Deutschland will 2020 eine Million Elektroautos auf der Straße, und alle sagen: Das geht nicht. Norwegen macht es einfach. Eine Reportage aus dem skandinavischen Elektro-Wunderland. „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht, und hat es gemacht.“ So einer wie der Norweger Rune Haaland. Früher nannte man Leute wie ihn Umweltaktivisten: Vor 20 Jahren protestierte Haaland gegen Mautgebühren für Elektroautos in der Osloer Innenstadt. Er zahlte einfach nicht, wenn er mit seinem in einer besseren Garage zusammengeschraubten Pivco unterwegs war. Jede Einfahrt in die Citymaut-Zone kostet in Oslo 3,50 Euro. Haaland fährt heute Tesla Roadster und ist einflussreicher Präsident der „Electric Vehicle Union“. Fünf Prozent der jährlich 120.000 in Norwegen verkauften Neuwagen sind Elektroautos. Weitere sechs Prozent Hybride. Norwegen wird in Kürze 10.000 Elektroautos haben, doppelt so viele wie das 16x so große Deutschland. Tendenz weiter steigend. Energie im ÜberflussDie Branche blickt mit Staunen auf Norwegen. Warum? Das zeigt das Beispiel Nissan. Das Elektroauto Leaf ist der Hit bei den Händlern. 2012 wird Nissan in Norwegen 2.300 Leaf verkaufen; fünf Prozent der Gesamtproduktion, in einem Land mit nur 5 Mio. Einwohnern. Norwegen ist ein reiches Land, dank des Erdöls. 98 Prozent des Stroms stammen aus Wasserkraft, Energie gibt es im Überfluss. Eine Kilowattstunde kostet nur rund sieben Cent. Anfangen, wenn es keinem weh tutNorwegen will die Elektromobilität; aus Umweltgründen, und um diesen Energieüberschuss besser nutzen zu können. „Wenn Sie etwas durchsetzen wollen, müssen Sie früh genug damit anfangen“, sagt Ola Elvestuen, Stadtrat für Verkehr in Oslo. Dann nämlich, wenn es niemandem weh tut. 1996 gab es fast keine Elektroautos; in dem Jahr wurden die Steuern für E-Autos abgeschafft, zudem befreite die Stadt Oslo Elektroautos von Park- und Mautgebühren. Kurz darauf gab Oslo die Busspuren für Elektroautos frei. Auch auf den stark belasteten Zubringer-Autobahnen in die Stadt. Für Elvestuen war das der Durchbruch. Pendler aus dem Umland sparten nun mit einem Elektroauto bis zu einer Stunde Fahrzeit. Sie sparten aber vor allem beim Preis und profitieren vom verbesserten E-Auto-Angebot. Wer in Norwegen ein herkömmliches Auto kauft, zahlt einmalig astronomische Umweltsteuern, auf den CO2-Ausstoß, den NOx-Ausstoß, auf Hubraum und Fahrzeuggewicht. Das macht die steuerbefreiten Elektroautos konkurrenzfähig. So kostet ein Nissan Leaf (ca. 36.500 EUR) weniger als ein vergleichbar ausgestatteter Golf (ca. 39.200 EUR). Selbst ein neuer VW Polo kostet in Norwegen über 30.000 Euro, Die Menschen sind an diese hohen Umweltsteuern gewöhnt. Ein Taxifahrer erzählt: "Mein Bruder lebt gut davon, gebrauchte Luxuslimousinen aus Deutschland zu importieren. In Norwegen verkauft er sie mit 3.000 bis 5.000 Euro Gewinn weiter. Ein guter Mercedes steht höchstens ein paar Tage auf seinem Hof." Oslo will Europas grünste Hauptstadt werdenIm Osloer Rathaus mochten sie die Idee vom saubersten Großstadtverkehr Europas. Bis Ende 2012 bietet die Stadt über 500 kostenlose Lade- und Parkmöglichkeiten für Elektroautos. Aus Kostengründen verzichtet Oslo auf Schnellladesäulen; die normalen Anlagen sind einfach und elegant. „Sie mussten gut aussehen, damit die Osloer sie akzeptieren“, sagt Ola Elvestuen und ergänzt: "Den Strom zu verschenken ist viel billiger, als ihn abzurechnen." Überhaupt sei das Programm sehr billig: „Ein Wasserstoff-Bus kostet über eine Million Euro. Wir haben fünf, London hat fünf. Alle Ladesäulen zusammen haben weniger gekostet“. Elektroauto-Schwemme?Seit Mitsubishi und Renault-Nissan ihre modernen Elektroautos in Norwegen anbieten, sind Elektroautos in Oslo sehr präsent. Auch den Tesla Roadster sieht man oft; für das neue Model S liegen aus Norwegen so viele Vorbestellungen vor wie aus den USA. Die Frage ist: Wie lange kann Oslo es sich leisten, Elektroautos so stark zu privilegieren, wenn es immer mehr werden? Die Politik garantiert die Privilegien zunächst bis 2018, sagt Verkehrspolitiker Elvestuen. Sollten irgendwann die Busspuren verstopft sein, werde man aber handeln. Der Mann meint es ernst: „Wenn die Parkplätze für Elektroautos nicht mehr reichen, werden wir den Parkraum für die anderen Autos verknappen“. Wer verschmutzt, zahltWas macht Norwegen anders? Ein einfaches, konsequentes Prinzip: Wer verschmutzt, zahlt. Wer sauber fährt, zahlt nicht. Und es wird weiter investiert. Bis 2015 entstehen 250 Schnelladestationen. Jeder Fleck Norwegens soll dann mit dem Elektroauto erreichbar sein. Für Ruune Haaland soll das erst der Anfang sein: „Wir haben 1.780 Tankstellen in Norwegen“, sagt er. Er wird erst zufrieden sein, wenn er seinen Tesla an genauso vielen Stationen aufladen kann. Und Deutschland? Ein Elektroauto ist im Alltag ein teures Abenteuer. Die Menschen scheuen es – zu Recht. Die Regierung wird 2013 die Kfz-Steuer auf Elektroautos abschaffen, ein lächerlicher Betrag ohne Steuerungswirkung. Trotzdem will Deutschland 2020 eine Million Elektroautos auf den Straßen haben; es weiß nur niemand, wie das gehen soll. Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer fordert Unerhörtes: Vorrang für Elektroautos auf Busspuren, besondere Parkplatzangebote. Vielleicht war der gute Mann ja in Norwegen – da haben sie es einfach gemacht. Hinweis: Alle mit EVU gekennnzeichneten Bilder © EVU/Victor Jaeger. Die Gesprächstermine wurden von Nissan Nordic und der EVU arrangiert. Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 18.10.2012
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