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"Der hässlichste M1 aller Zeiten"

verfasst am Wed Mar 23 15:02:57 CET 2011

BMW M1 - mit diesem 277 PS starken Supersportwagen lieferte BMW Renntechnik für die Straße. Wir fuhren das Exemplar, das einst Jochen Neerpasch gehörte - kein anderer als der Chef der M GmbH schien damals die graue Lackierung zu mögen. Und Rennfahrer Dieter Quester nannte dieses Unikat den "hässlichsten BMW M1 aller Zeiten".

Den graue BMW M1 von Jochen Neerpasch, damals in den Siebzigern Chef der BMW Motorsport GmbH, wurde bei BMW Ratte genannt. Genau genommen wurden nur zwei Exemplare des BMW M1 in dieser Farbe produziert, alle anderen waren weiß, rot, orange oder meistens dunkelblau.

Begegnung am Schauinsland

Die cognacfarbene Leder-Innenausstattung gab es im BMW M1 hingegen nur einmal, sie stempelt diesen Mittelmotor-Boliden zu einem Unikat, das somit zu den wertvollsten aller noch existierenden BMW M1 zählen dürfte. Über dieses Auto soll der österreichische Rennfahrer und einstige ProCar-Pilot Dieter Quester seinerzeit gesagt haben, es sei mit Abstand der hässlichste BMW M1 aller Zeiten. Damals hat ihm nur der Neerpasch widersprochen. Meine Begegnung mit dem Ex-Neerpasch-BMW M1 findet am Fuß des 1.284 Meter hohen Schauinsland statt, Freiburgs Hausberg.

Die Strecke dort hinauf war zwischen 1925 und 1984 Austragungsort für den "Internationalen ADAC-Bergpreis", sie misst rund zwölf Kilometer und verfügt über 175 Kurven. Rein rechnerisch erfolgt also alle 69 Meter ein Richtungswechsel - dagegen wirkt selbst die Nordschleife des Nürburgrings wie ein Kurs für Geradeausfahrer. Und wie ein BMW mit dieser anspruchsvollen Bergaufpassage im Schwarzwald umgehen kann, hat Hans Stuck zuletzt 1958 bewiesen: Klassensieg im BMW 507. Historisch gesehen müsste das Layout der Schauinsland-Strecke einem BMW M1 also in den Genen liegen.

Besitzer Reiner Kleissler, dem das Auto seit 21 Jahren gehört - und der sich mit Haut und Haaren dem BMW M1-Konzept verschrieben hat, weist mich in die Tücken der Schauinslandpiste ein, die sozusagen seine Hausstrecke ist. Und in die Handhabung des Sportwagens M1, den BMW zwischen 1979 und 1981 gebaut hat, weil sich mit den vorhandenen Serienautos ganz einfach keine Rennen gewinnen ließen.

Auftrag: Siegfähiger Tourenwagen für die Gruppe 4

Pläne für ein Mittelmotor-Coupé werden in München bereits zu Beginn der siebziger Jahre geschmiedet, auf Grund der Ölkrise reicht die Einsatzfreude jedoch nur für einen Prototypen der berühmten Turbo-Studie von Paul Bracq. 1974 greift Jochen Neerpasch mit seiner noch jungen BMW Motorsport GmbH diese Idee wieder auf, um einen siegfähigen Tourenwagen für die Gruppe 4 zu bauen. Voraussetzung dafür: 400 Exemplare in 24 Monaten.Der BMW M1 wird zur Serienreife entwickelt.

Mit dem Aufwand, den die M-GmbH für den BMW M1 betreibt, hätte sich damals wohl auch ein Formel-1-Projekt realisieren lassen. Die kantige Karosserie des BMW M1 stammt von Giorgio Giugiaro, sie ist nach Aussagen des Design-Altmeisters unumstritten dessen Meisterwerk. Der Gitterrohrrahmen wird wie die Kunststoffhülle ebenfalls in Italien produziert, beides reist schließlich über die Alpen zu Baur nach Stuttgart. Dort erhält der halbfertige BMW M1 schließlich sein starkes Herz: einen 3,5-Liter-Sechszylinder, der eigentlich aus dem 635 CSi stammt, jedoch vom BMW-Motorenpapst Paul Rosche nachhaltig in Form gebracht wurde. 

Bester Sechszylinder überhaupt - ganz ohne Glamour

Mit vier Ventilen pro Zylinder, Gusskolben von Mahle, Trockensumpfschmierung, einer mechanischen Kugelfischer- Einspritzung, einer geschmiedeten Kurbelwelle sowie einem Fächerkrümmer übernimmt er im BMW M1 seine sportlichen Aufgaben. Dieser 277 PS starke Reihensechser steht heute längst unter Denkmalschutz, nicht wenige reden ehrfürchtig vom vielleicht besten Sechszylinder überhaupt. So einen brauchten die Konstrukteure offensichtlich nicht aufzuhübschen, der graue Block tief unten im dunklem Maschinenraum des BMW M1 kommt gänzlich ohne Glamour, Chrom und Ästhetik aus.

Seinen Job erledigt er hingegen umso besser: Mit diesem BMW M1-Aggregat verfügen die Münchener nun über ein im Renntrimm bis zu 490 PS starkes Auto, das von 1979 bis 1981 im Vorfeld der Formel 1 gleich eine eigene Rennserie (ProCar) mit prominenten Fahrern wie Lauda, Stuck oder Quester bestreitet - und das am Ende auch noch alltagstauglich ist. Zum Beispiel wegen des kleinen Kofferraums im Heck des BMW M1, in dem sich mehr (Hand-)Gepäck als in den meisten Ferrari unterbringen lässt.

