Manche Wunden schmerzen noch nach Jahren. 1963 wollte Jaguar 18 spezielle E-Type bauen, doch es wurden nur 12. Erst 52 Jahre später kommt das Projekt Lightweight zum Ende – wir stiegen ein.
Mendig – Eine handgefertigte Aluwanne, ein dürrer Schalthebel. Hinzu kommen drei Pedale, ein paar Armaturen, zwei Sitze und ein Lenkrad. An den Türen hängt an einem Draht ein kleiner Gummikeil. Er wird zwischen Türblech und Seitenscheibe geklemmt, damit diese oben bleibt. Auf den ersten Blick sieht der Innenraum des Jaguar E-Type Lightweight mit der Seriennummer S850670 aus wie eines der einfachsten Auto-Cockpits der Welt. Wahrscheinlich ist es eines der aufwändigsten. Dabei sind es nicht die Teile an sich, die dieses Auto zu etwas Besonderem machen. Es ist die Art, wie sie erschaffen wurden und warum. Nach 12 Exemplaren stoppt Jaguar die ProduktionAuf dem Fahrersitz des Lightweight sitzt Kev Riches, Projektmanager für die „Neuauflage“ des E-Type Lightweight. In den vergangenen 18 Monaten hat Kev seine Zeit einem Auto gewidmet, das vor 51 Jahren gestorben ist. 1963 wollte Jaguar mit dem Projekt "Special GT E-TYPE" 18 leichtere, schnellere, bessere E-Type bauen, um auf den Rennstrecken dieser Welt die Erfolge von C- und D-Type fortführen zu können. Statt aus Stahl bestanden Karosserie und Monocoque aus Aluminium, dazu wurde eine neue Version des 3,9-Liter-Alu-Sechszylinders eingebaut, mit dem 1957 ein D-Type die 24 Stunden von Le Mans gewann. Die mit dem Zusatz „Lightweight“ und einem S vor der regulären Chassisnummer versehenen Autos leisteten gute 70 PS mehr und wogen rund 114 Kilogramm weniger. Doch nach 12 Exemplaren stoppte das Business den Sport. Warum die restlichen Renn-Modelle nicht gebaut wurden, gilt gemeinhin als nicht vollständig geklärt. Kev Riches arbeitet seit 41 Jahren für Jaguar und weiß: Der E-Type war so beliebt, das Werk überlastet. Er vermutet, man wollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Tatsache ist: Die leichten E-Type waren nicht so erfolgreich wie ihre C- und D-Vorgänger. 1964 wurde der vorerst letzte Lightweight fertiggestellt. Quelle: Jaguar 50 Jahre später erachtet Jaguar renntaugliche E-Type nach den Spezifikationen von 1963 wieder als wesentlich – und als Business. 2014 kündigte der Hersteller an, die restlichen sechs Modelle fertigen zu wollen. Möglichst nah am Original, mit den verbliebenen Chassis-Nummern und zu einem Verkaufspreis von einer Million Pfund pro Fahrzeug (ca. 1,4 Millionen Euro). Alle Exemplare sind bereits verkauft, fertiggestellt bisher nur das, in dem wir sitzen (und ein Prototyp, „Car Zero“, der nicht mitgezählt wird). Weber oder LucasKevs Hände umklammern den dünnen Holzkranz des Lenkrads, als wir langsam auf das Rollfeld des Mendiger Flugplatzes zufahren. Der 3,9-Liter-Reihensechszylinder ruckelt und stockt. „Das mag er gar nicht“ sagt Kev. „Am besten läuft der Motor zwischen 4.000 und 6.000 Touren“. S850670 verfügt über die auch in den 60ern optional verwendete mechanische Lucas-Einspritzung. „Die wird per Unterdruck gesteuert.“ Im Leerlauf funktioniert das super - und bei Vollgas. Dazwischen überhaupt nicht. Etwas alltagstauglicher sind die serienmäßigen Weber-Vergaser (falls man bei diesem Auto annähernd das Wort Serie verwenden kann). Quelle: Jaguar Kev selbst sagt, er könnte stundenlang über das Jaguar-Emblem in der Mitte des Lenkrads sprechen. Darüber, dass die auf Ebay angebotenen Repliken einen völlig symmetrischen Growler (den brüllenden Jaguar) tragen, während das Original eine leichte Asymmetrie aufweist. Darüber, dass Jaguar selbst mehrere Exemplare auf der