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"Spiegel": 56 von 58 Dieselmodellen auffällig - Die Stickoxid-Tests des KBA : mehr als nur Zahlen

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Die KBA-Diesel-Tests bleiben geheim, aber "der Spiegel" will erfahren haben: Die meisten Autos fielen auf. Ist das brisant oder nicht? Das bleibt eine offene Frage.

Für Lkw schon lange nicht mehr neu: Adblue zum nachtanken. Autofahrer müssen sich bisher selten die Hände schmutzig machen Für Lkw schon lange nicht mehr neu: Adblue zum nachtanken. Autofahrer müssen sich bisher selten die Hände schmutzig machen Quelle: dpa/Picture Alliance

Hamburg - Im September 2015 hatte das Kraftfahrt-Bundesamt mit Schadstoffmessungen von fast 60 Autotypen begonnen. Seitdem wartet ganz Auto-Deutschland auf die große Abgas-Enthüllung. Ganz Auto-Deutschland? Nein. Die Autohersteller und das zuständige Verkehrsministerium kennen die Mess-Ergebnisse des Kraftfahrt-Bundesamtes seit Wochen.

Die Öffentlichkeit sowie das Parlament kennen die Ergebnisse dagegen nicht. Erst möchte eine vom CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt eingesetzte Kommission im Ministerium die Hersteller befragen, dann analysieren, prüfen – bis das abgeschlossen ist, bleiben die Werte unter Verschluss.

Sind die KBA-Testergebnisse so brisant? Ja, schreibt das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe (16.04.2016). Denn das Blatt will aus dem Umfeld der Kommission erfahren haben: 56 von 58 getesteten Dieselfahrzeugen zeigten auffällige Stickoxidwerte. Nur in zwei Fällen fanden die Tester erwartbare Werte, eines dieser Fahrzeuge sei ein BMW gewesen. Die Hersteller sollen nun die Tests prüfen und kommentieren.

Vermutliche Ursache, so „Der Spiegel“: Nahezu alle Hersteller „scheinen die Stickoxidreinigung abzuschalten, wenn eine bestimmte Außentemperatur, häufig um die zehn Grad, unterschritten wird.“ Bei mindestens einem Opel sei dies auch unter 17 Grad Celsius der Fall. Die so genannten „Thermofenster“ bedeuten im Umkehrschluss: Außerhalb des wohltemperierten Versuchslabors bleibt von der Abgasreinigung nach Schadstoffnorm Euro 6 nicht viel übrig. Außer vielleicht an den wenigen, perfekten Frühlingstagen im Jahr.

„Thermofenster“ zulässig oder nicht?

Bereits im Februar und März hatten die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Wirtschaftswoche“ ähnliches berichtet. Sie beriefen sich auf Analysen der niederländischen „Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung“ (TNO). Das Institut hatte im Auftrag des niederländischen Umweltministeriums Tests durchgeführt.

Uneinigkeit herrscht darüber, ob dieses "Herunterregeln" vorschriftswidrig oder sogar vergleichbar mit der von VW eingeräumten Verwendung einer verbotenen Abschalteinrichtung ist. Hersteller wie Opel und Renault kündigten einerseits bereits Maßnahmen an, um das Abgasverhalten ihrer Diesel auf der Straße zu verbessern – verweisen aber gleichzeitig darauf, stets alle gesetzlichen Regeln beachtet zu haben.

Auch Daimler wies in einer Stellungnahme die Darstellung namentlich der Wirtschaftswoche zurück, wonach die C-Klasse mit OM-651-Diesel am reinigenden Harnstoff spare wo immer möglich: „Die Aussage, unsere Dieselfahrzeuge seien absichtlich so konzipiert, dass die Stickoxidreinigung im Normalbetrieb über weite Strecken nicht funktioniere, ist schlicht falsch.“

Größerer Adblue- Tank - oder öfter nachfüllen?

Aber: Auch bei Daimler wird die „Abgasnachbehandlung in Abhängigkeit vom jeweiligen Betriebszustand innerhalb des zulässigen Rahmens flexibel geregelt, um den Motorschutz und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“, wie es in einer früheren Stellungnahme hieß.

Politik und Politikberatung sind sich nicht so sicher, was den „zulässigen Rahmen“ angeht. Und zwar sowohl in Europa wie in den USA. Temperaturen unter 10 Grad Celsius sollen ein Ausnahmezustand sein, bei dem der Motor besonders geschützt werden muss? Da wollen viele nicht mitgehen.

Setzen sich die Zweifler an der Thermo-Praxis durch, können sich viele Dieselfahrer auf eines einstellen: Sie müssen auch zwischen den Wartungsintervallen häufig Adblue nachtanken. Oder: Die Hersteller bauen wesentlich größere Tanks ein. Das könnte jedoch manchen Fortschritt an der Gewichts- und Verbrauchsfront zunichte machen.

Vermutlich möchte die Bundesregierung die Daten aufgrund dieser komplizierten Gemengelage nicht publizieren, bevor nicht nur klar ist, was die Ergebnisse aussagen – sondern auch, was politisch und rechtlich daraus folgt.

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