Stig Blomqvist gewann Rallyes, als Motorsport noch regelmäßig Menschenleben kostete. Heute nimmt er MT-Redakteur Constantin Bergander mit in die wilde Gruppe-B-Zeit.
Are/Schweden – Stig „Mäster“ Blomqvist ist ein kleiner, mittlerweile rundlicher Mann. Er trägt Brille und Halbglatze, dazu Rennanzug und Sturmhaube. Er lächelt nicht und wirkt introvertiert, fast genervt. Wenn man mit ihm redet, scheint er in Gedanken längst an einem anderen Ort zu sein. Vielleicht zu Hause, weg von seinen Bewunderern, die sich Fotos und Autogramme wünschen. Vielleicht in einer anderen Zeit, als er sich vor eben diesen nicht retten konnte. Mit Stig Blomqvist im Audi Sport Quattro S1Quelle: Audi Vor 30 Jahren war Blomqvist das Maß aller Dinge und gewann mit dem Sport Quatto die Rallye-Weltmeisterschaft. Nur bei der Rallye Monte Carlo fuhr er hinter seinem Schüler durchs Ziel. Walter Röhrl hatte auf der ersten Etappe das interne Duell gewonnen – und damit den Gesamtsieg, so wollte es Audi-Motorsportchef Roland Gumpert. Vorher hatte Blomqvist Röhrl das Fahren im Allrad-Audi beigebracht, insbesondere das Links-Bremsen. Nach einem Unfall mit drei Toten und 33 Verletzten stieg Audi 1986 aus der Gruppe B aus. Der Sport Quattro fuhr weiter, in Pikes Peak in der Evolutionsstufe E2 mit 600 PS. Blomqvist sitzt heute wieder regelmäßig am Steuer seiner ehemaligen Dienstwagen. Audis Traditionsabteilung erinnert gern und oft an vergangenen Ruhm, an knurrende Fünfzylinder und zwitschernde Blow-Off-Ventile. Ein Traum für Rallye-Fans, ein Erlebnis für mich. Denn ich begleite heute die Legende auf einer Spritztour durch den Wald. Funktionalität statt KomfortBlomqvist beobachtet amüsiert, wie ich versuche, meine Schuhe in Größe 47 am Käfig vorbei und ins Auto zu wuchten. Er ist fast 40 Jahre älter, 20 Zentimeter kleiner als ich und hat Heimvorteil. Er kennt dieses Auto, obwohl die Namen von Röhrl und Geistdörfer auf der Scheibe stehen. Rennanzug und Helm sind Pflicht, aber nicht besonders förderlich beim Klettern. Mein Kopf knallt gegen die Tür, dann gegen den Rahmen. Quelle: Audi Ein roter Sportgurt spannt mich fest in die enge Rennschale. Im Innenraum herrscht spartanische Funktionalität. Kein Vergleich zum Sport Quattro, dem raren Homologationsmodell. Im Armaturenbrett steckt eine Armada von Lastrelais. Links daneben sitzen eine Handvoll Schalter und acht Rundinstrumente. Die Tacho-Skala zählt nur bis 200 km/h, der Drehzahlmesser dafür bis 10.000 Touren. Immerhin: Zwei Lüftungsdüsen sind aus der Serie geblieben. Blomqvist schweigt, der Quattro redetBlomqvist beachtet mich nicht mehr. Er ist längst in seinem Element. Der Quattro springt widerwillig an. Bei warmem Motor öffnen die Einspritzdüsen nur verhalten. Der Anlasser bringt den Fünfender schließlich zum Laufen. Vom Heck dröhnt dieser sonore, von Fans geliebte Sound nach vorn. Genauso asymmetrisch-betörend wie im Serien-Quattro, aber viel lauter und dumpfer. Blomqvist kuppelt schweigend ein, wir rollen los. Schon Walter Röhrl wusste: „Stig fährt lieber, als dass er redet.“ Was Blomqvist verschweigt, erzählt der Audi. In ihm steckt unendlich viel Potenzial. Viel mehr als wir heute erfahren. Das erkenne ich bereits auf den ersten Metern: Trotz einer Fahrbahn aus Schnee und Matsch hält Blomqvist das Auto gerade. Er beschleunigt, die Reifen drehen noch im dritten Gang durch. Das Heck schwenkt nur kurz weg. Schonend für meinen Magen und den alten Herren – 30 Jahre sind viel für einen Sportwagen. Quelle: Audi Der kleine Mann auf dem Fahrersitz lenkt sicher und routiniert, rast mit 150 km/h über schlammigen Boden. In der Kurve steuert Blomqvist mit dem Gaspedal Quattro-Heck und meine Mundwinkel. Beide schlagen in gleichem Maße aus. Die Zusatzscheinwerfer an der Front blicken in den Wald, Blomqvists Augen bleiben auf der Straße. Eine kurze Lenkbewegung holt den Quattro aus dem Drift. Der Motor röhrt, der Lader zischt, wir brausen weiter. Im Sport Quattro S1 durch Matsch und SchneeVor den Kehren quietschen die Bremsscheiben. Das Geräusch begleitet das Knarzen des Käfigs, der an der Karosserie aus Stahl und Kevlar reibt. Blomqvist hält die Geschwindigkeit und spielt mit dem Gas. Das Überdruckventil des Laders steigt in die Gruppe-B-Symphonie ein, zwitschert lauter und schöner als die schwedische Ohrenlerche. Es diktiert den Takt von Ladedruck und Beschleunigung. Kräftiges Bollern vom Heck übertönt das metallische Tickern der Tassenstößel. „This is awesome!“ – Das ist super! In der Wende möchte ich Blomqvist sagen, wie viel Spaß mir dieses Auto macht, sogar auf dem Beifahrersitz. Er reagiert nicht. Auf der letzten Geraden beschleunigt er auf 160 km/h, bringt dann Auto und Beifahrer sicher nach Hause und posiert für ein Erinnerungsfoto. Viel Freude hatte er nicht. Wahrscheinlich fühlt sich diese Fahrt für ihn an, wie eine Runde auf dem Verkehrs-Übungsplatz für einen DTM-Piloten. Zu langsam, zu langweilig. Ich frage nicht, wie oft er das macht. Quelle: Audi Blomqvists berühmte Fuß-Akrobatik konnte ich nicht beobachten. Dafür habe ich ein Auto erfahren, dessen Mythos so alt ist wie ich. Nach der Fahrt möchte ich die Quattro-Legende am liebsten selbst steuern. Doch das bleibt denen vorbehalten, die diese Geschichte geschrieben haben. 420 PS und Werbung für ZigarettenWas in dem Sport Quattro steckt, ist kein Geheimnis. Plakative Aufkleber auf Fahrzeugflanke und -haube werben für Turbolader von KKK, Einspritzsysteme von Bosch, Sitze von Recaro, Reifen von Michelin und Stoßdämpfer von Boge. Außerdem für Zigaretten von HB – das war in den 80ern noch erlaubt. Auf dem Autodach haben vor langer Zeit vier Legenden unterschrieben: Die Autogramme von Stig Blomqvist, Walter Röhrl, Michèle Mouton und Hannu Mikkola sind gerade noch lesbar. Ein Mechaniker verrät mir nach dem Aussteigen, dass der K27-Lader hier und heute nur wenig Luft in die fünf Brennräume presst. Ungefähr 420 PS kommen dabei heraus, sagt er. Lange nicht volle Elle, aber gut 100 PS mehr als im Serien-Modell. Und genug für eine einmalige Fahrt durch den schwedischen Frühling. Quelle: MOTOR-TALK |