VON BJÖRN TOLKSDORF Fiat-Chef Sergio Marchionne ist mit seiner neuen Marke Chrysler so glücklich, dass er am liebsten seine Zentrale von Turin nach Detroit verlegen würde. Doch erst mal bringt der Patrone das Chrysler Sebring Cabrio als Lancia Flavia nach Europa. Eleganza in movimento, born in the USA: Der Sebring heißt seit 2011 Chrysler 200 und kommt nun in Europa als Lancia Flavia auf den Markt. Dabei macht es sich Fiat möglichst einfach: Keine Limousine, kein V6, kein Hardtop – der Lancia Flavia ist nur als vollausgestattetes, vierzylindriges Cabrio für 36.900 Euro käuflich. Einziger möglicher Kostentreiber: Metalliclackierung für 800 Euro. Bewährt und amerikanisch wie Pizza Hut Viel mehr als die Marken-Embleme wurde nicht verändert, damit aus dem Amerikaner ein Italiener wird. Der Flavia wirkt zeitlos und unaufgeregt, das Design hätte genauso gut in die 90er Jahre gepasst. Technisch basiert der Chrysler 200 weiter auf der Sebring-Plattform, für die europäischen Bedürfnisse wurde das Fahrwerk straffer und die Bremsscheiben für deutsche Autobahnen größer. In Nordamerika ist der Sebring ein Topseller, vor mir steht bewährte Serientechnik, so amerikanisch wie Pizza Hut. Das Ami-Klischee: Außen hui, innen Plastikwüste? Hier nicht. Das Armaturenbrett wirkt für europäische Gemüter vielleicht etwas kantig, aber Verarbeitung und Material passen. Auf feinem Leder, zwischen weichen Oberflächen und viel Chrom fühle ich mich auf Anhieb wohl. Auch US-Bürger finden sich sofort zurecht: Der Tacho hat neben km/h auch eine mph-Anzeige, über dem Zündschloss steht „engine“. So ein Auto muss man offen fahren, das Verdeck öffnet sich auf Knopfdruck in 28 Sekunden. Der Kofferraum fasst dann noch schmal geschnittene 198 Liter, also ab auf den Rücksitz mit dem Gepäck und los. Kapitän auf meinem Schiff Wie würde sich eine Pan Pizza in einer Trattoria machen? Sie schmeckt, aber sie fremdelt. Auch der Chrysler 200 fremdelt im Lancia-Land Italien. Widerwillig schwenken die langen Überhänge des Fünfmeter-Cabrios durch schmale Kurven und enge Dörfer. Der WEG-Vierzylinder protestiert, gequält von häufigen Tempowechseln und Steigungen. Der Sauger hat trotz 170 PS Mühe mit den knapp 1,8 Tonnen Leergewicht, ihm helfen kein Turbo, keine Direkteinspritzung und auch kein flinkes Doppelkupplungsgetriebe. Der Flavia bietet nur gemächliche Fahrleistungen (0-100 km/h in 10,8 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 195 km/h) bei relativ hohem Verbrauch (9,4 Liter/100 km im EU-Zyklus). Auch die Servolenkung ist wenig präzise, hier bin ich kein Pilot im Kurvenflitzer, sondern Kapitän auf meinem Schiff. Das Fahrwerk ist angenehm abgestimmt, ein gesunder Kompromiss aus minimierten Wankbewegungen und weichem Federn. 100 km/h auf der leeren Autobahn lassen fühlen, wie der Amerikaner sein Convertible mag: Das Auto ist Platz gewohnt. So wie es Enge hasst, liebt es breite, gerade Straßen, dahingleiten in der Ebene, Ruhe, Weite. Hinten sitzt man angenehmer als in den allermeisten deutschen Cabrios, aber da wird es bei diesem Tempo windig. Also lassen wir es einfach wieder geruhsamer angehen und gleiten entlang der Küste in den Sonnenuntergang. Der Lancia Flavia bietet Cabrio-Fahrspaß, gutes Raumangebot und stilvolles Ambiente zum fairen Preis. Abstriche macht man beim Antrieb und beim Verbrauch. Dafür ist der Flavia mit Sicherheit ein exklusives Vergnügen: In Nordeuropa ist Lancia eine Nischenmarke, im Süden kauft niemand Cabrios. Kein Wunder also, dass der pragmatische Marchionne den amerikanischen Traum träumt: Chrysler brummt, und es gibt keine italienischen Gewerkschaften.
Modell: Lancia Flavia Typ: Viersitziges Cabriolet Motor: 2,4-Liter Vierzylinder Getriebe: Sechsgang-Automatik Leistung: 170 PS Verbrauch: 9,4 Liter/100 km (NEFZ, kombiniert) CO2: 221 g/km 0 – 100 km/h: 10,8 Sekunden Höchstgeschwindigkeit: 195 km/h Länge x Breite x Höhe: 4,95 m x 1,84 m x 1,48 m Gewicht: 1.856 kg Kofferraum: 377/198 Liter (geschlossen/offen) Preis: 36.900 Euro Marktstart: Juli 2012
Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 02.07.2012
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