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Diesel, Smog, Testverfahren und der VW-Skandal - Zu lange hat die Politik zu viele Augen zugedrückt

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Der VW-Skandal beherrscht die Medien. Im Hintergrund pokern Industrie und EU längst um strengere Regeln für Schadstoffe. Dieser Poker lässt sich nur schwer beschleunigen.

Strengere Vorschriften für Diesel: Der VW-Skandal spülte das Thema nach vorn. DIe Diskussion läuft aber schon viel länger, Strengere Vorschriften für Diesel: Der VW-Skandal spülte das Thema nach vorn. DIe Diskussion läuft aber schon viel länger, Quelle: dpa/Picture Alliance

Brüssel/Berlin – Ungebremst beherrscht der VW-Skandal weiterhin die mediale Öffentlichkeit. Oft geht es um die Marke, den Konzern. Etwas am Rande rangiert das Thema, was der Wolfsburger Abgas-Schummel auf politischer Ebene ausgelöst hat. Dort könnte im Zuge des Skandals etwas entstehen, vor dem die gesamte Branche zittert: Die Politik sucht nach Wegen, so schnell wie möglich strengere Schadstoff-Grenzwerte und Prüfverfahren für Dieselfahrzeuge einführen zu können.

„Wir müssen handeln“, sagte die EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska in der vergangenen Woche vor dem EU-Parlament. So schnell wie möglich sollen dem Skandal Konsequenzen folgen, um das "Vertrauen der Verbraucher" wieder herzustellen.

EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska fordert: Die Politik müsse nun schnell handeln EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska fordert: Die Politik müsse nun schnell handeln Quelle: dpa/Picture Alliance Brüssel macht Druck: Noch in dieser Woche sollen die EU-Staaten Vorschläge kommentieren, die die EU-Kommission vergangene Woche vorgelegt hat. Am 28. Oktober soll es erste Beschlüsse geben.

Die EU will Handlungsfähigkeit demonstrieren. Erstens, um dem Vorwurf zu begegnen, sie ließe sich ihre Gesetze von der Industrie diktieren. Zweitens, um Europa-Gegner zu beruhigen: "Der VW-Skandal zeigt, dass Europas Regeln nicht funktionieren", sagt der britische Konservative Owen Paterson.

RDE: Alter Hut mit neuer Brisanz?

Welche Vorschläge die EU-Kommission im Einzelnen an Europas Hauptstädte geschickt hat, bleibt bisher unter Verschluss. Bereits vor acht Jahren brachte die EU Gesetze auf den Weg, die Schadstoffmessungen auf der Straße im Typprüfungsverfahren verankern sollen. Unter dem Kürzel RDE („real driving emissions“ – echte Fahremissionen) müssen Pkw die Schadstoffgrenzen dann nicht mehr nur auf dem Prüfstand erfüllen, sondern auch im Straßenbetrieb.

Die Einführung dieses Verfahrens wurde mehrmals verschoben, ist zum 1. September 2017 aber fest eingeplant. Soweit bekannt, soll daran nicht gerüttelt werden. Die Autoindustrie hat über ihren europäischen Verband ACEA Zustimmung dazu signalisiert: Man habe stets die Einführung von RDE ab September 2017 unterstützt.

Gestritten wird zwischen Politik und Industrie darum: Wie stark dürfen Autos im Straßenverkehr Grenzwerte für NOx und Partikel überschreiten, die sie auf dem Prüfstand einhalten? Die Vorstellung der EU-Kommission: Bis 2019 dürfen sie um 60 Prozent über dem Grenzwert liegen, danach maximal um 20 Prozent.

Hersteller fürchten Jobverluste

Hier will die Industrie unbedingt feilschen. Kein Wunder, denn einige aktuelle Pkw verfehlen den Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxiden pro Kilometer um 500 Prozent und mehr. Man brauche einen Zeitplan und Testverfahren, die technische und ökonomische Realitäten berücksichtigen, schreibt der ACEA in einem Statement.

Falls das nicht gelingt, befürchtet der ACEA: Die Hersteller müssten einige Dieselmodelle vom Markt nehmen. Es drohe dann ein Verlust von Wettbewerb sowie von Jobs. „Dabei geht es auch um leichte Nutzfahrzeuge, wo es derzeit zum Diesel keine echte Alternative gibt“, schreibt der Lobbyverband.

Hat der VW-Skandal Hunde geweckt, die bislang schliefen? Alle Beteiligten wissen längst, dass Prüfstandsmessungen und Realität wenig miteinander zu tun haben.

Es geht um viel mehr als nur VW-Motoren: Alle großen europäischen Hersteller müssen sich ihre Dieseltechnik in den kommenden Jahren sehr genau anschauen Es geht um viel mehr als nur VW-Motoren: Alle großen europäischen Hersteller müssen sich ihre Dieseltechnik in den kommenden Jahren sehr genau anschauen Quelle: dpa/Picture Alliance Abgas- und Verbrauchsmessungen, das war bisher Konsens, müssen reproduzierbar und vergleichbar sein. Dies in freier Wildbahn umzusetzen, wo Wetter, Fahrstil und Verkehr die Ergebnisse beeinflussen, ist kaum möglich.

„Der ACEA hofft, dass die Testverfahren schnell fertiggestellt werden“, schreibt der Branchenverband. Erst dann könne die Industrie Autos verkaufen, die die Vorgaben erfüllen. Ein nicht gründlich genug definierter Test wäre leicht anfechtbar: Mit einer deutlich schnelleren Einführung strengerer Messverfahren wird es also vermutlich nichts.

Ergänzend denkt die Bundesregierung deshalb über Stichprobenkontrollen nach. Auch nach der Prüfung sollen Autos vom Fließband weg getestet werden. "Der Dieselantrieb hat nur dann eine Zukunft, wenn die Industrie beweist, dass sie ihn wirklich sauber bekommt", zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks.

Zu lange gepokert

Der europäischen Politik fällt nun ihre jahrelange Untätigkeit vor die Füße. Man wusste längst: Weder die Verbrauchsangaben der Industrie noch die Grenzwerte der Schadstoffklassen sagen etwas darüber aus, wie sich ein Auto auf der Straße verhält. In beiden Fällen ließ die Politik mit sich pokern: um Übergangsjahre, Supercredits, Ausnahmen und zugedrückte Augen.

Zu Recht beklagen Autohersteller nun: Europa habe den Diesel jahrzehntelang begünstigt, um ihn jetzt zu verteufeln. Um Gewerbetreibende zu entlasten, und später für niedrige CO2-Flottenwerte, schufen viele Staaten einst Steuervorteile für den Kraftstoff. In Frankreich kostet Diesel heute um die 15 Cent weniger als Benzin, in Deutschland sind es rund 18 Cent. Im Ergebnis liegt die Dieselquote in Deutschland bei mehr als 50 Prozent, in Frankreich weit darüber. Französische wie deutsche Hersteller konzentrierten sich fast 20 Jahre auf die Selbstzünder-Technik.

Dass es so nicht weitergehen kann angesichts grotesker Luftverschmutzung in vielen Städten, war längst klar. Diesen Erkenntnisprozess hat die Causa VW offenbar beschleunigt. Eine neue Dringlichkeit ergibt sich daraus jedoch nicht, denn diese existiert schon längst. Davon künden Stuttgarter Stickoxid-Rekorde ebenso wie Fahrverbote im Pariser Smog.

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