Köln - Was wäre die Autowelt ohne italienische Designer und Ingenieure. Nur sie konnten ein Auto wie den Lancia Gamma bauen. Eine Limousine mit einem 2,5-Liter-Vierzylinder-Boxer, der sogar mit dem V8 des futuristischen Rover SD1 verglichen wurde. Zeitgleich nannte man das betörend schöne Gamma Coupé sogar in einem Atemzug mit den viersitzigen V12 von Ferrari. Der erhoffte Höhenflug blieb den Lancia-Flaggschiffen trotzdem verwehrt - trotz aufregender Pininfarina-Form und hochentwickelter Technik.
Erfolglose Schönheit: Lancia Gamma
Der Gamma startete zu früh: Motoren und Elektronik waren noch nicht ausgereift Quelle: Lancia
Im Gegenteil. 22.000 Autos in gut acht Produktionsjahren waren ein Desaster. Die mangelnde Nachfrage lag zuerst an den exorbitant hohen Preisen der luxuriösen Lancia. Bald kamen technische Tücken hinzu. Sofern die qualitativen Patzer ausgeräumt waren, begeisterten die letzten eigenständig entwickelten großen Lancia: Durch elegante Extravaganz und stilvolle Sportlichkeit.
Der Luxusliner Lancia Flaminia war bereits sechs Jahre zuvor still und leise zu Grabe getragen worden. Fiats Sechszylinder-Flaggschiff vom Typ 130 verabschiedete sich 1976 in den Ruhestand. Höchste Zeit also für ein frisches Spitzenmodell im Fiat-Imperium. Italiens Besserverdienende wollten schließlich nationalbewusst reisen. Lancia war seit 1969 Bestandteil des Fiat-Markenportfolios. Für die Turiner Herren stand von Beginn an fest, die noble Tochter mit der Entwicklung einer neuen Oberklasse zu beschäftigen.
Diese sollte es nach bester Lancia-Tradition in zwei Karosserieformen geben: Als Limousine für Selbstfahrer, aber mit großzügig dimensioniertem Fond für die chauffierten Repräsentanten von Konzernen, Kirche und Staat. Und als Coupé für die Connaisseurs edler Gran Turismo. Mit dessen Formenfindung wurde Altmeister Pininfarina beauftragt, der den zweitürigen Lancia in Linien zeichnete, die der Stilikone Ferrari 400 nicht zufällig ähnelten.
Eigenkonstruktion statt Citroen-Basis
Designkritiker fanden die Fastbacklimousine zu eigenwillig gestaltet. Sie orientierte sich an einem Pininfarina-Concept-Car aus dem Jahr 1967. Die Studie Berlina Aerodinamica ging nie in Serie, inspirierte aber gleich zwei Schrägheckformen. Zum einen den Gamma, zum anderen den Citroen CX. Kein Zufall - arbeitete doch Fiat seit 1970 eng mit der finanziell maroden französischen Marke zusammen. Dies in der Hoffnung auf eine Übernahme des ingenieurgetriebenen Herstellers, der vermeintlich gut zu Lancia gepasst hätte.
Die schlechten Eigenschaften ruinierten den Ruf des Gamma nachhaltig Quelle: Lancia
Aus der beabsichtigten gallo-romanischen Ehe wurde aber nichts, denn 1972 intervenierte die französische Staatsführung, um die Verbindung zwischen Fiat und Citroen aufzulösen. Der Rest ist Geschichte, Citroen fand bei Peugeot eine neue Heimat und der Lancia Gamma musste auf die vorgesehene Hydropneumatik aus dem Citroen CX ebenso verzichten wie auf die gemeinsam entwickelte Bodengruppe.
Stattdessen blieb den Lancia-Konstrukteuren nichts anderes übrig, als noch einmal von vorn zu starten. Dies aber unter so großem Zeitdruck, dass der Gamma unausgereift auf den Markt kam. Ganz besonders galt das für die Vierzylinder-Boxermotoren - ein 140 PS starker 2,5-Liter für die internationale Vermarktung und ein 2,0-Liter mit 120 PS für die Heimat. Die souveräne Drehmomentfaltung der Boxer, ihr geringes Gewicht und die tiefliegende Einbauweise führten dazu, dass sich die beiden Vierzylinder gegen einen ebenfalls erprobten Abarth-V6 durchsetzten.
