Am neuen Ford Focus RS gibt es wenig auszusetzen. Er ist sportlich, schnell, alltaugstauglich und er lässt jeden Fahrer gut aussehen. Genau das ist auch sein Problem.
Valencia – Ich muss ein Geständnis machen: Ich bin noch nie einen Ford Focus RS gefahren. Auch keinen Sierra RS, keinen Escort RS, erst recht keinen Capri RS. Es hat sich nicht ergeben. Aber dem Focus eilt sein Ruf voraus, die Erwartungen sind hoch. Er ist ein Wilder, sagt man. Immer schon gewesen. Einer, der am Lenkrad zerrt, den man niederringen muss. Kein Wunder, die ersten beiden Focus RS hatten Frontantrieb und immerhin 212 und 305 PS. Quelle: Ford Der neue hat Allradantrieb und 350 PS aus 2,3 Litern Hubraum. Noch schlimmer: Er hat 440 Newtonmeter Drehmoment (mit Overboost sind es für 15 Sekunden 470), die zwischen 2.000 und 4.500 Umdrehungen anliegen. Also fast immer. Da wird es eng für die Vorderräder allein. Also hat Ford sich für Allradantrieb mit Torque Vectoring entschieden. Bis zu 70 Prozent der Kraft verteilt der an die Hinterräder. Und bis zu 100 Prozent davon können an nur einem der beiden Räder aufschlagen. Aber erst mal steht er fast unauffällig auf dem Parkplatz. Das schnellste RS-Modell der Geschichte, wie Ford stolz verkündet, sieht von hinten gar nicht so schnell aus. Trotz des großen Flügels an der Dachkante und des Heckdiffusors, aus dem zwei kleine Ofenrohre glotzen. Irgendwie wirkt er harmlos. Vorn nicht: Die fetten Nüstern und der tief sitzende Frontsplitter tragen eher dick auf. Alles hat eine Funktion. Die Nüstern lassen Luft an die Bremsen, Splitter, Diffusor und Flügel vermeiden Auftrieb. Die Auspuffanlage ist fast komplett gerade verlegt, hat keinen Mittelschalldämpfer und soll besonders wenig Gegendruck aufbauen. Ein Benziner mit Knallen und GurgelnBeim Druck auf den Startknopf grollt er ein wenig, der Turbomotor. Er steckt so ähnlich auch im Mustang. Der Alu-Zylinderkopf ist anders und die Ansaugkanäle sind so groß, wie das physikalisch möglich war, sagt Tyrone Johnson, der oberste Fahrzeugentwickler bei Ford Performance. Der Motor klingt größer als 2,3 Liter Hubraum und gut für einen Vierzylinder. Die „Einspritzstrategie“ erzeugt beim Gaswegnehmen „Bangs und Burbles“, sagt Johnson. Ja, das knallt, klingt auf Dauer aber nicht sehr organisch. Quelle: Ford Auf der Landstraße reiht sich Kurve an Kurve, mal fließend, mal eng, mal schmal, mal mit etwas mehr Platz. Braucht man aber nicht. Rücksichtlos lässt sich der Focus RS in die Biegungen feuern. Dann voll aufs Gas und die klebrigen Pilot Super Sport von Michelin schießen ihn wieder raus. Sie ziehen oder schieben einen – so genau weiß man das manchmal nicht – nur noch enger in die Kurve. Untersteuern? Nur wenn man kopflos einlenkt. Kein Grip? Nicht, wenn man nicht total leichtsinnig wird. Ist ja immer noch öffentlicher Straßenverkehr. Der Motor mit seinem Twin-Scroll-Turbolader wirkt dabei nicht brutal kräftig – er hat mehr als 1.500 Kilo zu bewegen – aber das täuscht, und liegt wohl an der linearen Leistungsentfaltung. Die Beschleunigungswerte sprechen für sich: 4,7 Sekunden braucht er aus dem Stand bis 100 km/h. Der Ortsausgangssprint von 50 auf 100 km/h dauert im vierten Gang etwas über fünf Sekunden. Und dann ist er auch noch alltagstauglichDer Schock: Der Focus RS kann trotzdem alltagstauglich. Kupplung, Schaltknüppel und Lenkung liegen prima zur Hand und bieten etwas mehr Gewicht als in einem, sagen wir, Focus 1.0 mit Dreizylinder. Das Fahrwerk ist natürlich "etwas" straffer. Auf Bergstraßen und in den Ortschaften wirkte es aber erstaunlich nachgiebig. Zumindest im Normal-Modus. Wer per Schalter in der Mittelkonsole in „S“ wie Sport schaltet, bekommt mehr Gas für weniger Fußbewegung und noch etwas mehr Gewicht in der Lenkung. Am Lenkstockhebel lassen sich dann noch die Dämpfer straffen. Dann wird es "bockelig". Oder man schaltet gleich in „Track“ – und geht auf die Rennstrecke. Quelle: Ford Genau das tun wir nun. Ein paar Kurven zum Warmfahren, sofort ist Vertrauen da. Schneller und schneller jagt man den Focus RS über die Strecke – bis man zu schnell ist. Nicht, dass es ihm was ausmachen würde. Selbst ohne ESP (es lässt sich „komplett ausschalten“, hat Johnson zwei Stunden vorher betont), sammelt sich der RS schnell wieder. Bei zu viel Untersteuern hilft ein bisschen Geduld und dann viel Gas. Bricht das Heck aus hilft das Gleiche. Ford hatte Semislicks aufgezogen, was der Haftung natürlich hilft. Ein Auto, das den Fahrer gut aussehen lässtAber da ist dieser nagende Zweifel. Geschenkt, dass der Innenraum sich nur durch blaue Ziernähte, blau hinterlegte Skalen und ein paar Zusatzinstrumente vom Standard-Focus unterscheidet. Und durch die extrem guten Sportsitze, die vertrauenerweckend in den Brustkorb drücken. Geschenkt auch, dass der Touchscreen des Infotainmentsystems zu viel Druck braucht. Das kann man einem Standard-Focus ankreiden, beim RS rückt das in den Hintergrund. Der Zweifel hat rein emotionale Ursachen. Der Focus RS ist kein Hooligan, kein Auto, bei dem man schweißnasse Hände bekommt und ein wenig irre grinsend aussteigt. Beim Focus RS steigt man eher grinsend aus, weil man denkt, man sei ein richtig guter Fahrer. Deshalb mag ich ihn ja auch, aber von einem RS hätte ich weniger Perfektion erwartet. Vielleicht hat Ford ihm deshalb den „Drift“-Modus gegeben. Der kommt nach "Track" und lässt auf Knopfdruck hinten große Winkel und wild qualmende Reifen zu. Das ist verdammt sinnlos. Aber wild. Ford Focus RS: Technische Daten
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