Exklusiv: Interview mit James D. Farley, CEO Ford of Europe

"Viele Menschen haben nur wegen SYNC einen Ford gekauft"

Björn Tolksdorf

verfasst am Thu Sep 17 17:35:45 CEST 2015

Sollte man vier Fiesta oder einen Tesla kaufen? Fords Europa-Chef James D. Farley glaubt an Technologie und Share Economy. In Frankfurt saß er mit uns auf der Treppe.

Interview auf der IAA: Schon der Großvater von James D. Farley arbeitete 1914 bei Ford. Seit 1911 produziert der Konzern in Europa. Farley soll nun das defizitäre Europa-Geschäft in die Spur bringen
Quelle: MOTOR-TALK

Frankfurt – Es wird besser, aber im zweiten Quartal 2015 verlor Ford in Europa erneut 12,4 Millionen Euro. James D. Farley, genannt „Jim“, soll das ändern. Im Januar 2015 tauschte der bisherige Ford-Marketingchef seinen Posten mit Steve Odell. Seitdem fungiert der 53-jährige Ökonom als CEO von Ford of Europe, zuzüglich Afrika und dem Nahen Osten.

Auf dem Ford-Stand bei der IAA 2015 treffen wir einen knorrigen, selbstbewussten Amerikaner, lässige Slipper zu Nadelstreifen. Statt in einen Konferenzraum setzen wir uns zwischen die Autos auf eine Treppe – „radical“ sei das, sagt Farley. Vermutlich ist das nicht wirklich seine Meinung, aber er lässt sich darauf ein.

 

MOTOR-TALK: Mr. Farley, Ford of Europe braucht Hilfe, deshalb sind Sie in Europa. Was ist Ihr Plan?

James D. Farley: Mein Plan ist sehr einfach: Unseren Kurs fortsetzen und die Kosten optimieren. Wir müssen in allem, was wir tun, schnell und schlank sein. Und wir wollen eine Marke werden, die relevant und begehrt ist.

„Zusammen können vier Leute, die sonst jeweils einen Fiesta kaufen würden, sich einen Tesla leisten“: Share Economy ist für Farley mehr als nur eine Mode. Der Manager sieht hier die Zukunft seiner Branche
Quelle: MOTOR-TALK
Eine Frage aus meiner Sicht ist dabei: Wie können wir mit den deutschen und den Premium-Marken konkurrieren? In der Vergangenheit haben wir die Frage nie richtig beantwortet. Nun, wir konkurrieren mit ihnen. Wir schlagen sie bei Nutzfahrzeugen und Pick-ups. Unser neuer Focus RS ist schneller und billiger als der entsprechende Audi. Und für manche Kunden ist der Ford Mustang besser als ein vergleichbares Premium-Produkt.

In der Nische können wir also mithalten, aber wie schaffen wir das bei den Kernmodellen? Dafür müssen wir moderner werden. Innovation, Share Economy, das vernetzte Fahrzeug, autonomes Fahren. Wenn wir hier führen, wertet das die Marke insgesamt auf.

„Kosten runter, Stückzahlen rauf? Das ist zu einfach“

MT: Wie sehr hat das Internet das Bauen und Verkaufen von Autos verändert?

Farley: Jahrzehntelang dachte ich, eines Tages würde ich meinen Enkeln vom elektrischen Auto erzählen. Ich habe mich geirrt. Ich werde stattdessen erzählen, dass ich dabei war, als die Software die Hardware ablöste. Das wird unsere Industrie grundlegend verändern. Es wird völlig neue Wettbewerber geben, es ist eine aufregende Zeit.

Wir denken oft zu sehr in alten Bahnen: Kosten runter, Stückzahlen rauf. Das ist zu einfach. Zusammen können vier Leute, die sonst jeweils einen Fiesta kaufen würden, sich einen Tesla leisten. Dann sind die Kosten kein Problem, es geht nur um das beste Auto.

  • Im Gespräch wirkt James D. Farley manchmal abwesend. Das täuscht, wie seine Antworten zeigen. Wenn Farley von Vernetzung und Share Economy spricht, sind das für ihn keine Worthülsen. Farley will komplett neue Geschäftsmodelle für den 104 Jahre alten Tanker Ford Europa entwickeln.

MT: Werden Google und Apple dabei zu Partnern oder zu neuen Konkurrenten?

Farley: Beides. Im Silicon Valley haben sie ein Wort dafür: „Coopetition“. Sie arbeiten zusammen und konkurrieren gleichzeitig. Was diese Firmen interessiert, ist nicht, jemandem ein einzelnes Auto zu verkaufen. Sie interessiert die Mobilität als System, so wie das i-Phone ein System ist und nicht nur ein Telefon. Darin steckt viel mehr Geld als im Autohandel.

Bei Ford haben wir mit SYNC sehr viel über dieses Geschäft gelernt. Viele Menschen haben nur wegen SYNC einen Ford gekauft. Das hat das Denken bei Ford stark verändert: Wenn wir neue Technologien richtig hinbekommen, können wir unser Image komplett verändern.

Eine der Ideen von James D. Farley für Europa: Intelligentes Flottenmanagement für Kleingewerbe
Quelle: MOTOR-TALK
MT: Warum sind elektrifizierte Antriebe bisher so wenig erfolgreich?

Farley: Das finde ich auch seltsam, denn Europa interessiert sich für Technik und schöne, neue Autos. Meine Antwort ist erneut: Share Economy. Das gegenwärtige Besitzmodell funktioniert beim Elektroauto offensichtlich nicht. Die Frage ist, wie man das ändern kann.