Für Aufsehen sorgte das 2,5-Liter-Aggregat zudem durch seine Rolle als Hubraumriese unter den damaligen Serien-Vierzylindern. Ansonsten nutzte Technik-Chef Sergio Camuffo technische Komponenten des 1972 lancierten Lancia Beta, darunter die patentierte Camuffo-Hinterachse, eine der ersten in Serie gebauten Mehrlenkerkonstruktionen.
Der Gamma kam zu spät und hatte Macken
Präsentiert wurden Gamma Limousine und Gamma Coupé sowohl von Lancia als auch von Pininfarina auf dem Genfer Salon 1976. Und damit anderthalb Jahre später als der Citroen CX, dem die Italiener in den Verkaufszahlen nicht folgen konnten. Dabei hatte alles so gut begonnen, die Medien lobten das geräumige und stilvolle Lancia-Interieur und ganz besonders die großen Boxer-Motoren mit einer Laufkultur und Leistungsentfaltung, die „vielen Sechszylindern in nichts nach steht“.
Dazu das Fahrwerk mit einer „prächtigen Mischung aus Komfort und Unproblematik“. Schier grenzenlos war die Begeisterung über die eigenständigen Coupé-Linien. Tatsächlich nutzte der Zweitürer die Bodengruppe der Berlina, allerdings mit um 11,5 Zentimeter verkürztem Radstand.
Von der Presse gelobt: Die Vierzylinder-Boxer des Gamma Quelle: Lancia
Das Coupé präsentierte Pininfarina deshalb in drei weiteren schönen Spielarten. Zuerst 1978 als Showcar Targa Spider mit herausnehmbaren T-Bar-Dachteilen, vier Jahre später als Stufenhecklimousine Scala und schließlich auf dem Pariser Salon 1984 als Shootingbrake Olgiata. Da war der erfolglose Serien-Gamma allerdings bereits eingestellt.
Das lag weniger an den exorbitant hohen Preisen des Coupés. Mit mehr als 34.000 Mark war der Zweitürer um ein Drittel teurer als die Berlina und bewegte sich fast auf dem Niveau der Achtzylinder-S-Klasse. Kritisch waren die Qualitätsdefizite aller Gamma, besonders Motorprobleme. Die Vierzylinder neigten zum Überhitzen und die Elektrik streikte unangemessen oft. Gar nicht zu reden von den rasch rostenden Blechen.
Schlechter Ruf und zwei Facelifts
Bei zwei Facelifts stellte Lancia die Defizite ab, allein der Ruf des Gamma war bereits nachhaltig ruiniert. Deshalb brachte ein 1980 eingeführter Einspritzmotor keinen neuen Schwung mehr. Die von Giorgetto Giugiaro 1978 gezeichnete Stilstudie Megagamma wies zwar den Weg zu den fünftürigen Minivans der 1980er Jahre, ging aber dennoch nicht in Serie.
Auf eine große Heckklappe für die Gamma Limousine hatte Lancia übrigens trotz Schräghecks bewusst verzichtet, hätte diese doch damals vermeintlich schädliches Kombiflair in die feine Businessclass gebracht. Auch der Citroen CX Berline fuhr deshalb als Viertürer vor, andererseits bewies der avantgardistische Rover 3500 V8 (SD1), dass sich Noblesse mit einer fünften Tür vertrug.
Lancia dagegen vertraute beim Ende 1984 gezeigten Nachfolger des Gamma wieder konsequent auf klassische Stufenhecklinien. Tatsächlich wurde der darin eingekleidete Thema ein Bestseller, von dem die 16-fache Stückzahl des erst heute wirklich gesuchten Gamma verkauft wurden.
