"Neuer großer Audi 100" hieß er bei seinem Debüt 1976. Mit innovativem Fünfzylindermotor und hoher Fahrdynamik ist der Typ 43 ein Meilenstein auf dem von Cheftechniker Ferdinand Piëch ehrgeizig beschrittenem Weg in die Nobelklasse. Die Geschichte des Audi 100 Typ 43 beginnt - am Polarkreis - und sie beginnt mit einem Irrtum. Eiskalt erwischt. Am Polarkreis, irgendwo zwischen der schwedischen Erzstadt Kiruna und dem Erzhafen Lulea macht der neue große Audi 100 die ersten winterlichen Gehversuche. Der Audi 100 teilt sich mit dem Porsche 924 ein Fließband Im Schutz der fast menschenleeren skandinavischen Wildnis spulen die ersten fahrfertigen, kaum getarnten Prototypen des Audi 100 Typ 43 im Februar 1975 ihre Versuchskilometer ab. Sie sehen aus wie übergroße VW Passat - mit einem Peugeot-Emblem am Bug. Doch der Löwe stammt aus Ingolstadt. Zuhause grüßt er von jeder Flasche Herrnbräu. Dauerfrost und endlose Schneepisten machen den großen Fronttriebler zum souveränen Eisläufer. Der gewiefte Erlkönigfotograf Hans G. Lehmann, ein Meister der Tarnung, hat die Viererbande aus Ingolstadt mit dem Münchener Tarnkennzeichen voll im Visier. Seine motorisierte Nikon F2 mit dem langen Tele rattert los. Der Vollformat-Blattschuss landet bald auf dem Titel einer großen deutschen Autozeitschrift. "Noch geheim: der große VW", heißt es dort in Boulevard-Lettern. Aber die Kollegen irren. Die vier Erlkönige zeigen den neuen Audi 100 in der späteren Avant-Version. Zugegeben, die Indizien sprechen für einen VW. Die Auslaufmodelle 412 und K 70 verlangen dringend nach einem Nachfolger, der nach Passat-Vorbild in den Audi-Baukasten passt. Auch der Typcode 43 deutet nach Wolfsburg - Audi-Modelle beginnen intern stets mit einer Acht. Tatsächlich ist die Schrägheckversion des neuen Audi 100, analog zu Passat und Audi 80, auch mit einem VW-Emblem denkbar. Doch Konzernchef Toni Schmücker entscheidet konsequent nach Markenhierarchie. Der große Wagen kommt nur als Audi, und der ursprünglich als VW projektierte 924 erhält das Porsche-Logo. Beide teilen sich im Audi/NSU-Werk Neckarsulm die Fließbänder. Dort, ungefähr 20 Jahre nach Produktionsende des Typ 43, treffen wir Andreas Bauditz am Tor 6. Der junge Diplom-Ingenieur zertifiziert das Abgasverhalten der Audi-Motoren nach der jeweils strengsten US-Norm. Bauditz erwartet uns mit seinem Audi 100 CD 5E, Baujahr 1982 - ein Rentner-gepflegtes Topexemplar, in heliosblau-metallic. Audi trägt er im Namen, im Herzen, im Kopf. Seit der Kindheit prägten ihn die vier Ringe und ließen ihn nicht mehr los. Audi 100 Typ 43 - ein schönes Stück Technik Anfang der Neunziger restaurierte Bauditz aufwendig ein Audi 100 Coupé S. Später entdeckte er sein Faible für den Außenseiter Audi 100 Typ 43, der Ende der neunziger Jahre auf seine Youngtimer-Chance wartete - noch war es ein Rentnerauto. Der Bestand magerte dramatisch auf etwa 2.000 Stück ab, das Preisniveau sank bodenlos. Die starken Fünfzylinder sind meist als billige Gebrauchte in den Händen juveniler Heizer verglüht. Ein Ford Granada II fährt wegen seines Ami-Flairs cooler vor als der stets etwas belehrend wirkende Audi 100. Sogar der spießig angehauchte Mercedes 230 W 123 versteht sich als Kultauto in der Youngtimerszene. Im Gespräch verteidigt Bauditz "das schöne Stück Technik", wie Audi den neuen großen Audi 100 Typ 43 damals in der Werbung nannte. Er kann ihm sogar ein paar revolutionäre Details abgewinnen: "Mit den bündig eingeklebten Scheiben und der Konzeption des Vorderwagens nach der Methode des autogenen Faltbeulens steht er für neue Lösungen im Karosseriebau und in der Unfallsicherheit. Ganz zu schweigen von der Exklusivität des ersten Fünfzylinder-Benzinmotors." Ehrgeiziger Audi-Einstand von Ferdinand Piëch Als erster Audi der Ära Ferdinand Piëch zeigt er die ehrgeizige Handschrift des Machers. Anders als sein