Mitfahrt auf der Ducati 1199 Panigale S
3 Runden bis zur Ewigkeit
Von Ralf Bielefeldt
Sozius auf einem richtig schnellen Motorrad – darauf würden sich „echte“ Biker niemals einlassen. Pah, Memmen! Ich habe es getan. Zweisitzer(mit)fahrt beim Renntraining Ducati 4U.
Rahmenprogramm für Unerschrockene
In wenigen Augenblicken werde ich Teil davon sein. Als Sozius. Beifahrer auf einer Rennmaschine, die locker 300 Sachen macht, brutal beschleunigt und noch brutaler bremst. „Halt dich einfach da fest“, sagt Matthias entspannt. Er zeigt auf zwei Metallbügel, die rechts und links auf den Tank geschweißt wurden. Immerhin etwas.
Ich bin bei Ducati 4 U, dem legendären Fahrertraining der italienischen Kultmarke. Freies Blasen auf der Rennstrecke steht auf dem Programm, in meinem Fall auf dem Kurs der Motorsport Arena Oschersleben. Rahmenprogramm für Unerschrockene: die Zweisitzerfahrt.
Nichts für gestandene Biker
Echte Biker lehnen meist dankend ab, legt man ihnen die 60 Euro teure Mutprobe nahe. „Ich bin doch nicht verrückt!“, greinen gestandene Kerle in Leder und Boots. Ich bin dann mal so frei. Neukirchen ist zweifacher Internationaler Deutscher Meister in der 250-ccm-Klasse, dazu dutzendfach Deutscher, Bayrischer und Hessischer Meister im Trial. Der wird schon wissen, was er tut. Wenn meine Frau das jemals rauskriegt, dreht sie mir den Hals um.
Himmelfahrtskommando in 3+1 Runden
Runde 1 Fußballen auf die grotesk hoch angebrachten Fußrasten, Hände an die Metallbügel, kurz warten. Erst mal geht neben uns die rote Gruppe auf die Strecke. Das sind die ganz harten Hunde, „schnelle Sportfahrer“ mit Rennerfahrung, auf Ducati 1098, Kawasaki ZZR1400, BMW 1000 RR und ähnlichen Höllenhobeln. „Die machen wir nass“, verspricht Matthias. Mir schwant Böses. Mein Visier beschlägt. Ich öffne es leicht. Ein Fehler. Bis zum Ende dieses Tripps in die Grenzwelt der Fahrphysik schaffe ich es nicht, eine Hand vom Haltegriff zu nehmen, um es wieder zu schließen.
Raus aus der Boxengasse, rauf auf die Strecke. Gut, dass ich hier eben noch selbst gefahren bin, die Nase am Hinterreifen meines Instruktors. Ich bilde mir ein, die Strecke zu kennen. Gewiss ein Vorteil, wenn es darum geht, mich mit in die Kurven zu legen – wenn dazu denn überhaupt Zeit wäre!
Dann die erste Vollbremsung. Ich schnelle nach vorn, mein rechter Fuß rutscht von der Fußraste. Wir klappen nach links ab, irgendwie bugsiere ich meinen Stiefel wieder dahin, wo er hingehört. Nächste enge Links-, dann eine langgezogene Rechtskurve. Rausbeschleunigen, Vorderrad hoch, diesmal weiß ich, was kommt. Geht doch! Was für ein Ritt!
Runde 2 Start-Ziel, das erste Mal. Matthias beschleunigt, als gäbe es die Linkskurve am Ende der Geraden nicht. Gut 270 km/h werden die Bikes hier schnell, erfahre ich später. Wer jemals bei diesem Tempo extrem in die Eisen gestiegen ist, egal ob auf der Autobahn oder auf einer Rennstrecke, der weiß, welchen Tritt in den Rücken du dir dabei einfängst – schon auf vier Rädern.
Aber, hey, das ist NICHTS im Vergleich zu dem Verzögerungsmoment auf einem Motorrad. Und absolut ganz und gar rein überhaupt GAR NICHTS im Vergleich zu dem, was abgeht, wenn du nicht selbst bremst, sondern hinten drauf hockst!
Das reißt dich nach vorn, als zöge dich die Titanic in die Tiefe! Wie ein nasses Handtuch schlingt mich das Bremsmanöver um Matthias. Den kümmert das nicht die Bohne. Vehement stemmt er mich nach hinten weg, zurück auf mein Plätzchen. Gut, dass wir Start-Ziel nur zweimal passieren, denke ich beim Schnappatmen: Die Einfahrt in die Boxengasse ist kurz vor der Rechtskurve auf die Zielgerade.
Runde 3 Mir geht die Kraft aus. Das ewige Beschleunigen und Bremsen wringt meine Tastaturmuskulatur aus. Vor jeder Kurve stöhne ich laut auf, bei jedem Gasgeben presse ich mich ächzend an den Rücken unter mir. Mein Folterknecht sitzt in einer tief ausgeschnittenen Sitzmulde, die Beine eng an die Karosserie der 205 PS starken Renn-Panigale gepresst. Meine stehen vermutlich bizarr ab.
Matthias vernascht eine Maschine nach der anderen. Wie die ABC-Schützen stehen sie stramm, taucht der Zweisitzer im Rückspiegel auf. Trotz des Zementsacks auf seinem Rücken schmeißt sich Neukirchen in die Kurven, als ginge es um seine dritte IDM-Trophäe. Geschätzte zehn Zentimeter unter meiner luftgekühlten Nase lauern die Curbs.
Mir geht jetzt echt die Muffe, ich gebe es zu. Ich kann mich kaum noch halten, fühle mich aber in meinem Stolz gepackt und verkneife mir den hysterischen LANG-SAAAA-MER-Schrei, den meine Lippen bereits formen. Noch fünf Kurven bis zur Boxeneinfahrt, noch vier, noch drei. Ächz, uff, stöhn.
