Die Zeltstadt gleicht einer Fata Morgana. Aus dem Nichts taucht sie auf, verbreitet Trubel und verschwindet 20 Stunden später wieder. Ein Besuch bei der Rallye Dakar.
Rosario/Argentinien - Die Schläge erfolgen im Sekundentakt. Meist in den Rücken, oft in Kopf und Gelenke. Es ist eine selbst auferlegte Folter. Die Tortur dauert viele Stunden, viele Tage. Wer die Sprünge über Dünen und die Vollgasfahrten über Schlaglochpisten 14 Tage lang unbeschadet übersteht, zählt zu den Siegern der Rallye Dakar, zu den Bezwingern der härtesten Langstrecken-Fahrt der Welt.
Die Marathon-Fahrt durch Argentinien und Chile erfordert mehr eisernen Willen als stählerne Muskeln. Dabei ist fast egal, ob man im Renn-Truck, Pisten-Buggy oder im Rallye-Auto sitzt. Nur die Motorradfahrer haben es noch schwerer als alle anderen. ![]() Ein Sitz wie ein PanzerWir zwängen uns in die Sitze des Rallye-Minis. Sie sind eng wie eine Röhrenjeans. Dicke Wangen schmiegen sich brutal an den Rücken und halten den Kopf über den Schultern. Ein Fünf-Punkt-Gurt zerrt den Rumpf des Fahrers fest. Ich fühle mich wie eine Schildkröte, die nur Arme, Beine und den Kopf bewegen kann. Das ist die Starterlaubnis für die Allrad-Rakete. Chef-Mechaniker Miguel Moreira drückt mehrere Knöpfen, von denen es im Mini so viele gibt wie in einem U-Boot. Dann greift der Portugiese zu einem Stock, so groß wie ein Periskop, und prügelt den ersten Gang ins Getriebe. Der 307-PS-Mini böllert los, der BMW-Diesel mit seinen 3,0 Litern Hubraum krakeelt durch die Auspuffrohre. Die digitalen Wegstreckenzähler vor dem Beifahrer beginnen ihren Lauf, während Miguel immer weiter schaltet. Bei Gang sechs ist Ende im Getriebe. Der Tacho zeigt 140, theoretisch sind 185 Sachen möglich. Klimaanlage kühlt auf 50 Grad„Kannst du dich bitte festhalten“, brüllt Miguel in mein linkes Ohr. Meine Hände krallen sich in die ![]() „Ist es zu warm?“, fragt Miguel. Seine Stirn glänzt. Obwohl es 22:30 Uhr ist, hat der argentinische Sommer das Örtchen San Rafael fest im Griff. Zum Glück hat der Mini All4 Racing eine Klimaanlage. Aus einem abgeschnittenen Rohr unter dem nach oben ausgebeulten Dach strömt Luft. Sie kann die Temperatur im Innenraum von 60 auf 50 Grad Celsius kühlen, sagt Mechaniker Ammann. Erfolg steckt an. Deshalb starten bei der diesjährigen Rallye gleich elf Minis, viele mit Topbesetzung. Die offiziellen Werksfahrer heißen Stéphane Peterhansel, Joan „Nani“ Roma, Orlando Terranova und Krzysztof Holowczyc. Hinzu kommen sechs zahlende Kunden. Die Nummer elf im Team ist etwas ganz Besonderes: Nasser Al-Attiyah wechselte erst im November spontan zu X-Raid, durch seine Adern fließt königliches Blut und er besitzt eine olympischen Bronzemedaille, im Tontaubenschießen. Mit den Windhunden im RückenDer Fahrer mit der Startnummer 337 ist nicht berühmt. Er besitzt keine olympische Medaille, dafür zwei Windhunde, Wahib und Shogun, die ihn auf jeder Fahrt begleiten, als Aufkleber auf der Heckscheibe. Und er hat jede Menge Humor und Durchhaltevermögen. ![]() Zu seinen unvergesslichen Momenten gehört eine Etappe der Dakar 2012, als mitten in der Wüste die Antriebswelle vom Rahmen abreißt. Schotti muss improvisieren, basteln wie MacGyver. Er befestigt die Welle mit Spanngurten. Statt Vollgas fährt er nun Schritttempo. Sein Co-Pilot läuft mit der Stirnlampe auf dem Kopf voraus, damit Schotti etwas sehen kann. „Die Dünen waren so steil, dass die Scheinwerfer nur in den Himmel leuchteten“, sagt er. Schaufel statt ZigaretteUm drei Uhr nachts die letzte Düne. Das Auto bleibt im Sand stecken. Die beiden Männer legen sich in den Sand, trinken warmen Apfelsaft und sehen sich die Sterne an. Schottis Mitfahrer will sich eine Zigarette anzünden. Das tut der Nichtraucher immer, wenn er verloren hat. Doch so darf die Geschichte nicht enden. Statt zur Zigarette greifen die beiden zur Schaufel und graben, bis der Wüstensand das Auto freigibt. Um sechs Uhr erreichen sie das Fahrerlager. Um acht Uhr startet die nächste Etappe. Die Arbeit der Mechaniker beginnt immer dann, wenn der Fahrer im Biwak einfährt. Sobald die Zündung erlischt, geben sie Vollgas. Getriebe, Bremsen, Turbolader, Reifen, alles muss gecheckt und bei Bedarf getauscht werden. Für jedes Auto fahren 64 Ersatzreifen mit zur Rallye. Insgesamt lagern Ersatzteile im Wert von 250.000 Euro an Bord jedes Service-Lkw. Eine Zeltstadt, die niemals schläftIm Fahrerlager arbeitet immer irgendwer. Rund um die Uhr wird geschraubt, gehämmert, gewaschen. ![]() Die Chef-Physiotherapeutin des Teams, Annett Fischer, hat gar nicht geschlafen. Sie hat stundenlang die Trinkschläuche der Fahrer gereinigt. Danach musste sie über 60 Flaschen für den nächsten Tag präparieren. Jedes Auto hat pro Person und Tag drei bis vier Liter Flüssigkeit an Bord. Einen Katheter tragen die Fahrer des Teams aber nicht. Wie und wo sie die ganze Flüssigkeit lassen, weiß Fischer nicht. Das meiste wird sich als Schweiß im Rennanzug wiederfinden. Fleischfresser ohne AllergienDer Chef-Koch des Teams heißt Gerd Kastenmeier. Er ist Restaurantbesitzer und „für jeden Scheiß zu haben“, sagt er. Normalerweise kocht er edle Fischgerichte, im argentinischen Biwak kocht er Wiener Würstchen und Spaghetti Napoli in Kantinentöpfen. Am zweiten Rallye-Tag gibt es mittags Hamburger, circa 120 Stück. Und Spaghetti, wegen der Kohlenhydrate. Auch Titelverteidiger Peterhansel isst am liebsten Nudeln. Alle Fahrer im Team seien „pflegeleicht“, alles Fleisch-Fresser, keine Allergien, sagt Kastenmeier. Im nächsten Jahr möchte der Koch wieder dabei sein, vielleicht als Fahrer, sagt er mit einem Augenzwinkern. Die Dakar ist ansteckend. Und die Dakar ist gefährlich. Bereits nach sechs Tagen Rallye mussten die Organisatoren drei Tote vermelden, zwei Journalisten und ein Motorrad-Fahrer. Alle drei starben bei einem Unfall. Mittlerweile hat auch einer der Favoriten einen Unfall gebaut. Carlos Sainz. Die Dakar ist wie russische Roulette, sagt Walter Röhrl. Für kein Geld der Welt würde er bei dieser Rallye teilnehmen. |