Bodenständige Ausstattung und ein Hauch von Luxus

Insgesamt produzieren die Münchner von dem BMW M1 immerhin 17 Versuchsfahrzeuge, 48 Gruppe-4-(ProCar)-Autos sowie 389 Straßenwagen. Von denen jetzt eines darauf wartet, von mir bewegt zu werden. Bei einer Gesamthöhe von nur 114 Zentimetern hat der Einstieg in den BMW M1 naturgemäß etwas von einer Turnübung. Doch wenn man erst einmal vor dem kleinen Lederlenkrad sitzt, passt zumindest für Menschen unter einsachtzig alles wie maßgeschneidert.

Pilot und Copilot sitzen im BMW M1 durch einen breiten Getriebetunnel getrennt in gefühlter Rufweite voneinander entfernt, und wie der baumlange Hans-Joachim Stuck samt Helm hier drin Platz gefunden haben soll, bleibt weiterhin rätselhaft. Ebenso die karge Anmutung des BMW M1-Cockpits. Schlichte Rundinstrumente und Schalter, die aus irgendeiner Limousine stammen - die Ausstattung des BMW M1 entpuppt sich als überraschend bodenständig für ein Fahrzeug, welches zu seiner Zeit 100.000 Mark gekostet hat und von seinen Talenten her in der Sportwagen-Oberliga angesiedelt war.

Für einen Hauch von Luxus sorgen im BMW M1 allenfalls ein Becker-Radio sowie die Klimaanlage, im Fall des mausgrauen Ex-Neerpasch-BMW M1 selbstverständlich auch das cognacfarbene Leder, welches tadellos verarbeitet vom Instrumententräger bis zur Kabinenrückwand den kompletten Innenraum ziert. Ich drehe den Schlüssel, erwarte, dass der Sechser des BMW M1 hinter meinem Rücken mindestens mit einen Donnerschlag seine Arbeit aufnimmt. Doch der Motor springt einfach nur an und läuft im nächsten Moment so rund wie ein modernes Aggregat aus der Großserie. Bajuwarische Perfektion, die ganz offensichtlich keinen Raum für Show und Krawall lässt.

Der Motor schreit den Fahrer an

Die Aussage ist unmissverständlich: Ein BMW M1 hat es nicht nötig, seine Gegner bereits im Stand einzuschüchtern. Er erledigt sie vielmehr auf der Strecke. Und seinen Piloten gleich mit, weil ein schnell gefahrener BMW M1 auf die empfindlichsten Stellen zielt, die das Nervensystem zu bieten hat. Indem er seinen Steuermann anschreit und anfaucht und am Ende auch noch anfleht. Nach noch mehr Gas.

Wenn der Motor nur wenige Zentimeter hinter dem Kopf sitzt, ist man wehrloser als sonst. Ich spüre es daran, dass ich allein um des Klangerlebnis' willen die Gänge im BMW M1 länger ausfahre als unbedingt erforderlich - der Spaß beginnt bei 5.000 Touren. Wer dann noch ein Wort mit dem Nebenmann reden möchte, kann zur Übung schon mal einen startenden Düsenjet anbrüllen. Nur der Blick auf den Tacho holt mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Weil die Geräuschkulisse im BMW M1 bei hohen Drehzahlen einem immer ein wenig mehr Tempo vorgaukelt, als tatsächlich ansteht.

Dennoch ist so ein BMW M1 kein Blender. Ganz im Gegenteil, dieses Auto vermittelt bereits nach wenigen Kilometern das Gefühl, einen reinrassigen Wettbewerbswagen zu bewegen. Er sprintet in sechs Sekunden von null auf Tempo 100, läuft knapp 265 Sachen und verzögert im nächsten Moment so brachial, dass der Besatzung schon mal kurz die Luft wegbleibt. Und die Bremsanlage des BMW M1 ist sehr gut - unverändert kommt sie auch in den fast doppelt so starken ProCar-Boliden zum Einsatz.

Renntechnik begeistert auch im Alltag

Die ungewöhnlich aufwändige Radaufhängung an doppelten Querlenkern wird ebenfalls in beiden Versionen verwendet. Nichts, so scheint es, kann einen BMW M1 ernsthaft aus der Ruhe bringen. Er saugt sich förmlich auf dem Asphalt fest und gestattet Kurvengeschwindigkeiten weit jenseits dessen, was öffentliche Straßen gerade noch so gestatten. Der Grenzbereich im BMW M1? Der befände sich noch mal ein ganzes Stück dahinter, erklärt Besitzer Kleissler. Dann aber könne der BMW M1 recht lebhaft um die Hochachse werden. Gemeint ist ein abrupt ausbrechendes Heck.

Der Gipfel des Schauinsland kommt in Sicht, doch einem BMW M1 geht auf 1.200 Meter selbstverständlich noch lange nicht die Luft aus. Knapp unterhalb des Gipfels entlässt der dichte Wald die Straße schließlich auf einen fast baumlosen Grat mit eindrucksvollem Rundumblick: in das Reintal, auf die Vogesen und hinüber zum 1.439 Meter hohen Feldberg. Wir halten, lassen den Blick kurz über das Land und anschließend noch länger über den BMW M1 wandern, der mit seinem leicht rotglühenden Fächerkrümmer unter der Heckjalousie wohl noch eine Weile braucht, um zur Ruhe zu kommen. Das Grau steht dem BMW M1 gut, ausgesprochen gut sogar. Heute würden wir ebenfalls dem Quester widersprechen.

 

Quelle: Motor Klassik