Jaguar setzt ab sofort im XJ und im XF auf die Kraft der vier Räder. Testfahrt mit einem Auto, das Russen und Amis wollen, aber die Briten verschmähen.
Salzburg – Man braucht Schnee, viel Schnee, um diesen Allrader richtig ins Rutschen zu bringen. Und nur dann, wenn der Reibwert sinkt und das Tempo steigt, dann spürt und fühlt man die Kraft aller vier Räder und die eingeschaltete oder, noch schöner, die komplett abgeschaltete Stabilitätskontrolle ESP (heißt bei Jaguar DSC). Quelle: Jaguar Doch bevor wir uns dem Allrad widmen, blicken wir kurz auf die eigenwillige Modellpolitik der Marke. Die ist mitunter verwirrend. So fährt der neue Vierzylinder-XJ nur in China. Der Kombi nur bei uns und hier auch nur als Diesel. Die neuen XF- und XJ-Allradmodelle fahren überall - nur nie in England. Die Landsleute von Jaguar würden 4WD-Modelle nicht kaufen, heißt es bei Jaguar. Stattdessen sollen die Allrader in großer Stückzahl über russische und nordamerikanische Straßen und Schneepisten rollen. Darum gibt es die 4x4-Modelle nur in Kombination mit dem neuen 3,0-Liter-Kompressor-V6. Er ersetzt in Zukunft in allen Modellen den 5,0-Liter-Sauger. Hilfe von der SchwesterKompetenz in Sachen Allrad liegt bei Jaguar quasi in der Familie. Allerdings eignet sich die Architektur des Antriebs von Freelander und Evoque nicht für die Jaguar-Modelle. Denn hier ziehen die Vorderräder und das Drehmoment des quer eingebauten Motors wird nur bei Bedarf an die Hinterräder abgegeben. Die Technik aus Range Rover und Discovery bietet dagegen eine solide Basis. Hinter längs eingebautem Motor und Getriebe sitzt das Allrad-Herz und verteilt das Drehmoment an alle vier Räder. Quelle: Jaguar Anders als im Range und Discovery schickt das Herzstück aus Verteilergetriebe mit Lamellenkupplung und Steuergerät aber nicht permanent je 50 Prozent der Kraft an Vorder- und Hinterräder, sondern arbeitet dynamisch heckorientiert. Das merkt man auf den kleinen Maut-Straßen im Salzburger Land. Hier kreieren die Österreicher eine Art Bob-Kanal für Pkw. Links und rechts der Fahrbahn türmen sich von Schneeschiebern geschaffene, meterhohe Schneewände auf; gestreut wird nicht. Mit leichtem Lenkeinschlag und sanftem Gasstoß rutscht der Jaguar auf der brettharten Schneepiste leicht mit dem Heck ums Eck, bevor das ESP eingreift und die Vorderräder den Wagen präzise auf Kurs ziehen. Die Taste mit der FlockeAllrad-XF und -XJ fahren also wie Hecktriebler; die Vorderräder ziehen nur beim Anfahren bis 10 km/h mit; und auch das nur mit einem kleinen Bruchteil des Drehmoments. Oder wenn Not dem Auto droht. Das spart im Alltag Sprit. Doch ein Knopfdruck kann den Charakter ändern. Wer die Taste mit der Flocke drückt, wechselt in den Winter-Modus. Dann werden permanent 30 Prozent der Leistung an die Vorderachse geleitet. Melden die Sensoren der Hinterräder eine instabile Fahrsituation, werden es bis zu 50 Prozent. Wir konnten das auf einem zugeschneiten Slalom-Kurs ausprobieren und sind beeindruckt. Die Kombination aus Technik, Elektronik, Sensoren und Reifen hält das Auto stabil bis zum Geht-nicht-mehr. Bei vollem Lenkeinschlag bremst das System den Wagen dabei bis auf das Tempo einer Schneeraupe ab, vor allem, wenn der Fahrer stumpf auf dem Gas bleibt und wild an der Lenkung zerrt. Freilich hat der „Autopilot“ jedoch seine Grenzen. Wer mit zu viel Geschwindigkeit auf eine vereiste Fläche rast, der schießt, mit oder ohne Technik, über die Grenzen der Physik hinaus. Ohne DSC im SchneeVom vermeintlichen Autopilot zum Vollzeit-Profi bedarf es in diesem Auto wieder mal nur eines Knopfdrucks. Wer länger als zehn Sekunden auf die DSC-Taste drückt, schaltet das System komplett aus. Und dann wird es lustig. Wenn das Volant im Takt der Pylonen swingt, der Schweiß tropft und die Hände arbeiten, dann flitzt der Allrader wundervoll durch die Gasse. Selbst wenn der Jaguar im 90-Grad-Winkel zur Pylonen-Reihe steht, lässt sich das Auto noch einfangen. Quelle: Jaguar Dabei ist es fast egal, ob der Wintermodus aktiviert ist. Die Antriebsmomente werden nach Bedarf verteilt. Und doch spürt man bei gedrückter Flocken-Taste, dass XF und XJ mit dem permanenten Zug auf der Vorderachse schneller sind. Dass der bulligere XJ genauso gut durch den Schnee wedelt wie der XF, liegt an einer optischen Täuschung. Der XJ (5,13 Meter, 1.871 Kilogramm) ist zwar länger, aber neun Kilo leichter als der XF (4,96 Meter, 1.880 Kilogramm). In Verbindung mit dem neuen Kompressor-V6 bieten beide die gleichen ambitionierten Fahrleistungen: 6,4 Sekunden von Null auf 100 km/h und 250 km/h Spitze. Auf der Landstraße sorgen 340 PS und 450 Newtonmeter nach langer Gedenksekunde der ZF-Automatik für spritzigen Durchzug. Im S-Modus wird schneller oder sogar manuell geschaltet. Auf Eis und Schnee bringt das in Verbindung mit dem Dynamic-Modus (Ansprechverhalten, Lenkung, Fahrwerk werden sportlicher) mehr Spaß beim rasanten Schneepisten-Slalom. Wenn dann neben den Seitenspiegeln Fontänen aus Schnee in die Höhe schießen, vermisst der Fahrer nur noch eins: einen anständigen Sound. Glatter DurchschussEin Wort noch zum Motor: Dass der Allrad-Antrieb nur mit dem neuen 3,0-Liter-Kompressor kombiniert wird, ist ein Zugeständnis an die russischen und amerikanischen Käufer. Sicherlich würden die auch den V8-Kompressor nicht verstoßen. Tatsächlich funktioniert das Allrad-System aber nur mit dem kleiner bauenden Motor. Das hinter der Achtstufen-Automatik im Mitteltunnel liegende Verteilergetriebe schickt das Drehmoment zum Vorderachsdifferential. Die von dort abgehenden Antriebswellen wurden - tatsächlich - durch die Ölwanne des 3,0-Liter-V6 verlegt. Eine Konstruktion, die beim älteren V8 einfach noch nicht nachgetragen wurde. Und das wohl auch nicht wird. Ab Februar 2013 kommen XF und XJ mit Allrad und 3,0-Liter-V6 zu Preisen ab 55.900 Euro und 91.160 Euro auf den Markt. Jaguar XF und XJ 4WD – Technische DatenDer kleine Große aus Stahl
Der große Große aus Aluminium
Quelle: MOTOR-TALK |