Eigentlich will Peter Müller nur in Ruhe an alten W124 herumschrauben. Aber alte Daimler sind so populär, dass sich der Rentner kaum vor Aufträgen retten kann. Wir haben den T-Modell-Retter besucht.
Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch Von Haiko Prengel Berlin - Wenn man die E-Klassen-Klinik von Peter Müller finden will, muss man zuerst den Hof eines Bestattungsunternehmens überqueren. Den Fuhrbetrieb Gustav Schöne am Richardplatz in Berlin-Rixdorf gibt es seit über 120 Jahren. In den alten Stallanlagen standen früher Pferde und Kutschen, heute sind es schwarze Mercedes Vito, Sprinter und andere Leichenfahrzeuge. Die Kulisse passt. Die ausgezehrten Vehikel, die bei Peter Müller auf die Hebebühne rollen, sind eigentlich eher etwas für den Autofriedhof. Gerade muss sich der 68-Jährige wieder mit einem völlig heruntergekommenen T-Modell aus Daimlers viel gelobter Baureihe W124 herumplagen. Vorderachse, Hinterachse, Wagenheberaufnahmen, Radhäuser, Getriebe – an dem 21 Jahre alten Mercedes ist so ziemlich alles marode. Wie diese blauschwarze Ruine (Farbcode 199) noch vor wenigen Monaten eine frische HU-Plakette bekommen konnte, darüber kann 124er-Schrauber Müller nur rätseln. „Das ist Ulk“, sagt er. Und nicht lustig, da dieser Wagen weit davon entfernt ist, verkehrssicher zu sein. „Wenn Sie die Summe der Mängel nehmen: Dann hat der HU-Prüfer das Auto gar nicht gesehen“, sagt Müller. „Anders kann ich mir das nicht erklären.“ Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch Aber der Endsechziger wird diesen Wagen wieder verkehrssicher machen, wie unzählige Wracks zuvor. Er wird ihn sogar zu einem einigermaßen ansehnlichen Youngtimer restaurieren. Denn das ist die Spezialität des angegrauten Hinterhof-Mechanikers. Ruhestand nicht die Sache von Peter Müller. Lieber schraubt er an alten Autos. Auch wenn man ihm die Freude nicht unbedingt ansieht, denn der Mann ist ein ziemlich mürrischer Kauz. In keinem Branchendienst, trotzdem ausgebuchtUm sich die Rente aufzubessern, bastelt Peter Müller abgerockte 124er Mercedes wieder zusammen, am liebsten T-Modelle (S124). Und das macht er so gut, dass er es auf diesem Spezialgebiet zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Manche sagen schon Koryphäe zu ihm. Dabei ist sein „Autodienst Peter's“ in keinem Branchendienst zu finden, und es existiert kein Firmenauftritt im Internet. Trotzdem finden die Leute zu ihm in den Berliner Hinterhof, wo Müller seine Schrauberhalle unterhält. Oder sie bekommen irgendwie seine Telefonnummer heraus. „Inzwischen gibt es Anfragen europaweit“, sagt Müller. Er sagt das ohne großen Stolz, sein guter Ruf ist eher eine Bürde. Denn Müller hat nur eine Hebebühne und kommt bei so vielen Anfragen kaum hinterher. Mercedes W124. Für viele ist die Baureihe (1984 bis 1997) so etwas wie ein Wunderauto. Als „letzter echter Benz“ wird der Begründer der E-Klasse gerne gefeiert. Dem Mittelklassewagen wird eine technische Langlebigkeit und Solidität in der Verarbeitung nachgesagt, wie sie Daimler bei den Nachfolge-Modellen angeblich nicht mehr produzierte. Peter Müller hat einen anderen Blick. Auf seiner Hebebühne steht regelmäßig das wahre Grauen. Vor allem Rost: Alle, Besitzer, Fans, Motorjournalisten, schlugen auf den W210 ein, der angeblich schon im Katalog gammelte. Ohne Frage hatten viele 90er-Jahre-E-Klassen gravierende Probleme mit Korrosion. Aber das heißt nicht, dass ihre Vorgänger, die 124er, weniger schlimm gammeln. "Das ist Betrug"Quelle: Ausblenden | Marlene GawrischBei dem blauschwarzen 220 TE in Müllers kalter Hinterhofwerkstatt sind große Teile des rechten Kotflügels nicht mehr existent. Der Rost hat das Blech zerfressen, erstaunlich, wie das Saccobrett an dieser Stelle überhaupt noch halten konnte. Durchgefaulte Kotflügel vorne: ein typisches Problem. Welcher 124er hat es nicht? Weitaus ernster sind die Schäden an bekannten Schwachstellen wie den Hinterachsaufnahmen. Weil die Achse ausgebaut werden muss, sind Instandsetzungen in diesem Bereich aufwändig und teuer. Bei dem 220 TE auf Müllers Bühne wählte jemand eine einfachere Methode: Anstatt zu schweißen, wurden die maroden Aufnahmen mit Glasfaserspachtel zugeschmiert. „Das ist nicht nur idiotisch“, sagt Müller und zündet sich eine Zigarette an. „Das ist Betrug.