Neben zig Benzen steht manchmal ein besonderes Taxi am Stand. Diese Taxis und ihre Fahrer stellt Motor-Talk vor. Zum Start das älteste Hauptstadttaxi: ein Peugeot 404.
Von Haiko Prengel Berlin - Für Matthias Zierau ist der Winter die beste Oldie-Zeit. An diesem eiskalten Februarmorgen legt der Berliner Taxifahrer im Schnee vor seiner Garageneinfahrt erst mal ein paar kesse Drift-Einlagen hin. Sozusagen als kleine Lockerungsübung für sich und seinen betagten Wagen. „Heckantrieb”, schwärmt Zierau, während sein Peugeot 404 über die vereiste Einfahrt rutscht. „Das ist das Beste, was es es gibt!” Man merkt sofort: Dieser Mann hat Spaß am Autofahren, auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert auf dem Bock. Zierau ist wohl das, was man ein Berliner Original nennen würde. Und irgendwie passt dazu, dass er ursprünglich aus Duisburg kommt. 1990 zog er nach Berlin, seit 1991 fährt er Taxi. Anfangs wollte er so sein Jura-Studium finanzieren. Doch er blieb beim Taxifahren, und der Job wurde zum Beruf. „Dabei sagt meine Freundin immer: Taxifahren, das ist gar kein Beruf.” Berlins ältestes TaxiQuelle: MOTOR-TALKIn seinem Fall ist es eher eine Passion. Der 52-Jährige liebt sein rustikales Dienstgefährt, einen elfenbeinfarbenen Peugeot 404 mit sympathischer Patina, der noch einen Tick älter ist als sein vollbärtiger Besitzer. Zierau wurde 1964 geboren, sein Peugeot ist Baujahr 1963. Das macht die französische Limousine zum ältesten Taxi, das in Berlin Fahrgäste kutschiert. Und damit zu etwas Besonderem, gibt es Taxis in der Hauptstadt doch fast wie Sand am Meer: Knapp 8.000 Taxen waren dort 2016 gemeldet. Im Meer der E-Klassen (aufgelockert durch Toyota Prius oder auch Erdgas-Touran) sticht Zieraus Peugeot 404 heraus wie ein Baguette aus der Schrippentüte. Die von Pininfarina gezeichnete Limousine hebt sich vom automobilen Einheitsbrei ab, allein die Stoßstangen aus rostfreiem Stahl sind eine Augenweide. Im Innenraum des Mittelklasse-Wagens der Sechziger Jahre dominiert Edelmetall statt Plastik. Sitze und Türverkleidungen sind aus Leder. Ja, sein 404 sei die „Deluxe-Variante”, betont Matthias Zierau. Peugeot produzierte die elegante Mittelklasse-Limousine ab 1960. Damals gründeten sich in Liverpool die Beatles, ein Jahr später begann in Berlin der Bau der Mauer. Lange ist das her. Matthias Zierau wohnt im ehemaligen Ostteil der Stadt, auf der Halbinsel Stralau direkt an der Spree. Früher war das ein Naherholungsgebiet, doch seit einigen Jahren weicht das Grün immer neuen Eigentumswohnungen. Mütter bringen ihre Kinder mit dicken SUV zur Kita. Nicht einmal Anschnallgurte hat das TaxiQuelle: MOTOR-TALKEinem solchen Stadtpanzer muss Matthias Zierau mit seinem zierlichen Peugeot nun Platz machen. Dann beginnt die Sonderfahrt durch Berlins Szene-Stadtteil Friedrichshain. Es ruckelt und schaukelt, die Gänge legt der Taxifahrer sachte per Lenkradschaltung ein. Mit Komfort nach heutigen Maßstäben kann sein 404 nicht dienen. Die Fenster des Peugeot wollen per Hand gekurbelt werden, als Klimaanlage dient das Schiebedach. Nicht einmal Anschnallgurte gibt es in dem Oldie. Älteren Herrschaften empfiehlt Zierau daher im Zweifel, besser nicht einzusteigen. Bei einer härteren Bremsung brauche man ohne Gurte ein Mindestmaß an „Körperspannung”, erklärt der Taxifahrer. Ansonsten könnte man mit dem Kopf auf dem Armaturenbrett aufschlagen. Andere Taxikunden lehnen die Mitfahrt in Zieraus Oldtimer von sich aus ab, insbesondere Touristen mit wenig Geschichtskenntnis. „Die sagen: 'In dem ollen Trabi fahr' ich nicht mit.'” Natürlich ist Zieraus Peugeot kein Trabant, auch wenn der 404 mit 3,5 Millionen produzierten Exemplaren auch so etwas wie ein Volkswagen war, in Frankreich, vor 50 Jahren. Für viele ist der Peugeot gar