VW Golf GTI nicht gerade als ein leises Auto durchgeht. Dennoch ist der Golf weit davon entfernt, eine Krawallbüchse zu sein, eher ein Sportler, der sich sehr wohl hören lassen kann. Ein ungefiltertes Fahrerlebnis Auf der Landstraße wächst der Ur-GTI schließlich endgültig über sich hinaus. Kaum über Schritttempo, vermisst ein Fahrer nicht einmal eine Servolenkung. Zwei Finger genügen, um den VW Golf I GTI in der Spur zu halten, der jeden Lenkbefehl anstandslos in die Tat umsetzt. Das Auto bleibt dabei jederzeit berechenbar, selbst wenn es in schnellen Kehren schon mal das kurveninnere Hinterrad ein wenig in die Höhe hebt. Aber dafür muss der VW Golf I GTI schon sehr in die Enge getrieben worden sein. Am Ende dürfte es selbst wesentlich moderneren und leistungsstärkeren Kompaktwagen schwerfallen, auf verschlungenen Landstraßen einem 35 Jahre alten GTI zu folgen. Ein ähnlich ungefiltertes Fahrerlebnis können sie ohnehin nicht bieten - hierin tut sich sogar schon die zweite GTI-Generation schwer. Der VW Golf II GTI verschreckt die Gemüter Die wird 1983 präsentiert und verschreckt erst einmal die Gemüter - VW Golf II GTI ist 17 Zentimeter länger, fünfeinhalb breiter und wirkt im Vergleich zum Vorgänger, als habe es Übergewicht. Fans beklagen zudem, dass die typischen GTI-Merkmale wie der große Frontspoiler oder die rote Kühlerumrandung an der neuen Karosserie nicht mehr richtig zur Geltung kommen. Schlimmer noch: Gemessen an den reinen Fahrleistungen kann sich die 112 PS starke Neuauflage nicht nennenswert von ihrem austrainierten, rund 70 Kilo leichteren Vorgänger absetzen. Weil auch die Konkurrenz nicht schläft (Peugeot 205 GTI, Fiat Uno Turbo, Lancia Delta HF Turbo), rüstet der Konzern zwei Jahre später den GTI-Motor des VW Golf II GTI mit einem 16V-Zylinderkopf auf, in dem zwei Nockenwellen rotieren. Ein stärkerer Motor rettet den Führungsanspruch Das Ergebnis: 139 PS und Tempo 208. Die GTI-Welt ist auf einmal wieder in Ordnung und der Führungsanspruch des VW Golf II GTI wieder hergestellt - selbst am Steuer der zehn PS schwächeren Kat-Version, die für die heutige Ausfahrt angetreten ist. Durch die Kabine weht indessen noch ein Hauch aus alten GTI-Tagen, selbst wenn das urige Spucknapflenkrad einem Vierspeichenvolant mit großem Prallkopf und die analoge Uhr einer digitalen Anzeige gewichen sind. Das Instrumentenbrett wirkt spartanisch und gleichermaßen funktionell - so, wie es die Besitzer aus der Urversion bereits gewöhnt sind: Tacho und Drehzahlmesser befinden sich direkt im Blickfeld, das Ölthermometer weiterhin in der Mittelkonsole. Der Golfball-Schaltknauf ist gottlob ebenfalls geblieben, und sogar die Fenster werden wie gewohnt per Hand gekurbelt. Wer auf etwas mehr Luxus steht, kann für den VW Golf II GTI nun auch Ledersitze ordern. Doch es dürfte der Klang des neuen 16V-Triebwerks sein, der GTI-Fans am meisten freuen wird. Das Brabbeln des 1,8 Liter großen Vierzylinder-Aggregats begeistert bereits im Stand, und schon während der Warmfahrphase signalisiert dieses Triebwerk, dass es den hohen Erwartungen, die zweifellos von dem GTI-Kürzel ausgehen, endlich wieder gerecht werden will. Ein paar Minuten später dann die endgültige Gewissheit: Bereits knapp über Leerlaufdrehzahl nimmt der neue 16V des VW Golf II GTI sauber Gas an und beantwortet jeden weiteren Befehl mit einem deutlich spürbaren Leistungszuwachs. Der VW Golf II GTI 16V gilt als neuer Maßstab Aber das ist nur der Anfang vom Lied. Wenn die Nadel des Tourenzählers über die 4.000er-Marke springt, setzt die zweite Schubwelle ein, die bis 7.200 Touren einfach nicht abreißen will. Die Leichtigkeit, mit der dieses Kraftpaket hochdreht - einfach frappierend. 