Die Gerüchte haben sich bestätigt: Volkswagen hat am Dienstag Abend deutscher Zeit zur Qatar Motor Show wiederum ein Ein-Liter-Auto vorgestellt. Die bereits dritte Auflage dieses Konzepts wird immer seriennäher und damit auch schwerer, glänzt aber gleichzeitig mit einem wieder gesunkenen Verbrauchswert – auf dem Papier. Wie weit lässt sich der Energieverbrauch der Autos senken, wenn konsequent die komplette Klaviatur der Effizienz genutzt wird? Diese Frage stellt VW am Anfang der Presseunterlagen zum neuen XL1 - und eigentlich ist die Antwort, selbst wenn man die Konzernbrille aufsetzt und extreme Rekordautos außen vor lässt, simpel: 0,89 Liter. Auf diesen Verbrauch kam - trotz Regenwetter - der einstige VW-Chef und heutige Aufsichtsratvorsitzende Ferdinand Piëch auf seiner unvergessenen Fahrt von Wolfsburg nach Hamburg mit dem 1L genannten Prototypen am 15. April 2000. Seither ist über ein Jahrzehnt ins Land gestrichen, und VW beantwortet die eingangs gestellte Frage heute mit - 0,9 Litern. Was für sich genommen ohne jeden Zweifel einen hervorragenden, außergewöhnlichen Wert darstellt, erscheint vor dem beschriebenen Hintergrund zunächst enttäuschend, mindestens. Allerdings unterscheiden sich der 1L und der XL1 stärker als es ihr Design vermuten lässt. Zunächst: Während Fahrer und Beifahrer im 1L ebenso wie im 2009 präsentierten L1 zugunsten der Fahrzeug-Aerodynamik noch hintereinander saßen, können die zwei Passagiere im neuen XL1 nun, fast wie gewohnt, licht versetzt nebeneinander Platz nehmen; erstmals erleichtern Flügeltüren das Ein- und Aussteigen. Sie sind an zwei Punkten, unten an den A-Säulen und knapp oberhalb der Windschutzscheibe im Dachrahmen angelenkt und schwenken deshalb nicht nur nach oben, sondern auch leicht nach vorn. Zudem ragen die Türen weit in das Dach hinein und geben einen besonders großen Ein- und Ausstieg frei. Der XL1 ist jetzt in Länge (3,89 Meter) und Breite (1,67 Meter) mit einem Polo vergleichbar. Nur in punkto Höhe duckt er sich aus aerodynamischen Gründen ungefähr so tief wie ein Lamborghini Gallardo Spyder (1,18 Meter) - die Proportionen versprechen noch immer einen spektakulären Anblick. Trotz der deutlich gewachsenen Breite konnte der Luftwiderstand noch einmal gesenkt werden, von Cw=0,195 beim L1 auf nun 0,186. Die wichtigere Kennzahl, nämlich das Produkt aus Cw-Wert und Stirnfläche, hat sich aufgrund des Breitenzuwachses dagegen deutlich verschlechtert, von 0,199 Quadratmeter auf 0,693 m2. Außerdem: Das Antriebskonzept setzt jetzt nicht nur auf Hybridtechnik, sondern auf Plug-in-Hybridtechnik. Das Auto lässt sich also an der Steckdose aufladen. Dies ermöglicht es, Strecken bis zu 35 Kilometern rein elektrisch und damit lokal emissionsfrei zurückzulegen. Im übrigen arbeitet im XL1 natürlich wiederum ein TDI-Motor. Es handelt sich erneut sozusagen um eine hälftig geteilte Variante des bekannten 1,6-Liter-Aggregats mit Common-Rail-Technik. Der mittels Ausgleichswelle beruhigte Zweizylinder leistet jetzt aber nicht mehr nur 39 PS, sondern derer immerhin 48. Das Drehmoment steigt um 20 auf 120 Newtonmeter. Damit beschleunigt der XL1 in knapp 12 Sekunden auf Tempo 100 - schneller als ein heutiger Polo mit seinem Dreizylinder-TDI (75 PS). Möglich wird dies wegen des geringeren Gewichts des XL1 und durch den zusätzlichen Boost des 20 kW (27 PS) starken Elektromotors (Drehmoment 100 Nm). Die Kraftübertragung obliegt wie im L1 dem 7-Gang-DSG. Die Höchstgeschwindigkeit liegt wiederum bei