braver Vorgänger sollte dieser Wagen in den Disziplinen Raumangebot, Fahrkomfort sowie Verbrauch neue Maßstäbe in seiner Klasse setzen. Der Fünfzylinder-Einspritzmotor spielt dabei die Schlüsselrolle. Piëch sieht in ihm - optimierten Massenausgleich vorausgesetzt - den idealen Audi-Antrieb für den Leistungssprung in die Oberklasse. Ein Reihensechszylinder vor der Vorderachse des Audi 100 Typ 43 würde Karosserieüberhang und Gewichtsverteilung aus der Balance bringen. Ein V6-Motor wäre eine kostspielige Neuentwicklung. Seine Handicaps Massenausgleich und Saugrohrgestaltung blieben dennoch erhalten. Piëch und sein Motorenmann Franz Hauk verlängerten den Vierzylinder nach der Baukastenmethode um eine Einheit. Das klingt einfach, erfordert aber Kärrnerarbeit im Erforschen des heimtückischen Taumeleffekts der Kurbelwelle - denn der Benziner dreht immerhin bis maximal 6.500/min. Der OM 617, den Piëch zuvor für den Mercedes 240 D 3.0 entwickelte, begnügte sich mit 4.500/min. Bei Audi bildet der 1,6 Liter große Tassenstößel-Motor aus dem Audi 80, der unter dem Kürzel EA 827 auch VW Golf und Passat antreibt, die Basis für den Fünfer im Audi 100 Typ 43. Rein rechnerisch ergeben sich für das Motto "Take Five" zwei Liter Hubraum - die geschmiedete, mit Schwingungsdämpfer und zehn Gegengewichten versehene Kurbelwelle wurde jedoch langhubiger ausgelegt, was dem Drehmomentverlauf zugute kommt. Sonorer Stakkato-Klang des Fünfzylinders Ein gleichmäßiger Zündabstand von 144 Grad bei einem Kurbelwellenkröpfungsversatz von 72 Grad samt Zündfolge 1-2-4-5-3 nehmen dem Fünfzylinder im Audi 100 Typ 43 auch bei hohen Drehzahlen die Geburtsfehler ungünstiger Massenmomente und taumelnden Schwingungsverhaltens. Sie geben ihm jenen sonoren Stakkato-Klang, der beim Beschleunigen V8-Gelüste weckt. Tor 6 liegt hinter uns, Fahrvergnügen in den Löwensteiner Bergen an einem warmen Sommertag. Der Fünfzylinder singt seine Melodie, kraftvoll und unaufdringlich. In einem Vergleichstest von damals war er der Leiseste, noch vor dem BMW 525, dessen Sechszylinder stets mit der Vokabel seidenweich charakterisiert wird. Der Fahrer summt mit, intoniert das sanfte Brabbeln, weiß, wann der Ton dumpfer wird, wenn die Automatik hochschaltet. Bei 2.500 Touren klingt er am besten, so schön grollend und zornig. Das Raumgefühl des Audi 100 Typ 43 ist großzügig, mehr Platz bietet nur die Mercedes S-Klasse. Allein beim Einstieg verrät der Türenklang den Leichtbau. Der effiziente Audi wiegt 150 Kilogramm weniger als die Konkurrenz. Generell ist Effizienz die Maxime bei der Audi 100-Konstruktion - der Fünfzylinder-Einspritzmotor ist nicht nur preiswert in der Herstellung, sondern auch leicht und sparsam im Verbrauch. Perfektionierung des Frontantriebs Doch die Ratio der Konstrukteure hatte keine Lustfeindlichkeit zur Folge. Neben der stimulierenden Akustik des Motors lockt gerade die CD-Ausstattung mit Luxusappeal. Die üppigen Vordersitze geben Halt nicht ohne Geborgenheit. Die Fondpassagiere dürfen mit zwei Schmusekissen spielen, die mit CD-Logo bestickt sind. Ein blauer Velourssalon, der sanft selbst über wellige Straßen gleitet. Der starke Fronttriebler zerrt nicht in der Lenkung, sein Wendekreis bleibt überschaubar. Vorsprung durch Technik zeigt sich nicht nur im Revolutionären, sondern vor allem in der Perfektionierung des Frontantriebs. Seine Vorzüge sind zu spüren, seine Nachteile nicht. Statt Reaktionen auf Lastwechsel droht der Fahrerwechsel. Bauditz übernimmt, steuert das schöne Stück Technik in die heimische Tiefgarage. Dort steht unter einer Plane, aus der nur die quadratischen Doppelscheinwerfer listig herauslugen, ein noch schöneres Stück, ein 200 5T. Der spannende Audi 100 Typ 43 hat das Zeug zum Zweiteiler.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 27.09.2010
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