So richtig glauben kann es Europa noch nicht, aber Großbritannien könnte 2017 über einen EU-Austritt abstimmen. Die heimische Autoindustrie findet das gar nicht komisch.
Quelle: dpa/Picture Alliance/Nissan London – EU-kritische Töne aus London sind wir seit Jahrzehnten gewohnt. Aber seit David Cameron 2010 Premierminister der Insel wurde, hat sich der Ton verschärft. Anfang 2013 kündigte der konservative Politiker an: Er will den EU-Vertrag neu verhandeln und 2017 soll das britische Volk in einem Referendum über einen EU-Austritt abstimmen. Der konservative Flügel der Tories hat Cameron mittlerweile darauf festgenagelt: Wenn die Partei 2015 die Wahl gewinnt, gibt es nur noch "Drinbleiben oder raus". Was auf den ersten Blick wie ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver aussieht, könnte also bitterer Ernst werden - und entsetzt nicht nur die übrigen EU-Staaten. Industrie: EU-Austritt gefährdet ZukunftQuelle: Nissan Auch die britische Autoindustrie findet die Idee überhaupt nicht lustig und macht seit Langem massiv Front gegen das Projekt. Nun finanzierte die Industrie eine Studie des nationalen Branchenverbands „Society of Motor Manufacturers and Traders“ (SMMT). Darin sind sich Englands (und auch die walisischen und schottischen) Autobauer einig: Ohne EU-Mitgliedschaft geht es steil bergab. Über 90 Prozent der Unternehmen befinden: Der ungehinderte Zugang zum EU-Markt ist das Fundament ihres Erfolgs. Ein Verbleib Großbritanniens in der EU stelle das sicher und werde deshalb von der Industrie klar bevorzugt. 70 Prozent der befragten Unternehmen glauben, dass ein EU-Austritt ihre Zukunft gefährden würde. SMMT-Chef Mike Hawes sagt: "Die Position der britischen Autoindustrie ist klar: Es ist zwingend notwendig für unseren Erfolg, Teil eines starken Europa zu sein“. Denn die gute Position der britischen Autobauer ruhe auf zwei Pfeilern: Dem wettbewerbsfähigen Geschäftsumfeld in Großbritannien und dem ungehinderten Zugang zum großen EU-Markt. Dazu gehöre die Freizügigkeit der EU-Arbeitnehmer, europaweite Zulieferketten, einheitliche Standards in der EU und auch die Möglichkeit der Lobbyarbeit in Brüssel, von einem Standort in Großbritannien aus. Europas zweitgrößter MarktIn der britischen Autoindustrie arbeiten 700.000 Menschen in 2.350 Betrieben jeder Größe. Ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt beträgt vier Prozent. Großbritannien ist mittlerweile der zweitgrößte Automarkt und der viertgrößte Autoproduzent in der EU. 77 Prozent aller auf der Insel produzierten Autos werden exportiert, davon wiederum die Hälfte in EU-Staaten. Japans Werkbank in EuropaEs wundert nicht, dass die Industrie einen EU-Austritt ablehnt. Viele Konzerne siedelten sich gezielt in Großbritannien an, um von dort aus den EU-Markt zu bedienen. Wie die japanischen Hersteller Toyota, Honda und Nissan sowie die US-Konzerne Ford und General Motors. Das Nissan-Werk in Sunderland gilt als das produktivste Europas, mit über 500.000 produzierten Autos im Jahr 2013. Opel/Vauxhall baut den nächsten Astra nicht mehr in Rüsselsheim, sondern in Ellesmere Port. Hinzu kommen die traditionellen britischen Hersteller. Sie gehören heute (bis auf Aston Martin) allesamt ausländischen Konzernen an und sind voll in deren Prozesse integriert: Mini und Rolls-Royce bei BMW, Bentley bei Volkswagen, Jaguar und Land Rover bei Tata. Alle Investitionen auf dem Prüfstand?Quelle: General Motors All diese Hersteller eint eins: Sie sehen den ungehinderten Verkehr von Waren und Personal zwischen ihren europäischen Standorten als erfolgskritisch. Recht unverhohlen schreiben Britanniens Auto-Industrielle zwischen die Zeilen: Tritt Großbritannien tatsächlich aus der EU aus, stehen alle künftigen Investitionen, und damit auch Jobs und Steuerzahlungen, auf dem Prüfstand. Wie geht eine konservative Regierung mit einem offenen Konflikt mit der Großindustrie um? Das könnte noch spannend werden. Denn auch Großbritanniens Finanzindustrie ist "not amused". Ein Vorstand der amerikanischen Investmentbank Goldman&Sachs kündigt für den Fall eines britischen EU-Austritts gegenüber der FAZ an: „Voraussichtlich würden wir einen erheblichen Teil unseres europäischen Geschäfts, das bisher in London ist, an einen Ort innerhalb der Eurozone verlagern“. |