Von Ralf Schütze
Berlin – Im Vierjahrestakt duddelt Herbert Zimmermans Ausruf: „Toooor, Toooor, Toooor“ als Klingelmelodie über die Schulhöfe. Nach 0:2-Rückstand schlug die westdeutsche Elf im Berner Fußball-Epos den Favoriten Ungarn mit 3:2 im WM-Finale '54.
Eine Sensation: Niemand 1954 hätte mit einem Sieg der deutschen Elf gegen Ungarn gerechnet Quelle: dpa/Picture Alliance
Das Blechwunder des Jahres 1954 entstand bei Mercedes-Benz. Auf der Autoshow in New York zeigte der Autohersteller im Februar sein vielleicht schönstes Auto: den 300 SL, besser bekannt als „Flügeltürer“. Die Amerikaner geben ihm den Beinamen „gullwing“ (Mövenflügel). 215 PS und 260 km/h Spitze sind für ein damaliges Straßenauto sensationelle Werte. Dank seinem ultraleichten Gitterrohrrahmen wog der 300 SL („Super Leicht“) nur 1.295 Kilogramm (fahrfertig). Hinzu kam die weltweit erste Benzin-Direkteinspritzung in einem Serien-Pkw.
Stirling Moss und die Mille Miglia
Am 4. Juli 1954, dem Tag des WM-Endspiels in Bern, kehrte Mercedes in die Formel 1 zurück. Da der W 196 erst später fertig wurde, begann Juan Manuel Fangio die Saison auf Maserati, fuhr aber ab dem vierten Rennen in Frankreich im Mercedes allen Mitstreitern davon.
Flügel verlieh der 300 SL (internes Kürzel: W 198 I) dem Rennfahrer Stirling Moss, der die Mille Miglia 1955 auf dem 300 SLR Rennsportwagen gewann. Um 7:22 Uhr morgens ging Moss an den Start und zauberte am Ende mit durchschnittlich 157,62 km/h die schnellste je gefahrene Mille Miglia-Runde auf den Asphalt. Vom 300 SL entstanden 1.400 Coupés, zum Preis von 29.000 D-Mark (nach heutiger Kaufkraft knapp 70.000 Euro) .
Alfa Giulietta Coupé Sprint
Für ein kleineres Fußballwunder sorgte unterdessen WM-Gastgeber Schweiz: In einem Entscheidungsspiel schickten die Eidgenossen den damals zweifachen Weltmeister Italien mit einer 4:1-Klatsche nach Hause. Dabei wurde ein Schweizer mit dem lautmalerischen Namen Robert Ballaman zum Star. Er erzielt das wichtige 2:0.
Platz für 2 und 2 Mutige: Die Rückbank im Aston war knapp bemessen Quelle: dpa/Picture Alliance
Alfa Romeo setzte im WM-Jahr die Giulietta in Szene, mit dem Coupé Sprint mit Bertone-Karosserie. Berühmt wurde zwei Jahre später das von Pininfarina gezeichnete Giulietta-Cabrio namens Spider. Der Höhenflug der Schweizer endete in einem spektakulären Viertelfinale gegen Österreich mit 5:7 (4:5). So viele Tore in einem WM-Spiel hat es bis heute nicht mehr gegeben.
Aston Martin DB2
Die Engländer scheiterten 1954 ebenfalls im Viertelfinale. Schuld daran war ein bis heute altbekanntes Problem der „Three Lions“: Torwart Gil Merrick erwischte keinen guten Tag. Auch bei den Automobilen setzt sich England 1954 nicht besonders ins Licht. Der zum 2+2-Sitzer vergrößerte Aston Martin DB2 mutierte zum DB 2/4 und Jensen brachte den 541 mit Kunststoffkarosserie.
Bedeutenderes tat sich in den USA, wo Ford mit dem künftigen Erfolgsmodell Thunderbird eine Antwort auf Chevrolets Corvette lieferte. Bei der Fußball-WM traten die Amis erst gar nicht zur Qualifikation an.
Der Boss fuhr Kapitän: Helmut Rahn steuerte die Rüsselsheimer Oberklasse Quelle: Opel
Die tragischen Helden des WM-Jahres 1954 waren die Ungarn. Die haushohen Favoriten unterlagen im Finale der deutschen National-Elf. Nie wieder wird ein ungarisches Team so auftrumpfen wie 1954, nie wieder kurz vorm Ziel so grandios scheitern.
Der Boss fuhr Kapitän
Nach dem WM-Wunder der Teutonen fuhrt der Triumphzug der Weltmeister durch München. Unter den angemieteten viersitzigen Cabriolets waren drei Mercedes-Benz 170 S – berühmt ist ein Foto von Trainer Sepp Herberger und Kapitän Fritz Walter in dem Cabrio.
WM-Held Helmut Rahn fuhrt nach dem Titelgewinn zunächst einen geschenkten Goggomobil-Motorroller. Später stieg „Boss“ Rahn auf Opel Kapitän um – eine der weiteren Innovationen aus dem Autojahr 1954 mit neuer Ponton-Karosserie.
Für einen 300 SL hat die WM-Prämie von 2.500 D-Mark plus Goggomobil, Fernseher, Lederkoffer und Maggi-Geschenkkorb nicht gereicht.