Die letzte Woche vor Weihnachten. Zeit für das MOTOR-TALK-Team, noch einmal öffentlich über Traumwagen nachzudenken. Der Chevrolet Camaro gehört auf jeden Fall dazu. Ein Gefühlsbericht.
Was, bitte, was sagt schon so ein Fahrzeugtest, durchgeführt nach objektiven Kriterien, wenn das Herz in der Hose sitzt und ständig aufs Gaspedal tritt. Denn seien wir an dieser Stelle so aufrichtig, wie das eben geht. Ein Camaro passt in keine vernünftige deutsche Schublade. Außen zu groß, innen zu klein, zu viel Spritdurst, zu wenig alltagstauglich, blabla. Wir können das alles fein geordnet aufschreiben. Braucht aber keiner, der kurz mal eine Runde im Camaro gedreht hat. Schreiben können dann eh die wenigsten, so zittrig sind die Hände. An die niederen InstinkteDafür ist ein kerniger, lebhafter Kerl verantwortlich. Der säuft und Radau macht, wenn er viel säuft. Und der schnurrt, wenn man das Gaspedal streichelt. Der 6,2-Liter-V8 besitzt 432 Pferde - und das sind keine braven Ponys oder feine Lipizzaner. Das sind Hengste, Wildpferde, Junge. Die gehen ab. Diese Bande unter der Haube löst bei Männern wie Frauen die allerniedrigsten Instinkte aus. Morgens noch im Bio-Laden Öko-Waschpulver kaufen und am Abend dann wie ein vernunftfreier Asphaltkrieger den Motor im Stand hochjubeln: „Weil, der klingt ja so geil.“ Aber ja, so ist es. Der klingt hammergeil, schon im Stand und bitte, wofür ist dieses 6-Gang-Schaltgetriebe gut? Gang raus an der Ampel, Pferdchen per Gasfuß aufscheuchen, fett in sich hineingrinsen - und darauf warten, dass die Hirnfrequenz wieder vom Niveau eines Sechsjährigen auf die Stufe eines Erwachsenen steigt. Schalten wie im TraumOb es Frevel ist, einen amerikanischen Wagen mit Schaltgetriebe zu fahren? Keine Ahnung. Von Schaltwegen kann man beim Camaro-Getriebe nicht sprechen. Das sind eher Schaltschritte. Tack, Tack. Meine Hand umklammert die Lederkugel. Es gibt reichlich Rückmeldung, wenn der Hebel durch die Schaltkulisse klickt. So schalten sich die Autos in meinen Träumen. Zum Alptraum wird der Camaro immer dann, wenn der Fahrer pennt. Dieses reinrassige Blechtier nutzt bei nasser, glitschiger Fahrbahn jede Gelegenheit zum Ausreißen. Trotz ESP, obwohl man das Pedal nur sanft gestreichelt hat. Einen Moment zu schwer den Fuß gesenkt, und schwupps nimmt das Heck reißaus. Szenenwechsel: Mit dem 4,83 Meter langen Camaro auf Parkplatzsuche zu fahren, hat wenig Schönes. Außer die Rückfahrkamera, deren Bilder im Rückspiegel eingeblendet werden. Klar, in den USA, der Heimat dieses Autos, braucht das keiner. Aber in unseren vollen Städten würde der härteste Macho verzweifeln. Es dauert ein wenig, bis man sich dank dieses Wagens wie ein Macho aufführt. Denn in der ersten Stunde fühlt man sich im dunklen Camaro-Inneren klein. Bis man die Freundin zu Hause abliefert, zwei Kumpels einlädt und sich wieder auf die Suche nach einem passenden Parkplatz begibt. Diesmal nach einem mit so ca. 70 Quadratmetern freier Fläche. Das Heck braucht ein bisschen Auslauf. KrachmacherUnd gerade, wenn man mit den besten Kumpels unterwegs ist, dann stellt sich dieses Gefühl ein, das man kaum beschreiben möchte, weil es so intim ist. Diese Freiheit, diese Lebenslust, gepaart mit einem Orchester auf vier Rädern. Wenn dann die Straße frei bis zum Horizont scheint, dann lässt der V8 das Herz aus der Hose hüpfen. Es gibt wirklich, wirklich nur sehr wenige Wagen, in denen so schöne Musik läuft, obwohl das Radio aus ist. Nur mit der Freiheit und dem Horizont ist es so eine Sache, wenn man in diesem gelb-schwarzen Hingucker fährt. Nur wenige Menschen drehen nicht den Kopf, wenn der Camaro vorbeidröhnt. Klang und Blechkleid bedeuten: So ein Auto steht nicht jedem. Was ich meine: Im Camaro unterwegs zu sein fühlt sich in etwa so an, wie damals, als man 18 war und seinen Eltern diese 28-Jährige vorgestellt hat. Sie trug einen Rock, kaum länger als der Altersunterschied in Zentimetern. Man spürt diesen vernichtenden Blick von Mama in den Blicken mancher Passanten. Aber man weiß auch: Papa würde einem für den Camaro auf die Schulter klopfen. Wenn Mama nicht hinsieht. Bye-Bye BuddyWie viele große Lieben endet auch meine Beziehung zum Camaro viel zu früh. Zigaretten, Drinks, billige US-Car-Heftchen: nichts kann den Camaro ersetzen. Ich steige in graue Autos mit grauen Motoren, eins ist wie das andere. Und während ich schadstoffoptimiert und emissionsfrei durch die Stadt rolle, höre ich das Fauchen des Camaros. Wie unperfekt, wie schön er war: 5,2 Sekunden auf 100 km/h, angenehm hartes Fahrwerk, der Schlag bei 4000 Umdrehungen, wenn das Triebwerk seine zweite Luft bekam. Sein Durst hielt sich übrigens im Rahmen. Er fährt nicht sparsam, aber wenigstens ist hier jeder Tropfen seinen Cent wert.
Chevrolet Camaro Coupé 6.2: Technische Daten
Quelle: MOTOR-TALK |