Ein Wochenende voller Speed, Lärm und Materialmord: Beim 24-Stunden-Rennen in Daytona ist alles wie immer – es fühlt sich aber ganz anders an.
Daytona Beach – Eigentlich ist das Rennen für das Brumos-Rennteam längst gelaufen. Vier Stunden vor dem Zieleinlauf fährt der GT3-Cup-Porsche mit der Startnummer 59 auf Rang 11 der GT-Klasse, Werksfahrer Marc Lieb starrt deprimiert ins Nichts. Sunny-Boy Hurley Haywood, fünfmaliger Daytona-Langstrecken-Sieger und Teambesitzer, lässt sich davon nicht beeindrucken. Nicht vom Kühlerwechsel in der Nacht, nicht von der Kupplung, die vor 18 Stunden versagt hat. Er lächelt selbstbewusst in die Kamera, als wäre seinem Team ein Platz auf dem Treppchen sicher. Denn er weiß, dass noch nichts entschieden ist. Letztes Jahr saß Haywood noch selbst am Steuer, insgesamt fuhr er das 24-Stunden-Rennen in Daytona 40 Mal. 1973 gewann er an der Seite von Jürgen Barth und Jackie Ickx in Le Mans, zwei weitere Siege folgten. Ich frage ihn nach seinen Erlebnissen in der Grünen Hölle, der Nürburgring-Nordschleife. Die kennt er auswendig: „Man kann Daytona nicht mit dem Nürburgring vergleichen. Beide Rennen dauern 24 Stunden und die Autos sehen sich ähnlich, sonst ist hier alles anders. Die Strecke, die Wetterverhältnisse, die Fans, das Starterfeld – Äpfel und Birnen.“ Längstes Saisonrennen der Grand-AmTatsächlich sind es die Unterschiede, die das 24-Stunden-Rennen auf dem Daytona International Speedway so besonders machen. Hier kämpfen heute drei Fahrzeugklassen gegen Zeit, Verschleiß und Physik: Seriennahe GX-Fahrzeuge, GT-Renner und Daytona Prototypes, das geschlossene Pendant zur LMP-Klasse. Insgesamt 57 Autos. Alle sind Teil der amerikanischen Grand-Am-Serien, für alle gehört das Langstreckenrennen zur normalen Saison. Einige Hersteller unterstützen die privaten Teams mit Fahrern, Technik und Fachwissen – alleine könnten diese die Härteprüfung sonst nicht stemmen. Viele Werksfahrer müssen sich erst an die amerikanischen Umstände gewöhnen. Steilkurven mit 30° Steigung, viel zu weiche Continental-Slicks und leere Tribünen bedürfen einer Umstellung. Die 20.000 angereisten Fans versammeln sich im Infield in Streckennähe – zum NASCAR-Rennen in vier Wochen werden rund 260.000 Besucher erwartet. Der Amerikaner zieht ein Drei-Kurven-Oval offenbar dem Straßenkurs mit zwölf Kehren vor – Geschwindigkeit ist alles. Bei einem kühlen Bier am Freitag vor dem Rennen bringt es Lieb, einer der Schnellsten im Porsche, auf den Punkt: „Jungs, ganz ehrlich: Wir sind doch alle nur wegen der Uhr hier!“ Er meint die Rolex, die beim 24-Stunden-Rennen in Daytona jedem Klassensieger den ersten Platz versüßt. In Le Mans gibt es die nur für den Gesamtsieger. Zu wenig Fans, widrige Bedingungen – fast hätte ich ihm geglaubt. Lieb grinst frech, seine Kollegen lachen. Hier fährt nicht die Pflicht mit, sondern der Ehrgeiz. 24 Stunden von Daytona: Alles andersBesonders kurios wird es bei der Startaufstellung. Gemäß dem Reglement fahren die Audi R8 mit Heckantrieb. Ingolstädter Diesel sucht man hier vergebens, diese Aufgabe übernehmen die Japaner: Drei Mazda 6 mit Selbstzünder mischen mit. Allerdings nicht lange – der letzte kapituliert nach knapp zwei Stunden und 51 gefahrenen Runden. NASCAR-Fahrer Clint Bowyer (Ferrari) kommentiert die Fahrleistungen: „Those Diesels, they are chicanes.“ Das Gefühl kenne ich. Ein Bayrischer Propeller auf der Karosse sagt in Daytona übrigens nichts über den Motor aus: Die Turner-Motorsport-M3-Karosserie schmückt ein Chevrolet-Fahrgestell mit amerikanischem V8. Akustisch ein klarer Vorteil! Auch abseits der Strecke unterscheidet sich dieses Rennwochenende von jenen in der Eifel und in Le Mans, die ich bereits erleben durfte. Während mir die strahlende Sonne einen malerischen, Ferrari-roten Sonnenbrand auf Stirn, Nase und Nacken zaubert, schlendere ich durch das Infield. Hier schläft kaum jemand im windschiefen Zelt, die meisten reisen in Wohnmobilen im Reisebus-Format zum Rennen. Häufig hängt da noch ein SUV oder eine Luxuskarosse dran, ein George-Foreman-Gasgrill gehört zur regulären Campingausstattung. Der Porsche Club America versammelt sich mit unzähligen Fahrzeugen, Tuner und Schrauber fahren auf und ab. Wenigstens Letzeres kommt mir bekannt vor. Auf der Händlermeile gibt es T-Shirts, Modellautos und Aufkleber, aber keine Tuningteile. Nur ein Stand verkauft Autoteile – echtes Rennzubehör, keine ATU-Ofenrohre. Ein paar Meter neben der Strecke gönne ich mir ein Abendessen. Zu meinen Spare-Ribs lasse ich mir von der Kellnerin ein Bier empfehlen. Sie bringt eins mit Blaubeer-Geschmack. Only in America. Doppelsieg für AudiVier Stunden nach dem Foto wird klar, dass Haywoods Optimismus stärker ist als sein Porsche: Das Brumos-Team schafft es nur auf Rang 13. Trotzdem bleibt es bis zum Schluss spannend. Audi, Ferrari und Porsche kämpfen erbittert um den GT-Klassensieg, die Führung wechselt minütlich. Sekunden vor der Zieleinfahrt geht Markus Winkelhock auf Audi das Benzin aus, er fällt zurück von Platz drei auf sieben. Zwei weitere R8 verteidigen die Führung, dahinter schießen zwei Ferraris 458 durchs Ziel. Der erste Porsche wird Fünfter. Eine Formel-1-Größe erreicht den Gesamtsieg: Juan Pablo Montoya fährt auf BMW vor Corvette und Ford. Porsche siegt nach dem Ausfall aller Konkurrenten in der GX-Klasse. Insgesamt halten 31 Fahrzeuge die komplette Zeit durch.
Quelle: MOTOR-TALK |