Moscheen, den Duft von Gewürzen und Kamelen haben wir erwartet. Gefunden haben wir endlosen Asphalt und Grenzposten mit viel Zeit. MT-Tom berichtet von der Seidenstraße.
Von Tom Kedor Beyneu (Kasachstan) - Das Wort Schlagloch muss hier erfunden worden sein. Um mich herum leuchtet mal schwarzer, mal roter Sand und vor mir zieht sich ein Asphaltband, soweit die Sehkraft reicht. Diese Straße ist einst von den Russen gebaut worden, lange bevor die Sowjetunion zerfiel und Kasachstan sich 1991 zur Republik erklärte. Es war eines dieser Geschenke, bei denen der Schenker schon vorher süffisant lächelt. So wie der Onkel, der dem Neffen ein quietschendes, kreischendes Spielzeug mitbringt. Verloren wie ein kleines Spielzeug-Auto muss mein SUV vom Himmel aus betrachtet in diesen Weiten wirken. Verloren, so fährt es sich hier. Denn die Straße ist ein Gemisch aus minderwertigem Bitumen und Gesteinskörnung, so brüchig und löchrig wie nichts, was man bei uns Straße nennt. Schlagloch-Generationen-KundeManche Schlaglöcher sind uralt. Die jungen, kleinen, denen weiche ich schwungvoll aus. Sie nerven, sind aber nicht gefährlich. Meist befinden sich viele von ihnen dicht beieinander. So muss ich große Bögen drumherum fahren. Gleichzeitig dürfen die Räder nicht über die Asphaltgrenze hinausrutschen. Dahinter geht es steil hinunter. Mit einer Ideallinie hat mein Zick-Zack-Kurs nichts zu tun. Es reicht schon, mit Schwung in Fahrt zu bleiben und zu hoffen. Auf einen Schnitt von über 35 km/h. Aber deshalb sind wir hier. Das Fahrwerk zeigt in dieser Öde Fähigkeiten, die im deutschen Alltag völlig überdimensioniert sind. Hier kann sich das Stahl-Konstrukt beweisen, die Dämpfer ihre Polka tanzen. Und das müssen sie auch. Quelle: MOTOR-TALK Spätestens dann nämlich, wenn man einem dieser uralten Schlaglöcher begegnet. Man sieht ihnen zunächst nicht an, wie tief sie sind. Aber gerade, wenn das Auge „keine Gefahr“ ans Gehirn gemeldet hat, öffnet sich kurz vor dem Rad eine Schlucht. Ein Krater, hart und unerbittlich, vom Sand ausgewaschen, aber kantig und scharf. So ein Ding mit Wucht zu treffen, kann das k. o. für Dein Rad bedeuten. Wenn nur der Reifen aufgibt, wird er schnell gewechselt. Und wenn ein Teil der Radaufhängung bricht? Ersatzteile hierher zu bekommen, ist ungefähr so einfach wie hier Eiscreme zu transportieren. Die Außentemperatur beträgt 46° C. Hoffentlich hält der RangeDas wissen wir alles. Trotzdem krache ich mit meinem Range Rover Evoque in das eine oder andere Schlagloch. Das nimmt dem modischen SUV sofort alles Lifestylig-Verspielte. Die Karosserie zittert, die Fugen ächzen und das Blech dröhnt. In diesen Augenblicken kneife ich die Augen zusammen und hoffe: Wir sind die Stärkeren. Uns schaffst Du nicht, Loch. Stundenlang, tagelang fahren wir geradeaus. Die ersten 20 Stunden schmecken nach Freiheit, danach kommt der Schmerz. Der Nacken wird steif, die Eintönigkeit und das gleißende Sonnenlicht ermüden die Augen. Krampfhaft halte ich das Lenkrad, meine Hände schwitzen. Halogen-Disco in SamarkantMein Konvoi besteht aus drei Discos und acht Evoques. Während wir mit unseren Dieselmotoren durch die kasachische Steppe ziehen, trifft immer mal wieder eines der elf Autos ein