Incentives wie in Norwegen und Dänemark sind eine Antwort, dort sind Elektroautos billiger als z.B. unser Focus. Ich denke, entscheidend für den Durchbruch der E-Mobilität werden neue Nutzungs- und Besitzszenarien sein. Sich ein Auto teilen. Ein Auto pausenlos betreiben, wie im Taxigeschäft. Dann macht Elektrifizierung Sinn.

Fünf Transit und ein Blumengeschäft

MT: Was macht Ford am Markt aus? Andere Hersteller besetzen Themen wie Technologieführerschaft und lange Garantien. Welches Thema besetzen Sie?

Farley: In den letzten Jahren haben wir stärker als andere versucht, luxuriöse Features in unsere Volumenmodelle zu bringen, wie Parkassistenten, Fahrspurassistenten etc. Das wird in der Öffentlichkeit gesehen, Ford ist die innovationsstärkste Volumenmarke in Deutschland. In den nächsten Jahren werden neue Mobilitätsangebote wichtig.

Denken Sie dabei nicht nur an Pkw-Sharing, sondern auch an Nutzfahrzeuge. Ein Beispiel: Jemand besitzt fünf Transit und ein Blumengeschäft. Er gibt also viel Geld für Transport aus. Aber sein Geschäft ist ja, Blumen zu verkaufen und nicht, Transit zu betreiben.

Für solche Betriebe gibt es heute kein intelligentes Angebot, kein modernes, vernetztes Flottenmanagement, das ihnen viel Zeit und Geld erspart. Intelligente Software im Nutzfahrzeugbereich, das ist extrem interessant.

  • In Amerika kennt man Farley als streitlustigen Manager und Freund drastischer Worte: Einmal wollte er „Chevrolet mit dem Knüppel auf den Kopf treffen.“ Ein anderes Mal musste er die Aussage revidieren, dass Ford seine Kunden ausspioniere. Farley sagte damals: „Wir haben GPS in Ihrem Auto, wir wissen, was Sie tun.“

"One Ford" bleibt gesetzt

Interview auf der IAA 2015: MOTOR-TALK Redakteur Björn Tolksdorf, Fords Europa-Chef James D. Farley, MOTOR-TALK Chefredakteur Timo Friedmann
Quelle: MOTOR-TALK

MT: Ford ist beim Portfolio breit aufgestellt. Fehlt Ihnen dennoch etwas?

Farley: Wir müssen mehr Geld in neue Crossover-Konzepte investieren. Damit meine ich nicht das bisherige SUV, keinen langweiligen Abklatsch eines Geländewagens. Sondern etwas Urbanes, Intelligentes. Damit wir uns verstehen: Ich kündige hier kein konkretes Modell an. Aber in diesem Bereich werden wir etwas tun.

MT: Hat sich die Firmenkultur und -strategie bei Ford mit dem CEO-Wechsel von Alan Mulally zu Mark Fields und Ihrem Wechsel nach Europa verändert? Ist „One Ford“ noch gültig? (Fords Strategie möglichst jedes Modell weltweit anzubieten - Anmerkung der Redaktion)

Farley: Definitiv, „One Ford“ ist gültig. Wir müssen allerdings lernen, wie wir die Produkte besser auf die einzelnen Märkte zuschneiden können. Ein neuer Aspekt bei Ford ist der starke Fokus auf „smart mobility“. Das Thema ist sehr stark mit Mark Fields verbunden. Auch, wen Alan es sicher mitgetragen hätte.

MT: Andere Hersteller wie VW und General Motors gehen einen anderen Weg. Warum betreiben Sie keine Mehrmarkenstrategie mit individuellen Modellen für verschiedene Märkte?

Farley: Jeder darf seine Meinung haben, am Ende entscheidet der Kunde. Ich denke, der Kuga läuft fantastisch, und der Fiesta ist Europas meistverkaufter Kleinwagen. Der Ranger ist Europas erfolgreichster Pick-up und der Mustang ein Jahr im Voraus ausverkauft. Transit und Focus sind globale Modelle und sehr erfolgreich. „One Ford“ funktioniert.

MT: Mr. Farley, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Als Kind schnitt sich Farley mit einem Modellflugzeug beinahe den Finger ab. Das sagte er 2008 bei seinem Wechsel von Toyota zu Ford der "New York Times"
Quelle: MOTOR-TALK
Interview auf der IAA 2015: MOTOR-TALK Redakteur Björn Tolksdorf, Fords Europa-Chef James D. Farley, MOTOR-TALK Chefredakteur Timo Friedmann
Quelle: MOTOR-TALK
In den USA nennen den Manager alle nur "Jim". Mit "bunten" Statements machte er sich einen Namen über die Autobranche hinaus
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MOTOR-TALK im Interview mit Fords Europa-Chef Jim Farley
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„Zusammen können vier Leute, die sonst jeweils einen Fiesta kaufen würden, sich einen Tesla leisten“: Share Economy ist für Farley mehr als nur eine Mode. Der Manager sieht hier die Zukunft seiner Branche
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Mit dem SUV Ford Edge weitet der US-Konzern sein Europa-Angebot aus. Mittelfristig denkt Farley eher an neue Crossover-Konzepte
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Eine der Ideen von James D. Farley für Europa: Intelligentes Flottenmanagement für Kleingewerbe
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"Unser neuer Focus RS ist schneller und billiger als der entsprechende Audi": Für Farley konkurriert Ford längst mit Audi, BMW und Mercedes
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Björn und Timo im Gespräch mit James D. Farley
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Bevor Farley nach Europa kam, war er Marketingchef bei Ford in Dearborn. Davor arbeitete er für Toyota
Quelle: MOTOR-TALK