Der Volkswagen-Konzern muss nachbessern, voraussichtlich bei elf Millionen Diesel-Fahrzeugen weltweit. In einigen Ländern könnte dafür ein Software-Update reichen.
Berlin – VW wird weltweit bis zu elf Millionen Diesel-Fahrzeuge zurückrufen. VW, VW Nutzfahrzeuge, Audi, Skoda und Seat sind vom Abgas-Skandal betroffen, mehr als 60 Modelle mit drei Motoren (1,2-Liter-Dreizylinder, 1,6- und 2,0-Liter-Vierzylinder vom Typ "EA 189") und je zwei Getriebevarianten (Handschalter und Doppelkupplungsgetriebe). Insgesamt geht es um etwa 10.000 Antriebs- und Modellkombinationen. Die Ingenieure arbeiten an Lösungen. Je nach Land und Fahrzeug gibt es Unterschiede bei Abgasnormen, Fahrzeugmodellen und Kraftstoffqualität. All das müssen die Entwickler beachten. Im besten Fall könnte ein Software-Update reichen. Bei manchen Motoren muss der Stickoxid-Ausstoß dagegen drastisch reduziert werden. Hier lest Ihr alles zu technischen Hintergründen, dem aktuellen Stand und absehbaren Modifikationen. Um welche Motoren geht es?Quelle: dpa/Picture Alliance In den USA muss VW bei 480.000 Fahrzeugen mit 2,0-Liter-Diesel des Typs „EA 189“ die Abgaswerte nachträglich verbessern, darunter gut 14.000 Audi A3. Weltweit kommen weitere Hubraum-Varianten hinzu: Betroffen sind 1,2-Liter-Dreizylinder sowie 1,6-Liter-Vierzylinder des gleichen Typs. VW prüft derzeit, ob manche Motor-Fahrzeugkombinationen die Tests auch ohne Schummel-Software bestehen. Nach Angaben von VW-Chef Matthias Müller ist das Programm nicht in allen Autos aktiv. Die aktuelle Motorengeneration ("EA 288", seit 2012 in Deutschland im Einsatz) ist laut VW nicht betroffen, selbst die Euro-5-Varianten. Was muss VW jetzt tun?VW muss die vorgegebenen Normen erreichen: In Europa die Euro-5-Norm, in den USA den "Tier 2 Bin 5"-Standard bzw. die kalifornische Norm "LEV-II ULEV". Die betroffenen Fahrzeuge stießen im Test 800 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus. Deutschland erlaubt 180 Milligramm (Abgasnorm Euro 5), die USA 31 Milligramm auf der gleichen Distanz. Auf dem Prüfstand müssen die Werte ohne Zusatz-Software stimmen. Spannend und wichtig dabei: Der Stickoxidausstoß auf der Straße wird sich weiterhin von den Soll-Werten auf dem Prüfstand unterscheiden. Wie verbessert VW die Abgaswerte?Manche Modelle könnten mit einem Software-Update die Vorgaben erreichen. Beim getesteten US-Passat könnte eine Erhöhung der AdBlue-Einspritzmenge genügen, um den Stickoxid-Ausstoß ausreichend zu senken. Die SCR-Systeme installiert VW in Deutschland aber nur bei der nachfolgenden Motorengeneration. In den USA gibt es SCR-Kats in VW seit dem Modelljahr 2012. In allen anderen Motoren könnte VW die Regeneration der NOx-Speicherkats und die Gemischbildung mit einer neuen Steuergeräte-Software beeinflussen. Ein anderes Kraftstoff-Sauerstoff-Verhältnis könnte die Temperatur im Brennraum senken und damit die Entstehung von Stickoxiden verringern. Eine höhere Regenerationsrate oder größere Speicherkats würden zudem die Abgasnachbehandlung verbessern. In den Motoren lässt sich mechanisch wenig ändern. Die EA 189 reduzieren den Stickoxidausstoß bereits durch eine gekühlte Abgasrückführung. Modernere Einspritzdüsen könnten das Gemisch besser verteilen und die Stickoxidbildung verringern. Die Nachrüstung einer SCR-Anlage wäre teuer und aufwändig. Zumindest für die USA schließen wir diese Option aber nicht vollständig aus. Quelle: dpa/Picture Alliance Andere Hersteller setzen ein geringes Verdichtungsverhältnis ein. Diese Maßnahme steht für VW-Motoren nicht zur Debatte: Eine Umrüstung wäre ein großer Eingriff und würde den Motor grundlegend verändern. Wann informiert VW über Maßnahmen und Modelle?Seit Bekanntwerden des Skandals arbeiten die Ingenieure an einer Lösung. Am 7. Oktober 2015 muss der Konzern dem Kraftfahrtbundesamt einen verbindlichen Zeit- und Maßnahmenplan vorlegen. Nach Abschluss der Arbeiten und diverser Tests muss in Deutschland das Kraftfahrtbundesamt die Maßnahmen abnehmen. Voraussichtlich wird es Ende Oktober konkrete Informationen zu allen Fahrzeugen geben. Was passiert, wenn ich nicht auf den Rückruf