Schlagloch. Da-dong, da-da-dong, Treffer, versenkt. Es ist der unverkennbare Rhythmus dieser Tour. Der Discovery vor mir hat alles, was so ein Auto braucht. Zwei Ersatzreifen, drei 20-Liter-Kanister, vier Sandbleche und mindestens fünf Antennen (GPS, Funk und Satellit). Dazu Disco-Licht, eine wunderbare Armada von Zusatzleuchten. Mag doch jeder in Deutschland auf LED und anderen Krimskrams schwören. Hier gilt: Halogen zählt. Quelle: MOTOR-TALK Die Discos sind unsere Arbeitstiere. Vollgepackt mit Ersatzteilen und Kommunikationstechnik. Wie ein Elefant bewegt sich so ein Discovery: leicht schwankend und gemütlich, aber unbeirrbar. Verlässlich, unverwüstlich. Die kasachische Steppe bietet kaum Abwechslung fürs Auge. Die Einheimischen unterteilen die Wüste in roten und schwarzen Sand (Kizilkum und Karakum). Vereinzelt tauchen unwirkliche Siedlungen auf, zerzaust wie ein Vogel nach einem Sturm. Es gibt wenige echte Straßen. Häuser schmiegen sich aneinander, das Leben rollt auf den großen Durchfahrtsstraßen. Die Städte tragen Namen, die ich noch nie gehört habe. Und dabei tragen sie Geschichte in jedem Mörtelstrich. Khiva, Buchhara und Samarkant verleihen der Seidenstraße ein Gesicht. Zweitausend Jahre Geschichte auf engem Raum. Wir fahren in den Städten mit offenen Fenstern. Aus der Vertrautheit der kleinen Blechwelt riechen wir das Fremde, Unbekannte. Dann ein Rippenstoß des Bekannten: An diesem entlegenen Ort, an dem die Kita meines kleinen Sohnes so fern wirkt wie ein hipper Coffee-Store, schiebt sich ein Fünf-Sterne-Komfortbus vor mein Fenster. Vollgestopft mit Senioren, die mal was anderes sehen wollten als El Arenal. Lautlos gleiten sie hinter abgedunkelten Scheiben an Moscheen und Märkten vorbei. Es könnte auch das Brandenburger Tor oder das Kolosseum sein. Touristen als fahrende Antithese zu unserer Tour. GrenzerfahrungenDabei ist Kasachstan noch nett zu uns. So viel freundlicher und wärmer als die Grenze zu Usbekistan. Vor der Einreise nach Usbekistan haben sogar Fernreise-Profis Respekt. Sie ist unkalkulierbar, undurchschaubar und sehr heiß. Wer dort je war, kann eine Geschichte erzählen. Quelle: MOTOR-TALK Wir erreichen die Grenzstation früh um 4:52 Uhr. Erste Strahlen der aufgehenden Sonne hüllen die Einöde in friedliches Licht. Vor uns stehen zehn Lkw und einige Autos. In diesem Teil der Welt wird ausschließlich aktiv angestanden: Autos drängeln sich aus allen Richtungen nach vorne, einige versuchen, sich in unseren Konvoi zu mischen. Wir fahren Stoßstange an Stoßstange. Dima, unser usbekischer Guide, versucht, die gemeinsame Abfertigung unseres Konvois zu erreichen. Wir werden zur Seite delegiert, zuversichtlich. Die Zuversicht schwindet mit dem Wachwechsel des kasachischen Personals. Zwei Stunden lang passiert nichts. Dann winken uns die Kasachen ins Niemandsland. Hier tobt die Hölle auf einer Fläche kleiner als ein Fußballfeld. Eingezwängt zwischen Nato-Stacheldraht und Betonsperren stehen, drängeln und hupen hier Blechriesen. Das Areal quillt über vor Menschen und Maschinen. Auch, weil unsere 11 Fahrzeuge dazu kommen. Überall liegt Müll. Vergilbte Plastikpullen, vergammelte Essensreste, vollgekotete Windeln, zerrissene Koffer. Es stinkt, die Sonne brennt erbarmungslos. Im