Fast ein Jahr hatten wir einen Mercedes 190 E. Ein tolles Auto, das wir mit einigen von Euch teilten. Hier schreibt MOTOR-TALKer Peter über seine Fahrt ans Meer.
Berlin - Die MOTOR-TALK-Redaktion durfte einen Mercedes 190 E ein Jahr lang auf den Berliner Straßen testen. Damit der Benz auch mal etwas anderes als Stadtverkehr erlebt, haben wir die MOTOR-TALKer dazu aufgerufen, sich für einen 10-Tage-Test zu bewerben. Der erste Testfahrer Peter brachte den 190er zur Ostsee. Hier ist sein Bericht. „Es gibt nichts zu verbessern, nichts was noch besser wär, außer dir im Jetzt und Hier und dem Tag am Meer..." Der Song „Ein Tag am Meer“ von den Fantastischen Vier läuft im Radio des 190er-Mercedes und lässt uns träumen. Von unendlicher Weite, rauschenden Wellen, kreischenden Möwen, Fischbrötchen und einer ganzen Ladung Sonnenlicht. Ein Schock für wahre FansBei seinem Marktstart war der 190 E ein Schock für die Mercedes-Fans, wurde als zu modern empfunden. Kein Chrom, keine aufrechten Linien. Stattdessen eine strömungsoptimierte Karosse mit viel Plastik. Heute sprechen wir von einer klassischen Mercedes-Limousine, die immer noch so fährt wie am ersten Tag. Fünf Stunden dauert die Tour von der Hauptstadt nach Karlshagen auf Usedom. Der 190er und ich müssen erst einmal Vertrauen aufbauen. Das weiche Fahrgefühl vermittelt Charme, es schunkelt und schippert wie ein alter Fischkutter. Richtungsänderungen nimmt der Benz wie durch einen Nebelschleier entgegen. Es ist einfach ein völlig anderes Autofahren, als ich es von modernen Autos gewöhnt bin. Eine Blockade im Kopf muss erst einmal gelöst werden, bevor ich das Gleiten und die Entschleunigung so richtig genießen kann. Der 190er gleitet entspannt Richtung MeerDie Kurven nimmt der 190er eher schwammig, und auch der Motor brennt kein Feuer der Leistungsleidenschaft ab. Aber mal Hand aufs Herz: Es passt alles zusammen. Das Auto ist grundehrlich. Der Zweiliter-Vierzylinder ist an Laufruhe kaum zu übertreffen. Da können sich tickernde Direkteinspritzer der Neuzeit mal eine Kurbelwellenumdrehung von abschneiden. Auch die Schaltung flutscht in ihren vier Gassen mit einer Leichtigkeit und Präzision, dass ich gar nicht mehr darüber nachdenke, wie der 190er am besten zu fahren ist. Sondern ihn einfach rollen lasse. Und ganz genau ab diesem Moment wird Autofahren zum Genuss. Quelle: Peter Besser Auf einer schmalen Insel wie Usedom ist das natürliche Jagdrevier eines Autos etwas eingeschränkt. Keine endlosen Straßen, keine spektakulären Kurvenkombinationen und selten treffen wir auf glatte Asphaltbänder wie auf der renovierten B111/110. Aber mal ganz ehrlich: Fahren auf der letzten Rille steht einem alten Eisen wie dem 190er so gar nicht zu Gesicht. Sein wahres Wesen erkennt man, wenn man es ruhig angehen lässt. Die deutsche Gründlichkeit lässt sich nicht verbergenSanft starten, zweiter, dritter, vierter Gang schon bei Ortsgeschwindigkeit: Als 190 E geht der Baby-Benz so sachte zu Werke, dass für ihn das Wort Sänfte erfunden worden sein muss. Der 118-PS-Saugmotor reißt kaum wen vom Hocker. Weder klanglich noch krafttechnisch ergeben sich spannungsgeladene Autofahrermomente. Er ist ein Leisetreter für unseren immer schneller werdenden Alltag. Wer auf der Suche nach einem unkomplizierten, entspannten und sparsamen Begleiter ist, sollte sich auf die Suche nach einem gut gepflegten Exemplar machen. Quelle: Peter Besser Eines lässt uns schmunzeln: Die deutsche Gründlichkeit macht sich in diesem Auto breit wie das Kunstleder an den Türverkleidungen. Es ist fast schon schrullig, wie passgenau Schalter und Bauteile ein fahrerfreundliches Cockpit ergeben. Alles sitzt genau dort, wo man es erwartet. 1987 wird der 190er schon fünf Jahre gebaut. Und diese Ausgereiftheit merkt man in fast jedem Winkel. Elektrisch einstellbarer Beifahrerspiegel, elektrisches Schiebedach, Fensterheber und digitale Radioanzeigen ebnen den Weg in die Moderne. Zwei Dinge hätte ich mir aber auch vor 26 Jahren schon gewünscht: Hinterleuchtete Rundinstrumente und mehr Sorgfalt bei der Wahl des Klebstoffs für die Türverkleidungen, die sich munter lösen. Unterwegs meldet das Auto nacheinander zuerst, dass es Kühlwasser, dann Motoröl trinken möchte. Wir tun ihm den Gefallen. Mercedes 190 E: Alltagstaugliches CharakterautoAlles Luxusprobleme, denke ich mir. Immerhin fahren wir hier einen Mercedes, der seine Stärken und Schwächen charmant ausspielt. Moderne Autos wirken oft rundgelutscht und charakterlos, weil sie überall funktionieren müssen und möglichst viele Geschmäcker treffen sollen. Gesichtslosigkeit kann ich dem 190er nicht vorwerfen. Ganz im Gegenteil, ich werde oft mit freundlichem Kennerblick gelobt und auf das Schätzchen angesprochen. Das und die uneingeschränkte Alltagstauglichkeit lassen mich ins Grübeln kommen. Ein neues Auto muss es nicht sein. Für kleines Geld bekommt man echte Werte an die Hand, die nicht beim Verlassen der freundlichen Händlerräume verblassen. Quelle: Peter Besser Wir steigen ein, lassen die Türen satt ins Schloss fallen und die Welt da draußen kommt uns plötzlich einen Takt langsamer vor. Leise schnurrt der Motor und erzählt von einer Zeit des politischen Misstrauens und dem geteilten Deutschland. Im Mercedes anno 1987 von Berlin nach Usedom? Für den überwiegenden Teil der Berliner ein Ding der Unmöglichkeit. Die einen durften nicht, die anderen fuhren eher Trabant oder Wartburg. Heute haben wir diese Freiheit. Ich bin sehr dankbar und demütig, mit so einem Zeitzeugen unterwegs gewesen zu sein, für fast zwei Wochen und einen Tag am Meer. Technische Daten Mercedes 190 E
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