Wichtige Motorisierungen
- Lancia Gamma Berlina 2000 mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Boxerbenziner (85 kW/115 PS bzw. 88 kW/120 PS), Vmax 177 bis 183 km/h
- Lancia Gamma Berlina 2500 bzw. 2500 I.E. mit 2,5-Liter-Vierzylinder-Boxerbenziner (103 kW/140 PS), Vmax 190 bis 195 km/h;
- Lancia Gamma Coupé 2000 mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Boxerbenziner (88 kW/120 PS), Vmax 180 bis 185 km/h;
- Lancia Gamma Coupé 2500 bzw. 2500 I.E. mit 2,5-Liter-Vierzylinder-Boxerbenziner (103 kW/140 PS), Vmax 195 km/h;
Modellhistorie Lancia Gamma
1970: Direkt nach Produktionsende des Lancia Flaminia erfolgt der Entwicklungsstart eines neuen Flaggschiffs für den Fiat-Konzern, das sowohl die Modelle Flaminia als auch eines Tages den Fiat 130 ersetzen sollte. Entwickelt wurde der Lancia Gamma parallel zum Citroen CX, mit dem er sich verschiedene Komponenten teilen sollte
1972: Das Ende der Kooperation zwischen Citroen und Fiat führt zu einer Neukonzeption des Gamma, der nun auf die hydropneumatische Fahrwerkstechnik von Citroen verzichten muss und auch sonst keine Bauteile mehr mit dem Citroen CX teilt. Das Design der beiden Limousinen orientiert sich an einem Pininfarina-Entwurf für den britischen BMC-Konzern aus dem Jahr 1967. Vorstellung des Lancia Beta, der als erstes Modell der Fiat-Ägide die Lancia-Vorkriegsnamen wieder aufgreift. Der Gamma übernimmt technische Komponenten des Beta und folgt mit seinem Namen ebenfalls dem griechischen Alphabet
1974: Markteinführung des Citroen CX
1976: Auf dem Genfer Salon debütieren Gamma Berlina (Limousine, Länge 4,58 Meter) und Gamma Coupé (Länge 4,49 Meter), der Fertigungsanlauf für die Gamma Berlina mit 2,0- und 2,5-Liter-Vierzylindermotoren erfolgt im Anschluss
1977: Produktionsstart für das Gamma Coupé
1978: Die Pininfarina-Studie Lancia Gamma Targa Spider debütiert auf dem Genfer Salon. Der von Giorgetto Giugiaro gezeichnete Lancia Megagamma debütiert auf dem Turiner Salon als Concept Car. Der Megagamma nutzt die Architektur der Lancia-Serienlimousine, versteht sich aber als Vorbote neuartiger Familienvans
1980: Gamma Berlina und Coupé werden einem gründlichen Facelift unterzogen, das auch technische Neuheiten wie eine Bosch LE-Jetronic-Benzineinspritzung bringt und alle Qualitätsprobleme beim Motor abstellt
1982: Abgeleitet vom Gamma Coupé zeigt Pininfarina auf dem Pariser Salon im Oktober die Studie Scala, eine viertürige Stufenhecklimousine
1984: Auf dem Pariser Salon präsentiert Pininfarina im Oktober eine Studie namens Olgiata, die das Shootingbrake-Konzept des Lancia Beta HPE in die Oberklasse transferiert. Allerdings hat der vom Gamma Coupé abgeleitete Olgiata keine Aussicht auf Serienfertigung, da die Produktion des Gamma eingestellt wurde. Nachfolger des Gamma wird der Lancia Thema.
Ausgewählte Produktionszahlen
- Lancia Gamma Berlina: 15.292 Einheiten (1976-1984),
- davon 4.553 Einheiten als Gamma 830 AB.2 (2000) von 1976-1979,
- 5.942 Einheiten als Gamma 830 AB.0 (2500) von 1976-1979,
- 2.465 Einheiten als Gamma 830 AB2/2 (2000 FL bzw. FL2) von 1980-1982,
- 600 Einheiten als Gamma 830 AB0/1 (2500 FL bzw. FL2) von 1980-1982,
- 1.712 Einheiten als Gamma 830 AB0/4 (2500 I.E. FL2) von 1980-1984.
- Lancia Gamma Coupé: 6.789 Einheiten (1977-1984),
- davon 1.978 Einheiten als Gamma Coupé 830 AC.2 (2000) von 1977-1979,
- 2.337 Einheiten als Gamma Coupé 830 AC.0 (2500) von 1977-1979,
- 1.265 Einheiten als Gamma Coupé 830 AC2/2 (2000 FL) von 1980-1983,
- 1.209 Einheiten als Gamma Coupé 830 AC0/4 (2500 I.E. FL) von 1980-1984,
- zuzüglich 9 Vorserienexemplare im Jahr 1976.
Quelle: SP-X (Wolfram Nickel)