Pfeilform, drei Sitze, Technik aus der Formel E – der Nissan Bladeglider hat (oder hätte?) das Zeug zum Kult-E-Sportwagen. Das durfte er jetzt beweisen.
Von MOTOR-TALK Reporter Ralf Bielefeldt Rio de Janeiro - Es könnte so schön sein. Ein abgefahrener Sportwagen, fette 707 Newtonmeter Drehmoment im Kreuz, keine 5 Sekunden auf Tempo 100 – und das ohne Emissionen. Nissan hat der Performance-Fraktion ganz schön den Mund wässrig gemacht mit dem dreisitzigen Bladeglider. Pünktlich zum Olympia-Start stand der hippe Elektrorenner Anfang August in Rio im Rampenlicht, als fahrbereiter Prototyp. Wie versprochen. Was fehlte, war jedoch die Festlegung: Den bauen wir! Knapp zwei Wochen später hat sich daran nichts geändert, aber immerhin: Nissan hat zum ersten Fahrtest geladen. Auf eine – Überraschung – Kartbahn, zwei Busstunden von Rio entfernt. Mindestens einmal im Monat wird auf dem Kartódromo Internacional di Guapimirim ein „Campeonato“ ausgetragen, ein Lauf der Kart-Rennserien Carioca und Serrano. 28 winzige Boxen voller Kart-Teile säumen die Pitlane, verblasste Reifenstapel in Rot, Weiß und Schwarz die raue Piste. Quelle: Nissan In der Auslaufzone, kurz hinter der Start-Ziel-Geraden, wartet der Nissan Bladeglider unter einem Baumarktzelt, zweifarbig lackiert in Weiß und Titan. Auf den Fotos kam das Teil schon gut, „in echt“ sieht die überarbeitete Studie von 2013 rattenscharf aus. Die hinten angeschlagenen Türen schwingen weit nach oben auf. Wie ein Drache kurz vorm Aufsteigen steht der Bladeglider da. Tiefe Furchen ziehen sich rechts und links die Karosserie entlang. Ein Griff in die Aerodynamik-Trickkiste: Wie beim BMW i8 leiten sie die Luft optimal um und durch die Außenhülle. Leider ohne selber fahrenAus den Kotflügeln gucken rechts und links je eine kleine Kameralinse in Richtung Heck. Was sie dort sehen, zeigen sie dem Fahrer auf zwei Bildschirmen im schmalen Cockpit, einer pro Seite. Dazwischen gibt das Borddisplay Auskunft über die wichtigsten Fahrdaten, den Batteriestand, die G-Kräfte in Kurven und die Einstellungen der elektronischen Aufpasser: ABS, ESP und Torque Vectoring. Letzteres kontrolliert laufend das an die Räder geschickte Drehmoment und optimiert so das Handling. Über Regler und Tasten am kleinen Wildlederlenkrad kann das Zusammenspiel der Dynamikhelfer feinjustiert werden - oder „off“, komplett aus. So macht Darren Cockle das immer, unser Fahrer. Denn Selbstfahren ist leider nicht, klärt uns Nissan-Mann Neil Reeve auf. Außer diesem Exemplar gibt es nur noch einen weiteren fahrbereiten Prototyp. Da will Nissan nichts riskieren. Der 41-Jährige Cockle ist Testingenieur bei Williams Advanced Engineering, Nissans Partner für Antrieb und Motor des Bladeglider. Die britische Performance-Schmiede steckt auch hinter den Formel-E-Rennwagen, den Boliden der jungen Elektro-Fifa-Serie. Wie der Bladeglider leisten die E-Renner maximal 200 kW. Beim Bladeglider kommen letztlich 268 PS Systemleistung heraus. Akku im Leaf-Format?Im Heck treiben zwei E-Motoren die Räder an, jeder eine Seite. Die Lithium-Ionen-Batterie leistet mit ihren fünf Modulen 220 Kilowatt. Wie groß die Kapazität des Hochleistungsakkus ist, verrät Nissan nicht. Indiz: Den Formel-E-Autos reichen 28 kWh. Lediglich vier kWh mehr als bei der Basisversion des braven Nissan Leaf. Das klingt für den Prototyp eines E-Sportwagens auf den ersten Blick nicht beeindruckend. Die nächste Generation Leaf bringt es ab 2018 auf 40 oder wahlweise 60 kWh (500 km Reichweite). Dafür entfesselt der Hochleistungsakku seine Power, als müsse der E-Renner vor einem Vulkanausbruch flüchten. Quelle: Nissan Volles Drehmoment (707 Nm!) ab Leerlaufdrehzahl. Von 0 auf 100 km/h geht es in unter fünf Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit gibt Nissan mit 190 km/h an. Glauben wir unbesehen. Ausfahren ist nicht: Die Start-Ziel-Gerade ist rund 200 Meter lang. Das reicht je nach Fahrtrichtung für 104 bis 120 km/h Spitze. Eingebaute IdeallinieBeschleunigung, gefühltes Tempo und Geräuschkulisse kommen im Fond wie erwartet an: atemberaubend, nachhaltig beeindruckend und ruhig wie in einer Fruchtblase. Der typische, pfeifende Surr-Singsang nahezu aller E-Autos begleitet auch die Passagiere im Nissan Bladeglider. Hier nimmt man ihn aber simultan zur Leistungsentfaltung wahr. Und erlebt die Fahrt mit lang ausgestreckten Beinen wie ein aberwitziges Videospiel. Darren Cockle, Typ Jockey, schwärmt uns vor: „Das Auto lässt sich extrem präzise einlenken, du peilst den Scheitelpunkt durch die mittige Sitzposition ganz anders an, viel genauer“. Die hecklastige Gewichtsverteilung von 80:20 soll entscheidend dazu beitragen, dass sich der Bladeglider sehr leicht anfühlt, trotz immerhin 1.300 Kilo Gewicht. Über Schaltpaddles kann zweistufig rekuperiert werden – links weniger, rechts stärker. „Das unterstützt den Bremsvorgang, der Wagen zieht sauber ins Kurveninnere“, erklärt Cockle. Quasi eine eingebaute Ideallinie. So viel ist klar nach den vier Testrunden: Der pfeilförmige Nissan könnte ein echter Knaller sein. Wie Nissan-Renault-Chef Carlos Ghosn so schön sagt: „Wir finden, der Bladeglider demonstriert eindrucksvoll, dass sich Auto-Enthusiasten auf eine Null-Emissions-Zukunft freuen sollten. Er ist ein Elektrofahrzeug für Autoliebhaber.“ Gut gesagt, Herr Ghosn. Dann mal her damit, sonst müssen wir leider sagen: Der WÄRE ein Elektrofahrzeug für Autoliebhaber. Und, bitte noch mal ran an den Wendekreis. 18 Meter ist was für Busse, nichts für den Inbegriff der Nissan-eigenen Konzernvision von „Intelligent Mobility“. Nissan Bladeglider: Technische Daten
|