Schatten sind es weit über 40 Grad. Stoisch warten die Eingesperrten auf die Abfertigung. Läuft es gut, rollen vier Fahrzeuge pro Stunde aus diesem Karree. Läuft es schlecht, läuft nichts. Es ist die Rache des kleinen Mannes an den großen Autos. Die Grenzer lassen alle spüren: Wir müssen an diesem elenden Fleck leiden. Also leistet uns Gesellschaft dabei. Mein Versuch, die Zeit zum Schlafen zu nutzen, endet mit klammen Klamotten im Auto und schmerzendem Rücken. Rastlos schlendere ich um die Autos. Als Tausende Fliegen aus einem Fass hochfliegen, verdunkelt sich die Sonne. Die Viecher finden mich wohl lecker. Als sei ich aus Zucker. Ich verziehe mich. Eins zu Null für die Einheimischen Wie Marco Polo in die Sterne schauenQuelle: MOTOR-TALK Es schlägt mal wieder die Stunde der Discos. Mit ihren weit öffnenden Heckklappen bieten sie den besten Schutz gegen die heiße Sonne. Nach und nach sammeln sich die Konvoi-Teilnehmer unter den Blechdächern. Wir machen das, was Menschen hier seit Jahrtausenden machen. Stehen, reden, Geschichten erzählen. Von zu Hause, von anderen Erlebnissen. 12 Stunden hängen wir hier, bis uns die Usbeken aus dem Niemandsland in den Zollhafen winken. Jetzt bloß nicht demontiert werden. Dima und Dag, unsere Expeditionsleiter, beweisen Weisheit und Erfahrung. Sie laden die Grenzer ein, lassen sie an unsere Autos, und die Typen drehen alle Knöpfe, prüfen jeden Hebel und Schalter. Es wird gelacht, fotografiert. Kleine Land-Rover-Modelle wechseln den Besitzer. Unser Beitrag zur Völkerverständigung. Nach zwei, drei weiteren Stunden sind wir in Usbekistan. Völlig irreal, wie klein und bedeutungslos der Grenzposten schon aus einem Kilometer Entfernung aussieht. Ein Flecken Nichts inmitten der Wüste. Es ist zu spät, um weiter zu fahren. Wir campen unter freiem Himmel. Erschöpft liege ich in meinem Schlafsack und schaue in den Himmel. Den Sternen ist das hier alles völlig egal. Die ersten Nomaden, Marco Polo; sehr viele haben hier gelegen wie ich. Gebannt nach oben gestarrt. Um am nächsten Morgen weiterzuziehen. Zu Fuß, mit dem Kamel oder dem Auto. Ich fühle mich nicht klein. Ich fühle mich... zu Hause. In dieser Welt. Aber auch in einer der unwirtlichsten Gegenden dieser Welt sind wir nicht allein. Hunderttausende wanderten auf der Seidenstraße, dieser uralten Lebensader von Asien nach Europa. Neben mir ruht mein Evoque auf seinen Continental Crosscontacts. Mein treuer Begleiter hat mich nicht im Stich gelassen. Hier in der Wüste wirkt er wie ein modernes Märchen aus 1001 Nacht, mit Sicherheitsgurt, Airbag und Tempomat. Dabei erstaunlich fordernd, anstrengend, überraschend und erbarmungslos. Trotz aller Technik ist es ein Abenteuer mit echtem Schweiß, echten Schmerzen, totaler Erschöpfung und völliger Begeisterung. Lächelnd schlafe ich ein. Morgen früh geht es weiter! Unser Autor Tom Kedor erlebte diese Geschichte als Fahrer auf der Land Rover Experience Tour. Die Tour startete am 26. August 2013 in Berlin und endete am 12. Oktober 2013 in Mumbai (Indien). Interessierte können die nächste Ausgabe der Experience Tour und andere Touren buchen unter: http://www.landrover-experience-tour.de/. Mehr Bilder von der Seidenstraße gibt es in unserer Big Picture Galerie. |