9,2 Sekunden von null bis Tempo einhundert gelten als neuer Maßstab, die nicht Abgas gereinigte 16V-Version ist sogar noch um 1,2 Sekunden schneller. Auf der anderen Seite sind solche Drehzahl-Orgien nicht wirklich notwendig. So ein 16V kann fast so schaltfaul wie ein Automatik-Auto gefahren werden. Der fünfte Gang könnte die Arbeit praktisch alleine leisten, vom Anfahren einmal abgesehen. Die auto-motor- und-sport-Elastizitätsmessungen bestätigen diesen Eindruck: Nur 13,7 Sekunden genügen beim VW Golf II GTI, um im Fünften von 60 auf 120 zu beschleunigen - das können selbst ein BMW 325i oder ein Mercedes 190 E 2.3-16 kaum besser. Denen dürfte es jetzt noch einen Tick schwerer fallen, den neuen VW Golf II GTI 16V mit den markanten Doppelscheinwerfern im nach wie vor schwarz gehaltenen Kühlergrill aus dem Rückspiegel zu verlieren. Selbst hei hohem Tempo läuft der Fronttriebler stur geradeaus, und als Fahrer freut man sich besonders in Kurven über eine Servounterstützte Lenkung, die ihren Job direkt und nahezu vollkommen frei von Antriebseinflüssen erledigt. Für die wird von Volkswagen jedoch ein Aufpreis von 1.186 Mark verlangt. Selbst eingefleischten Golf-I-Fans bleib da am Ende wenig zu meckern. Der VW Golf GTI aus der zweiten Generation ist schneller, reifer und zudem spürbar komfortabler geworden, ohne dass der Fahrspaß dabei gelitten hat - die Golf-Szene verfügt über einen neuen Star. Nummer Drei: Ein VW Golf GTI mit nur 115 PS Die dritte Golf-GTI-Generation erscheint 1991. Und wieder geht ein Raunen durch die Menge. Schwamm drüber, dass der VW Golf III GTI abermals gewachsen und schwerer geworden ist und sich zudem von den markanten Rundscheinwerfern trennen musste. Viel tragischer: VW Golf GTI Nummer drei tritt mit einem nur 115 PS starken Triebwerk an - bescheidene fünf PS mehr als die rund 300 Kilo leichtere Urversion. Der brave Zweiliter des VW Golf III GTI findet sich zudem vollkommen unverändert als Basisversion im Audi 100 und ebenso im Seat Toledo wieder. Volkswagen scheint es mit dem Sport offensichtlich nicht mehr ernst zu meinen. Der VW Golf III GTI ist kein Platzhirsch mehr Ein Jahr darauf müssen GTI-Fans einen weiteren Tiefschlag einstecken: Gemessen an den Fahrleistungen fährt der neue VR6 mit seinem 174 PS starken 2,8-Liter-Motor Kreise um ihr Auto. Nach 16 Jahren ist der GTI erstmals nicht mehr der Platzhirsch in der Golf-Hierachie - dieser Stachel bohrt sich tief in die Gemüter der verschworenen GTI-Gemeinde, denen Leistung über alles geht. Angesichts dieser Vorgeschichte fällt es schwer, vollkommen unbedarft von der zweiten in die dritte VW Golf GTI-Generation umzusteigen. Optisch ist dem Auto jedoch nichts vorzuwerfen. Die drei magischen Buchstaben prangen so groß wie nie zuvor auf dem Kühlergrill, und Schweller und Radlaufverbreiterungen sind nach wie vor in Schwarz gehalten. Dazu spendierte VW dem Auto einen größeren Front- sowie erstmals einen ebenfalls in Schwarz gehaltenen Dachkantenspoiler, ferner weiße Blinkleuchten und abgedunkelte Rücklichter. Der neue VW Golf III GTI kauert zudem 20 Millimeter tiefer über dem Asphalt als seine einfachen Golf-Geschwister. In Inneren herrscht bestenfalls ein Hauch von der alten GTI-Herrlichkeit. Geblieben sind der Golfball-Schaltknauf und die karierten Sitzbezüge mit eingewebten GTI-Schriftzügen. Die Nähte am Lenkrad und die Sicherheitsgurte sind in einem sportlich wirkenden Rot gehalten, und die Zeiger der Instrumente wandern über silberfarbene Ziffernblätter. Servolenkung und Zentralverriegelung gehören jetzt zur Serienausstattung des VW Golf III GTI, und die meisten Kunden dürften zeitgemäße Extras wie ein ABS, Klimaanlage oder elektrische Fensterheber geordert haben. VW Golf III GTI: Zu schwer für 115 PS Solche Zutaten drücken jedoch mächtig aufs Gewicht: In diesem Fall müssen 1157 Kilo gestemmt werden - viel Arbeit für einen 115 PS starken Zweiliter, der sich an den guten Leistungen seiner Vorgänger messen lassen muss. Tatsächlich setzt sich der VW Golf III GTI eine Spur träger in Bewegung als seine Ahnen. Der Pep der GTI-Triebwerke - nahezu verschwunden, und bei höheren Drehzahlen wirkt das Aggregat im direkten Vergleich brummig und zäh. Erst nach 10,5 Sekunden stehen einhundert Sachen an. Kein wirklich schlechter Wert. Für einen GTI, so urteilt die Szene, jedoch unwürdig. Nur in einer Disziplin kann der VW Golf III GTI punkten: dank einer optimierten Aerodynamik rennt er 193 Sachen, so schnell wie kein 8-Ventil-GTI zuvor. Aber das muss er auch. Denn er wird weiterhin gefordert. An jeder Ampel, auf jeder Geraden und auf jeder Landstraße.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 27.12.2011
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