Neue Modelle hatte Mercedes auf der IAA zwar auch dabei. Mehr Aufmerksamkeit erregte aber eine herkömmliche S-Klasse. Denn sie fährt jetzt allein.
Frankfurt - Die Mercedes-Pressekonferenz in der brechend vollen Festhalle war eine der größten Shows der IAA. Konzernchef Dieter Zetsche nutzte die große Bühne für das, was man erwartete: die Premieren des Serienmodells GLA und der Studie des S-Klasse Coupé. Der Mann mit dem chrakteristischen Schnauzer hatte aber noch ein anderes Thema und versprach nicht weniger als eine Revolution. Zetsche zitierte Gottlieb Daimler: "Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten - allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren." Die erste Kutsche ohne KutscherDieses Problem erklärt Mercedes nun für gelöst - zumindest im Prinzip. "Wir hatten die erste pferdelose Kutsche, und jetzt haben wir auch die erste Kutsche ohne Kutscher", sagt Dieter Zetsche. Und zeigt einen Film, in dem eine S-Klasse nicht allein, aber selbständig, oder autonom, wie die Branche es nennt, von Mannheim nach Pforzheim fährt. Nicht auf der Autobahn, sondern auf der Strecke, auf der Bertha Benz vor 125 Jahren die erste Fernfahrt im Auto unternahm - gut 100 Kilometer durch Dörfer, Städte, über Landstraßen. Vorbei an Zebrastreifen, Ampeln, Tempo-30-Zonen, Radfahrern, Fußgängern, Müllwagen, Traktoren. Das Lenkrad dreht sich wie von Geisterhand, Schalten, Blinken, Überholen: Alles automatisch. Sensoren und 3D-KartenMit PR-Botschaften ist es so eine Sache; in mancher Nachrichtensendung am Abend verstanden die Zuschauer: Mercedes verkauft jetzt selbstfahrende Autos. Wer deswegen morgen bei seinem Mercedes-Händler vorspricht, wird aber enttäuscht: Hier war ein Versuchsfahrzeug auf Versuchsfahrt unterwegs. Mit serienmäßiger, aber aufgestockter Sensorik und seriennaher Software. Damit erfasst das Fahrzeug Verkehrssituationen und reagiert adäquat - im Prinzip. Denn es gab noch Optimierungsbedarf: Die Sensorik ignorierte etwa das Winken von Fußgängern, die das Auto am Zebrastreifen vorlassen wollten, und blieb einfach stehen. Zeichensprache beherrscht das System noch nicht so gut wie Verkehrsregeln. Quelle: Daimler Alles kann das Auto nicht spontan mit seiner Sensorik bewältigen. Das autonome Fahren braucht Vorbereitung. Eingespeist war eine dreidimensionale, hochexakte Karte der Strecke von Mannheim nach Pforzheim. Sie enthält die Straßen, den Spurverlauf, Anzahl und Richtung der Fahrspuren, alle Verkehrsschilder und Ampeln - kurz, alles, was sich planen lässt. Rechtslage bleibt HaupthindernisAm Ende ist diese Versuchsfahrt nur ein Test, und Daimler ist nicht der einzige Hersteller, der das autonome Fahren erforscht. Bis zur Serienreife werden noch einige Erkenntnisse folgen wie das, das der Daimler-Projektleiter Ralf Herrtwich anspricht: Schwierig sind beispielsweise "das Erkennen von Ampelphasen in verschiedenen Beleuchtungssitutationen und die Zuordnung einzelner Ampeln zu den Fahrspuren". Diese Hürden wird die Industrie in den Griff bekommen, davon kann man ausgehen. Weniger Einfluss haben die Ingenieure auf die Rechtslage. Derzeit muss der Hersteller sicherstellen, dass der Fahrer in jeder Situation die Kontrolle behält. Automatisches Lenken über 10 km/h ist in der EU verboten. Während erste US-Bundesstaaten ihre Gesetze ändern, ist ähnliches in Europa noch nicht in Sicht. Die Frage "wer hat Schuld bei einem Unfall" ist für Herrtwich dagegen keine: Wer ein Fahrzeug herstellt und verkauft, muss die Verkehrssicherheit garantieren, sagt er. Und: Die umfangreiche Sensorik der autonomen Fahrzeuge macht Unfälle leichter nachvollziehbar, weil ausgewählte Fahrdaten aufgezeichnet werden. Technisch gesehen ist eine Motorkutsche ohne Kutscher noch in diesem Jahrzehnt problemlos vorstellbar. Ob die Technik 2020 aber zum Straßenbild gehört? Das weiß aktuell noch keiner - auch, wenn man sie dann vielleicht beim Händler kaufen kann. Video: Der Film von der Mercedes-IAA-Präsentation |