Online-Plattform ersteigert hat, um eine Vorlage zu haben und nur ein Original dabei war. Und darüber, wie jetzt ein Juwelier der Queen aus Birmingham mit 24 karätigem Gold neue Embleme anfertigt. Tränen der ErgriffenheitDer E-Type erreicht das Rollfeld und Kev tritt aufs Gas. Bei der aktuellen Getriebeabstimmung erreicht der Lightweight im ersten von vier Gängen bis zu 80 Meilen pro Stunde – rund 130 km/h. Die Nadel des Drehzahlmessers nähert sich der 40 (x100 Umdrehungen). Schon jetzt erklingt ein infernalischer Lärm. Doch Kev geht bis an die 60. Quelle: Jaguar Das Rasseln, Dröhnen und Scheppern vermischt sich mit dem Geruch von heißem Castrol 20W/50 und Benzindämpfen. Der Jag schießt die Landebahn hinauf. Kev schätzt, dass der 340 PS starke Jag in rund 5,0 Sekunden auf 100 km/h sprintet. In Kombination mit der fehlenden Dämmung, dem kargen Cockpit und den Schwingungen des Chassis fühlt sich das so schnell an, als ob kein moderner Supersportwagen mit diesem alten Alu mithalten könnte. Kein Ferrari, kein Porsche, kein McLaren. Wenn je ein Auto die von Walter Röhrl scherzhaft beschriebenen Tränen der Ergriffenheit erzeugt, dann muss es ein Lightweight sein. Nicht, weil er schnell ist. Sondern, weil der Fahrer spürt, wie Geschwindigkeit entsteht – und was sie bedeutet. Fahren wie 1964Zu einer Zeit, als die meisten Alltagsautos vielleicht 120 oder auch 140 km/h schnell fuhren, brachte es der Lightweight E-Type auf bis zu 260 km/h. Am Ende der Landebahn erreicht die Tachonadel von S850670 die 120er Marke – gute 190 km/h. Kev sagt, mit der aktuellen Abstimmung sind mindestens 165 Meilen drin (265 km/h), dann wirft er das Auto in die nächsten Kurven. Kev bremst hart, schaltet mit Zwischengas und tritt am Scheitelpunkt voll drauf. Selbst auf dem Beifahrersitz spürt man eindeutig, wie die klassischen Dunlops an der Hinterachse arbeiten und dann die Haftung verlieren. Das handgefertigte Chassis fühlt sich enorm steif an, das Fahrwerk straff und präzise. Mit ausbrechendem Heck schiebt Kev den Lightweight um die nächste Kurve. So als wäre es die letzte Runde in Le Mans 1964 und Graham Hill im Ferrari 330P direkt hinter uns. Nur ein paar Sekunden später überqueren wir unsere Ziellinie. Die Zeitreise im Lightweight endet. Jaguar hat es versprochenZeitreisen sind nicht billig. Jaguar hat für die neuen Lightweights unter anderem die Karosse des zuletzt gefertigten originalen Exemplars mit Lasern vermessen, neue Produktionswerkzeuge fertigen lassen und die Original-Quelle für das Leder der Sitze reaktiviert. Zwölf Mitarbeiter setzen die neuen Lightweight am traditionellen Standort „Browns Lane“ wie 1963 in Handarbeit zusammen - nur wenige Meter von der alten Fertigungsstätte entfernt. Heraus kommen sechs Autos mit einem Mindestpreis von einer Million Pfund und wie geschaffen für die Rennstrecke – oder das Museum. Nein, verspricht Kev. Und verweist auf die vielleicht wichtigste Entscheidung bei der Beendigung des Projekts Lightweight: die Auswahl der Käufer. Alle sechs Exemplare wurden laut Kev Riches an Kunden verkauft, die ein Kriterium erfüllen mussten: Sie werden ihren Lightweight ausgiebig fahren. Die meisten von ihnen bei historischen Rennveranstaltungen. Auf der Straße wird man höchstwahrscheinlich keinen Lightweight sehen. Obwohl die Original-Fahrzeuge zugelassen waren, und heute die Original Chassis-Nummern verwendet werden, hätte Jaguar die Fahrzeuge neu homologieren müssen. Diese Aufgabe war selbst für Kev unlösbar. Jaguar E-Type Lightweight 2015 (Chassis-Nr. S850670) – Technische Daten
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