“ In Müllers kleiner Schrauberhalle qualmt die Atemluft auch ohne Kippe im Mund, so kalt ist es hier. Der Ofen läuft im Dauerbetrieb, ist aber überfordert. Statt Blaumann trägt Müller Winterfunktionskleidung. Der Wasserhahn funktioniere auch schon seit Langem nicht mehr, sagt er. 1.000 Euro hat der Besitzer des 220 TE für die Instandsetzung seines Wagens angezahlt. Aber da war der katastrophale Zustand seines Autos noch nicht klar. Viele Schäden entdeckt man eben erst später, auch als Profi. Dann, wenn die Saccobretter abmontiert oder die Sitzbänke ausgebaut sind. Aus den anfangs veranschlagten 4.000 Euro Reparaturkosten sind inzwischen 6.200 Euro geworden. „Und das ist immer noch nicht das Ende“, sagt Müller. Die Preise steigenIn den nächsten Tagen will der Besitzer vorbeikommen und neues Geld bringen. Eigentlich hat Müller dem Mann abgeraten, so viel Geld in den Wagen zu versenken, weil die Summe den Zeitwert bei Weitem übersteigt. Aber der Kunde, ein Selbstständiger aus der Consulting-Branche, schwört auf seinen alten 124er, auch wenn der eine Grotte ist. So wie viele andere auch. Woher kommt sie, die 124er-Verklärung? Er könne es auch nicht ganz nachvollziehen, sagt Müller. "Vielleicht mögen die Leute dieses Wohnzimmergefühl beim Fahren?“ Andererseits: Vergleichbare Autos aus den späten 80er- und frühen 90er-Jahren – ob von Ford, Opel oder VW - seien von den Straßen verschwunden. 124er prägen dagegen weiter das Straßenbild, mit 300.000, 400.000 Kilometer auf der Uhr. Exemplare mit unter 200.000 Kilometer sind kaum noch zu finden, jedenfalls keine T-Modelle. Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch So kommt es, dass die Marktpreise für gut erhaltene Wagen enorm gestiegen sind. „Vor zwei, drei Jahren hat man für 2.000 bis 3.000 Euro noch saubere 124er bekommen, auch Kombis“, sagt Peter Müller. „Heute fangen die Preise bei 5.000 Euro an – aber dann mit zerschlissenen Sitzen, angerosteten Kotflügeln und so weiter.“ Vermeintliche SchnäppchenDer Autodienst Peter’s war einmal ein gut laufendes Unternehmen. Müller beschäftigte einen Lackierer und einen Karosseriebauer. Da befand sich der Betrieb noch in der Wederstraße im Stadtteil Britz. Doch dann wurde die Berliner Stadtautobahn 100 verlängert, und Müllers Kfz-Betrieb sollte Platz machen. Viele Nachbarn gingen und nahmen die Entschädigung. Doch Müller weigerte sich, bis vom Finanzamt ein Brief kam. Darin wurde ihm eine Steuernachzahlung von über 100.000 Mark aufgebrummt. Sein Kfz-Betrieb musste Insolvenz anmelden, seine drei Lebensversicherungen wurden gepfändet. Heute bekommt Peter Müller eine kleine Rente, doch die reicht nicht zum Leben. Schon vor einigen Jahren fand er die kleine Halle am Richardplatz, seitdem schraubt er als Ein-Mann-Betrieb an alten Mercedes-Kombis herum. Wie lange noch? „So lange es geht“, sagt Müller. Wenn er all seine Arbeitsstunden aufschreiben würde, wäre er ein wohlhabender Mann. Aber wer bezahlt solche Rechnungen schon? Speziell 124er-Liebhaber sind oft nicht einfach. So ein 220 TE kostete 1995 fast 65.000 D-Mark, allerdings vollkommen nackt. Mit ein paar Extras war man schnell bei 80.000 DM. Heute schmachten die Leute nach den Oberklasse-Mercedes mit Klassikerstatus und garantiertem Wertzuwachs, die als Kombis auch noch unglaublich praktisch und familientauglich sind. Viel Geld möchten sie dafür aber nicht ausgeben. Und dann wundern sie sich, wenn sich ein vermeintliches Schnäppchen für 2.000 Euro als Ruine entpuppt. „Die Leute vergessen oft, dass diese Autos über 20 Jahre alt sind“, sagt Müller. Ein Gutes hat der Hype um die alten W124 aber: Peter Müller wird weiter Arbeit haben. Sehr viel Arbeit.
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