Der Bundestag hat zum zweiten Mal der Pkw-Maut zugestimmt, die keiner wollte - außer Horst Seehofer. Wie konnte es dazu kommen? Und kommt die Pkw-Maut nun wirklich?
Berlin – Zum zweiten Mal hat der Bundestag heute einem Pkw-Maut-Gesetz aus Dobrindts Verkehrsministerium zugestimmt. Nach Aussage des SPD-Fraktionsvize Sören Bartol "unter großen Bauchschmerzen". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU waren von Anfang an wenig begeistert von der Idee einer "Ausländermaut". Die ein Klassiker bayerischer Politik-Folklore ist. Als das Thema zum ersten Mal auf die Agenda kam, war Helmut Kohl kaum zwei Jahre lang Bundeskanzler, und Alexander Dobrindt hatte noch keinen Führerschein. Der CSU-Abgeordnete Dionys Jobst forderte damals, Ausländer sollten an der Grenze für 60 Mark Plaketten für deutsche Autobahnen kaufen. Inländer sollten sie im Postamt erhalten, dafür aber 60 Mark weniger Kfz-Steuer zahlen. Das war 1984. Seitdem brachte die CSU das Thema immer mal wieder als Sommerlochschlager – immer dann, wenn Millionen Urlauber in Frankreich, Italien oder Österreich frische Erfahrungen mit der Maut gesammelt hatten. Ganz schön teuer, so eine Fahrt von Rosenheim an den Gardasee. Wieso zahlen die eigentlich bei uns nix? Nun werden Sommerlochthemen, erst recht von Dionys Jobst lancierte, kaum mal ernsthaft diskutiert. Seine größten Medienerfolge hatte Jobst schließlich nicht ernst gemeint. 1978 forderte er, Deutschland müsse Franz Beckenbauer aus New York für die WM zurückholen. 1993 wollte er, schrieb zumindest die Bild-Zeitung, Mallorca als 17. deutsches Bundesland für 50 Milliarden Mark kaufen. Dazwischen eben die Maut für Ausländer. Ja, schau'n mer mal. Kuhhandel und Seehofers GeneralQuelle: dpa/Picture AllianceDer Gedanke der Maut jedoch hielt sich, im Transitland Bayern. Und schaffte es 2013 ins Wahlprogramm der Christsozialen. Da half auch nicht, dass Angela Merkel im Wahlkampf versprach: "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben". Am Ende landete die Maut im Koalitionsvertrag. Ein politischer Kuhhandel. Die CDU wollte die Einheit der Union nicht wegen eines solchen Randthemas riskieren, die SPD erhielt im Ausgleich für ihre Zustimmung grünes Licht für den Mindestlohn. Unterschwelliger Tenor: Das kann doch sowieso nichts werden. Eine Maut, die kein Einheimischer zahlt, die aber trotzdem Geld einbringt? Die nur Ausländer zahlen, und die trotzdem EU-rechtskonform ist? Ja, klar. Viel Spaß. Die CSU allerdings betrachtet die Maut bis heute als Prestigeprojekt, und schickte deshalb ihren besten Mann: „Ein Alexander Dobrindt scheitert nicht“, gab Horst Seehofer seinem vormaligen Generalsekretär mit auf den Weg. Das Amt des Verkehrsministers gilt als wenig glamourös, aber Dobrindt war im Parteiauftrag unterwegs im feindlichen Berlin. Gegen die Koalitionspartner, gegen die Opposition, gegen die EU und ein bisschen auch wider die eigene Vernunft? Am 10. April 2014 legte Dobrindt seinen Entwurf zur „Infrastrukturabgabe“ vor. Kein halbes Jahr also nach seinem Amtsantritt. Am 17. Dezember 2014, knapp vor Weihnachten, stimmt das Kabinett zu. Das Wunder von Berlin„Das Wunder von Berlin“, könnte man diesen Vorgang taufen. Reibungslos ging schon in der Frühphase der Maut gar nichts. Aus der CDU kamen Proteste, viele Politiker befürchteten wirtschaftliche Einbrüche in Grenzregionen. Angela Merkel sah sich zu einem Machtwort genötigt: "Sie steht im Koalitionsvertrag, und sie wird kommen." Die SPD stellte noch am Tag der Abstimmung ein "schwieriges Gesetzgebungsverfahren" in Aussicht. Die Maut dürfe nicht bei der EU durchfallen, die Kompensation bei der Kfz-Steuer dürfe später nicht gekippt werden. Quelle: dpa/Picture Alliance Das Wunder: Keiner (außer Seehofer) wollte offenbar die Maut - aber alle stimmten zu. Im März 2015 auch der deutsche Bundestag. Ein Bürokratiemonster: Die Maut gilt auf Autobahnen und Bundesstraßen, für ausländische Pkw aber nur auf Autobahnen. Inländer sollen ihr Geld über eine niedrigere Kfz-Steuer voll zurückbekommen. Komplizierte Berechnungen erfordert das. Aber die gibt es ja auch bei der Steuer. Im Mai 2015 stimmt auch der Bundesrat zu, unter Protestnoten etlicher Beteiligter. Zu diesem Zeitpunkt war Alexander Dobrindt schon deutlich hinter Plan. "Am 1. Januar 2016 wird die Pkw-Maut scharf gestellt", hatte er schließlich 2014 versprochen. Ob das noch vor dem Sommer was wird? Am 8. Juni 2016 unterzeichnet Bundespräsident Gauck die Maut-Gesetze. Drei Tage später werden sie rechtskräftig. Die EU bremst Dobrindt ausDoch nun kam die Europäische Union ins Spiel. Eine Maut, die nur Ausländer belastet – klarer Verstoß gegen EU-Recht. Oder etwa nicht? Die Kommission leitete ein Verfahren gegen Deutschland ein, Dobrindt legte die Maut auf Eis. Nun musste er also in Brüssel weiterkämpfen. Seehofers bester Mann schaffte auch das: Im Dezember 2016 einigte er sich mit der EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc auf einen Kompromiss. Inhalt: stärkere Entlastung für Euro-6-Autos, günstigere Kurzzeit-Tarife für Durchreisende. Heute nun hat der Bundestag diesen Änderungen zugestimmt. "Wir schaffen endlich Gerechtigkeit auf unseren Straßen," sagt Alexander Dobrindt. Ein später Sieg für den König des Sommerlochs, Dionys Jobst? Abwarten. Der Bundesrat kann das Gesetz zwar nicht stoppen, aber über den Vermittlungsausschuss verzögern. Am 24. September wird gewählt. Wetten, dass es mindestens eine Partei geben wird, die uns verspricht, die Pkw-Maut mal wieder zu stoppen? Und selbst, wenn Dobrindt sich erneut durchbeißt: Nachbarstaaten prüfen bereits Klagen gegen Deutschland. "Aus unserer Sicht ist die deutsche Maut rechtswidrig. Wir halten uns alle rechtlichen Optionen offen", sagt zum Beispiel der österreichische Verkehrsminister Jörg Leichtfried. |