abgeregelten 160 km/h. Die komplette Antriebseinheit aus TDI, E-Motor, Lithium-Ionen-Akku und DSG ist im Heck untergebracht und wirkt auf die Hinterachse. Stichwort Alltagstauglichkeit: Der XL1 ist nicht nur des Leistungszuwachses, der neuen Sitzanordnung und des leichteren Zustiegs wegen viel praxistauglicher als der L1, sondern auch in den Details: Das Kofferraumvolumen wurde auf 100 Liter verdoppelt, die Reifendimensionen von 95/60 und 115/70 (vorn/hinten) auf 115/80 und 145/55 der notwendigen Realität nähergebracht, und die Ausstattung um Navigation, Parkassistent und Klimaanlage erweitert. Zudem besitzt der XL1 ein einigermaßen konventionelles Armaturenbrett mit Wählhebel auf dem Mitteltunnel. Die Kehrseite der Medaille ist aber offensichtlich: Das Gewicht des XL1 beträgt 795 Kilogramm - mehr als das Doppelte dessen, das der L1 vor anderthalb Jahren auf die Waage brachte. Dies ist Folge der Batterietechnik (Antriebseinheit 227 statt 122 Kilogramm), des hochwertigeren Fahrwerks (153 statt 79 kg), der größeren Fahrzeugdimensionen mit Flügeltüren und der besseren Ausstattung (80 statt 35 kg). Die eigentliche Karosserie (230 statt 124 kg) ist wiederum aus CFK gefertigt, jenem carbonverstärkten Kunststoff, der auch bei anderen Autobauern aus Gewichtsgründen ganz oben auf der Zukunftsagenda steht. Gegenüber 2009 seien die Ingenieure in punkto serientauglicher, Verarbeitung noch einmal einen großen Schritt weitergekommen, heißt es. Um die Kosten im Zaum zu halten, ist aber nicht mehr die komplette Karosse aus CFK gefertigt, sondern nur noch ein Teil davon, bestehend vor allem aus einem hochfesten Monocoque. Im übrigen kommen auch Leichtmetalle und normale Kunststoffe zum Einsatz. Die Windschutzscheibe besteht aus Dünnglas, die Seitenscheiben aus Polycarbonat, die Bremsscheiben aus Keramik, die Räder aus Magnesium. Die Konsequenz ist, dass der XL1 tatsächlich mehr Sprit verbraucht als der L1, wenn auch die kommunizierten Werte (0,9 gegenüber 1,38 Liter) das Gegenteil suggerieren. Der Grund für die Diskrepanz liegt in der Norm zur Verbrauchsberechnung, die bei Plug-in-Autos auch den rein elektrischen Betrieb berücksichtigt. Mit dem bei beiden Modellen identisch großen 10-Liter-Kraftstofftank soll der XL1 eine Reichweite von 550 Kilometern schaffen, beim L1 waren es noch 670 Kilometer - und nur der unlackierte, hybridfreie, einzylindrige und 8,5 PS schwache 1L aus dem Jahr 2002 kam (auf der Straße, nicht auf dem Prüfstand) ehrlich auf den einen, singulären Liter. Daran kann auch Ferdinand Piëch nichts ändern, wobei man ihm kaum vorwerfen kann, schon vor Jahren die merkwürdige Verbrauchsberechnung gekannt zu haben. So wird Piëch sein einst visionär formuliertes Ziel, ein vollwertiges, alltagstaugliches Auto mit einem Verbrauch von 1,0 Litern zur Serienreife zu bringen, möglicherweise nur auf dem Papier erreichen, aber er wird dem VW-Konzern auch mit einem faktischen Zwei-Liter-Auto einen großen Wettbewerbsvorsprung sichern - wieder einmal. Denn dass das 1-Liter-Auto nicht nur eine PR-Maßnahme ist, wird immer wahrscheinlicher. Schon 2009 beim L1 hieß es, "2013 wäre eine gutes Jahr für den Beginn der Zukunft". Beim XL1 spricht Volkswagen ohne Jahreszahl von einer "möglichen Kleinserie", und man darf annehmen, dass eine solche mindestens kommen wird. Denkbar wäre auch eine Teil-Adaption der Technik in den künftigen Kleinstwagen "(L)up(o)".
Quelle: Autokiste |
verfasst am 26.01.2011
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