der Inbegriff der französischen Mittelklasse-Limousine. Nur die Göttin, Citroëns DS, throne eine Klasse höher, adelte damals „auto, motor und sport”. Mit der Göttin als Taxi hatte auch Matthias Zierau geliebäugelt. Nach Jahrzehnten als angestellter Taxi-Fahrer mit diversen Daimler-Modellen entschied er sich 2010 für den Schritt in die Selbständigkeit. Sein eigenes Taxi sollte ein Oldtimer sein, das stand fest. Am besten ein Modell von Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre. Das ergab eine gewisse Auswahl: Mercedes Heckflosse und Ponton, Volvo Amazon, Opel Kapitän. „Es kamen mehrere Modelle infrage”, berichtet Zierau. Die Citroën DS erwies sich auf dem Klassikermarkt als zu teuer und als zu schrauberunfreundlich. Bei anderen wie dem Opel Kapitän war die miese Ersatzteillage ein Ausschlusskriterium. Der Opel C-Rekord hätte eine Alternative sein können. „Aber der ist mir schon einen Tacken zu modern”, sagt Zierau. 170.000 Kilometer seit 2011Quelle: MOTOR-TALKSo entschied er sich letztlich für den Peugeot 404. Sein Wagen lief die ersten 28 Jahre in Südfrankreich. 1991 kam er nach Deutschland, wurde ein paar Jahre als Alltagsfahrzeug genutzt und teilrestauriert. „Die letzten zehn Jahre bis zu meinem Kauf verbrachte er als Liebhaber- und Sammlerfahrzeug und wurde nur gelegentlich bewegt”, berichtet Zierau. Von Ende 2010 bis zum Frühjahr 2011 baute er den 404 dann zum Taxi um, inklusive diverser Reparaturen und einer Hohlraumversiegelung. Seit März 2011 ist der Oldie als Berliner Taxi zugelassen - und hat seitdem 170.000 Kilometer abgespult. Denn Zierau fährt sechs, manchmal sogar sieben Tage die Woche. Matthias Zierau beweist mit seinem Peugeot, dass man alte Autos durchaus als Daily Driver fahren kann - vorausgesetzt man investiert regelmäßig in Pflege und Wartung. Manches repariert der Taxifahrer selbst, anderes lässt er von Peugeot-Spezialisten machen. Sein 404 sei schon regelmäßig in der Werkstatt, berichtet Matthias Zierau. Unter dem Strich sei das immer noch weitaus günstiger als die hohen Raten für einen Neuwagen. „Es gab da mal eine Untersuchung”, sagt Zierau. Danach koste ein Toyota Prius als Taxi in den ersten fünf Jahren 300 bis 400 Euro pro Monat. Bei einem Daimler seien es 500 Euro. „Jede dieser Raten ist einfach weg”, sagt Zierau. Und im gewöhnlichen Drei-Schichten-Betrieb seien die Neuwagen nach kurzer Zeit durch. Sein Peugeot 404 steigt dagegen im Wert. Nicht viel, aber Tag für Tag. 404 als Elektroauto?Quelle: MOTOR-TALKBei aller Liebe zum alten Auto: Taxifahrer-Romantik ist nicht die Sache von Matthias Zierau. Den harten Beruf mag er nicht verklären. Klar gebe es gute Tage, wo man mal 30 Euro pro Stunde verdiene, sagt er. Aber es gebe auch genug, wo es nur 10 Euro sind. Berlins Taxifahrer gelten als barsch, mitunter auch unfreundlich. Andererseits: Wer jeden Tag gegen 8.000 andere Fahrer um die wirtschaftliche Existenz kämpfen muss, kann schon mal miese Laune bekommen. Mit seinem alten Peugeot 404 macht Matthias Zierau deshalb gern auch Ausflugs- und Sonderfahrten, etwa Hochzeiten oder Foto-Shootings. Das bringt etwas Abwechslung und gutes Geld. Außerdem überlegt er, seinen 404 zum Elektroauto umbauen zu lassen: „Das ist mein großer Traum”, sagt er. Denn irgendwie gefallen ihm die modernen Elektroautos schon. Dieses leise, entspannte Cruisen mit der ganz besonderen Leistungsentfaltung. „Und eigentlich muss dafür ja nur der Motor an die Kardanwelle angeflanscht werden, mal vereinfacht gesagt”, meint der Taxifahrer. Ansonsten könnte sein geliebter Peugeot 404 der Alte bleiben, inklusive Heckantrieb. Weiterlesen Reportage: Toyota-Taxis in Berlin Deutschlands einziges Cabrio-Taxi Technische Daten: Peugeot 404 (1960-1975)
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