Zwei noch. Wird schon. Eine. Jetzt nicht aufgeben. Nur einmal hart bremsen noch. Stöööhhhn. Geschafft. Ich juchze matt. Matthias streckt die linke Faust zur Seite und zeigt mir den Daumen. Gut gemacht, heißt das bestimmt. Ich löse leicht die linke Kaltgussform vom Tank, die einst meine Hand war. Daumen, toll, danke.
Da, die Kurve, Ende Start-Ziel. Jetzt bloß nicht einnässen. Fieberhaft überlege ich: Wie hoch sind meine Überlebenschancen, wenn ich einfach loslasse, wenn er bremst? Wenn es mir gelingt, ein kleines bisschen Restkörperspannung aufzubauen, hebe ich vielleicht so flach ab, dass ich bäuchlings im Kiesbett lande. Vermutlich tauche ich dann Kopf voran bis zur Hüfte ein. Vier bis sechs Rippen dürften im A...
...aaaarrrggghhhh – Kurväää! Brrremmmmsääänn!
Links runterklappen, rääääächts runterklappen, Vollgaaaaas. Keine Zeit zum Atmen. Ich weiß es: Gleich lösen sich meine Finger. Wie damals beim Wundsurfen vor Den Helder, als ich den einen entscheidenden Schlag zu viel raus gefahren bin. Die Kralle des Todes. Krampf, keine Kraft mehr, die Finger zur Faust zu schließen. Wie einst die Hand im Moor bei Edgar Wallace. Das war es dann. Goodbye, Leben. Adieu, geliebte Frau. Lebt wohl, begabte Töchter. Begrabt mich am Eingang der Boxengasse.
Boxengasse?! Da. Ja! Nur noch wenige Kurven. Ich entkrampfe. Matthias macht langsamer. Kann der auch nicht mehr? Noch einmal rechts den Asphalt anhauchen. Nur einmal noch. Ja. Ja. Ja.
Nachspiel
Das Gefühl, dem Tod entronnen zu sein, ist unbeschreiblich. Ich könnte heulen vor Erleichterung, vor Glück, vor Demut. Wir stehen. Mit weichen Knien gleite ich von meinem Schleudersitz. Helm ab, ich brauche Luft. Und Wasser. Gebt mir Wasser. Was für ein Trip.
Die nächsten Termine: 24.-25. Juli 2012, Sachsenring. 15.-16. August 2012, Hockenheimring, 15.-16. September, Eurospeedway Lausitzring.
Quelle: MOTOR-TALK
Herrlich, sehr sehr schön geschrieben.....
ich bin damals (mit 15) mal bei einem nachbarn mit dessen Honda Goldwing (nicht lachen) mit gefahren..... kann mich an diese Gefühle erinnern, wenns natürlich nicht vergleichbar ist mit dieser brachialen Rennmaschine.....
Aber gefühlt..... wenn auf der Landstraße 150 gingen, wars schon ein komisches Gefühl.....
Brilliant, Herr Bielefeldt.
Kein Kommentar! Mund geht nicht mehr zu.
Mutig, mutig, mehr fällt mir da im Momant nicht dazu ein. Hände sind noch vom Lesen feucht.
Die Linke zum Gruß
MF
PS. Sehr schön und anschaulich ge- und beschrieben.
Was geil geschrieben, da fühlt man ja richtig mit. Aber bist du denn Wahnsinnig auf so einer Höllenmaschiene zu steigen?
...ich schliesse mich mich meinen Vorpostern gern an und muss mir mal eben ( mit der Linken ) die Tränen aus den Augenwinkeln wischen 😆
Gruß aus EN
Heeeerrrrrlich!!!
Das schönste daran: Ich war live mit dabei und durfte erleben, wie der liebe Ralf zitternd von der Panigale abstieg... Jedes Wort ist WAHR!
Danke Ralf, dass ich den Spaß erleben durfte und danke, dass du dazu so herrliche Zeilen verfasst hast!
Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder bei Ducati 4U.
LG
Andi
DRAMATIK pur... echt mitreißend geschrieben. tolle story!!!
ich wär da nie im leben hinten aufgestiegen. bei meiner kleinen R6 habe ich die hinteren fussrasten sogar abgeschraubt😆
Dafür bezahlt man Geld? 😱
Selber schuld...😜
Schön geschrieben.😊
...hinten drauf mitfahren kann ich garnicht...
Hut ab!
Todesmaschine!
Wäre mir zu gefährlich.... das Genick kann man sich immer brechen, oder die Wirbelsäule!
Man kann auch von einem Bus überfahren werden wenn man die Straße überquert, des Leben bietet nun mal gewisse Risiken.
Ich hätte es zwar selbst wohl nicht gemacht, daher großen Respekt an Herrn Bielefeldt dass er es getan hat 😉
Top geschrieben! 😊 Aber auf nem Raketoped als Sozius?? Näääääää, nicht freiwillig 😆
Bei der Beschreibung der drei Runden habe ich voll mitgezittert.
Ich ziehe meinen Hut. Hinten drauf fahren ist für mich ein Ding der Unvorstellbarkeit.
Vor dem Fahrer ziehe ich auch meinen Hut. Ohne große Eingewöhnungszeit mir dem Sozius hat der losgelegt. Motorradfahren ist und war schon immer was für "Verrückte".
Beste Grüße vom Güllepumpenfahrer
toll geschriebener, sehr emotionaler Bericht!
Ich kann einiges davon "mitfühlen".....tauschen möchte ich jedoch nicht😆
Da rase ich lieber als Beifahrer in einem Cup- Auto mit......