reagiere?Für diesen Fall gibt es aktuell keine konkreten Aussagen. Wer sicherheitsrelevante Mängel trotz mehrfacher Aufforderung nicht beseitigen lässt, der riskiert eine Stilllegung des Fahrzeuges. Das KBA nimmt hierfür Kontakt mit der zuständigen Zulassungsstelle auf. Die schlechteren Abgaswerte der betroffenen VW stellen aber keinen sicherheitsrelevanten Mangel dar. Derzeit ist noch nicht entschieden, wie das Amt mit Update-Verweigerern umgeht. Bis alle Autos aufgerüstet sind, kann es einige Monate dauern. Vorher wird es keine Stilllegungen geben. Welche Schwierigkeiten gibt es?Trotz der Gleichteil-Politik bei VW gibt es viele verschiedene Kombinationen aus Motoren, Modellen und Getrieben jeweils mit eigener Software. Die Ingenieure müssen für alle Fahrzeuge in allen Ländern verschiedene Lösungen finden, sie testen und auf landesspezifische Vorgaben achten. Ein erhöhter AdBlue-Verbrauch wäre in den USA schwer umzusetzen: Der Stoff wird dort nur im Rahmen der Wartungen nachgefüllt. Hierzulande füllen ihn die Fahrer selbst nach. Wenn VW die Intervalle beibehalten will, müssten die Werkstätten größere Behälter einbauen. Hinzu kommen die Gesetze der Physik. Stickoxide entstehen bei besonders sauerstoffreicher und dadurch heißer Verbrennung. Spritzen die Motoren mehr Diesel ein, steigen Verbrauch, CO2- und Ruß-Ausstoß. Weniger Sauerstoff könnte Leistungsverlust bedeuten. Ziel ist also eine bessere Verbrennung mit der gleichen Kraftstoff- und Sauerstoffmenge. Was kann ich tun, wenn mein Auto schwächer oder durstiger wird?Der Gesetzgeber erlaubt eine gewisse Streuung. Autos dürfen zum Beispiel fünf Prozent stärker oder schwächer sein als angegeben. Weicht die Leistung stärker ab, hätten Kunden Anspruch auf Gewährleistung. Das bestätigte die Verbraucherzentrale Hamburg. Diese dürfte aber in den meisten Fällen verjährt sein. Ansprüche auf Schadensersatz hängen von der weiteren Entwicklung im Abgas-Skandal ab. Laut Aussage des mobile.de-Chefs Malte Krüger wirkt sich die Krise bisher noch nicht auf Preise oder Suchanfragen gebrauchter VW-Modelle aus. Behalten die Autos ihre Prüfstand-Software?Quelle: dpa/Picture Alliance Ja. Moderne Fahrzeuge erkennen Prüfstand-Situationen als unlogisch. Assistenzsysteme versuchen, die Widersprüche zu lösen. Deshalb läuft ein Prüfstand-Programm, das Parameter (vorn drehen sich die Räder, hinten nicht) zulässt. Allerdings darf es keine Software für saubere Abgase geben. Wie reinigen die betroffenen Autos ihre Abgase?Im ICCT-Test fuhren zwei VW: Ein VW Jetta 2,0 Turbodiesel mit NOx-Speicherkat und ein Passat 2,0 Turbodiesel mit SCR-Kat, jeweils in der US-Version. Ein NOx-Speicherkat sammelt schädliche Stickoxide auf seiner Oberfläche. Wenn er „voll“ ist, spritzt der Motor mehr Kraftstoff als nötig ein. Bei der sogenannten „fetten“ Verbrennung entstehen viel Kohlenmonoxid- und Kohlenwasserstoffe. Sie reagieren im Katalysator mit den Stickoxiden zu Kohlendioxid (CO2) und Stickstoff (N2). Experten sprechen von einer Regeneration des Katalysators. Zusätzliche Chemikalien werden nicht benötigt. Anders beim Passat: SCR steht für „Selective Catalytic Reduction“ – der SCR-Kat wandelt ausgewählte Giftstoffe (Stickoxide) in harmlose Chemikalien um. Das Auto spritzt dafür eine Harnstoff-Lösung („AdBlue“) in den Katalysator ein. Ammoniak (NH3) reagiert mit den Stickoxiden (NOx) und Kohlenstoffen (C) zu Wasser (H2O), Stickstoff (N2) und Kohlendioxid (CO2). Ein NOx-Sensor misst den Stickoxid-Gehalt der Abgase und steuert damit die Einspritzung des AdBlue. Der Jetta überschritt im ICCT-Test die angegebenen Stickoxidwerte um das 15- bis 40-Fache. Der Passat stieß das 5- bis 20-Fache der erlaubten Menge Stickoxide aus. Wie entstehen Stickoxide?Stickoxide sind das Ergebnis des Verbrauch-Wettbewerbs. Moderne Dieselmotoren arbeiten mit geringen Dieselmengen. Bei der Verbrennung im Zylinder gibt es an einigen Stellen einen Sauerstoffüberschuss, ein sogenanntes mageres Gemisch. Hier verbrennt der Kraftstoff besonders heiß, es entstehen Stickoxide. Sie reizen und schädigen die Atemorgane und fördern im Sommer die Ozonbildung. |