Drei Tage im Škoda Felicia Cabrio

Als es im kalten Krieg noch unentschieden stand

Björn Tolksdorf

verfasst am Fri Sep 27 11:21:32 CEST 2013

Was für eine Fahrt: Von Berlin nach Hamburg über Juri Gagarin ins Erzgebirge der Nachwendezeit. Eine Zeitreise im Škoda Felicia Cabrio mit ordentlich Bleiersatz.

Björn und Škoda-Mann Andreas vor dem Start
Quelle: MOTOR-TALK

Berlin - Auch diese Plattitüde stimmt: Eine Oldtimer-Rallye ist immer eine Zeitreise. Was da rollt, rangiert und Superbenzin hustet, blättert vor dem inneren Auge ein Geschichtsbuch in Daumenkino-Geschwindigkeit durch.

Also setze ich mich auf die rechte Hälfte der durchgehenden Sitzbank eines kleinen, blauen Cabrios, mein neues Zuhause für die kommenden drei Tage.

Die Felicia war die stärkste und sportlichste Version des tschechischen "Volks"-Wagens Spartak, der später als Octavia verkauft wurde
Quelle: MOTOR-TALK
Das Daumenkino-Geschichtsbuch bleibt 1961 stehen. John F. Kennedy wird US-Präsident, die Invasion der Schweinebucht scheitert. Die Berliner Mauer wird gebaut, Juri Gagarin fliegt in den Weltraum. Die Sowjetunion zündet die Wasserstoffbombe Zar – und in Mlada Boleslav schraubt Škoda das Felicia Cabrio zusammen, in dem ich jetzt sitze.

1961 läuft der Wettstreit der politischen Systeme auf Hochtouren. Nur wer gewinnt, ist noch offen. Das spürt sofort, wer in der Felicia Platz nimmt. Die „Isabella des Ostens“ war technisch auf der Höhe ihrer Zeit, mit kopfgesteuertem Motor, 12-Volt-Strom, einer Vorderachse mit doppelten Querlenkern und Teleskopstoßdämpfern.

 

Aus einem Stück Stahl gegossen

Das Auto gehört Jens Herkommer aus Schwarzenberg im Erzgebirge. Ein freundlicher, ruhiger Kfz-Meister mit gemütlichem Akzent und zeitloser Frisur. Der unscheinbare Jens ist Deutschlands führender Kopf, wenn Wissen zu Škoda-Oldtimer gefragt ist. Gemeint sind damit alle Modelle seit 1905.

„Den unsynchronisierten ersten Gang braucht Ihr nicht“, sagt Jens, „Einfach anfahren im zweiten, schalten mit zwei Fingern“. Die filigrane Lenkradschaltung ist sensibel, ihr Alleinstellungsmerkmal in diesem Auto. Denn der Rest der restaurierten Felicia wirkt wie aus einem Stück Stahl gegossen. Stark, fest, kernig.

Das ist im Kern natürlich falsch, denn den Kern bildet ein Gitterrohrrahmen, überzogen mit dickwandigem Blech. Dickes, lackiertes Stahlblech hat ja eine ganz eigene Ausstrahlung. Im Škoda bekommt man davon nie zu wenig, weil auch das Cockpit aus lackiertem Blech besteht. Drei Bullaugen informieren über Geschwindigkeit, Temperatur und den Füllstand des 25-Liter-Tanks.

Erinnerung an die Fliehkraft

Hier gut zu erkennen: Die Klappen unterhalb des Armaturenbretts lassen auf Wunsch Wärme herein.
Quelle: MOTOR-TALK
Choke und Anlasser wecken den 1,2 Liter-Vierzylinder mit Doppelvergaser auf. Nach kurzem Warmlaufen fährt Andreas, der andere Fahrer, das Gemisch wieder auf normal. Dann läuft der Motor seidenweich. „Die Maschine ist optimiert“, sagt Jens, und schätzt sie auf ungefähr 60 PS. Serienmäßig waren beim Škoda 450 etwa 50 – die erste Ziffer steht für vier Zylinder, die 50 für die Leistung.

Wir fahren los, und wie. Getrieben von Begeisterung, bis uns der Respekt in der ersten schnelleren Kurve bremst. Die Fliehkraft erinnert uns an die Endlichkeit des Lebens, auch weil Sicherheitsgurte fehlen. Andreas nimmt etwas Schärfe aus der Gangart. Das fällt ihm nicht leicht, zu gut hängt der drehfreudige Motor am Gas.

Aber das Auto hängt eben auch an den Grenzen der Physik. Und diese liegen merklich näher als in neueren Autos. Zusätzlich fehlt Präzision in der Lenkung, mehrfach erwischt Andreas im engen Fußraum das Gaspedal statt der Bremse. Der Temperaturzeiger verharrt irgendwo bei 70 Grad, die Tankanzeige zittert im Vierteltakt.

Der Tacho arbeitet erstaunlich exakt, wie wir per GPS feststellen. Das ändert aber nichts daran: Zum Rasen ist die Felicia das falsche Auto, und Rasen beginnt hier bei ca. 100 km/h.

Gegen die Kühle im norddeutschen Herbst helfen zwei Klappen unterhalb der Mittelkonsole. Sie leiten Motorwärme in den Innenraum. Am anderen Ende unserer Körper entscheiden wir uns für Pudelmütze statt Verdeck, ein bisschen Cabrio-Spaß muss sein.

Wie die Felicia ins Erzgebirge kam

Cabriofahren ist ganz einfach: Wenn man schnell genug ist, wird man nicht nass
Quelle: MOTOR-TALK
Am Abend schmerzt der Rücken, denn der Fahrwind hat dort, wo die Lehne endet, eiskalt die Muskeln malträtiert. Wie die Friesen sagen: falsche Kleidung. Hier in Brandenburg, auf langen brandenburgischen Alleen und in alten Dörfern, ist dieser Škoda zuhause. Viele erinnern sich noch an das hübsche, kleine Cabrio, manche sagen: "Hatte ich auch mal ... leider weggegeben".

Kurz vor der Wende waren Felicia in der DDR kaum noch zu bekommen. Unser kleines, blaues Cabrio tauschte Herkommer 1991 in Passau gegen eine Schwalbe und eine Simson ein. Diese unsere Felicia war nur noch „Schrott“.

Zwei Tage bastelte Herkommer das Cabrio zurecht, bis es in einem fahrfertigen Zustand war. Doch der hielt nur 60 Kilometer, „dann war das Wasser weg“. Also Kühler wechseln, dann weiter ins Erzgebirge.

Die eigentliche Restaurierung dauerte ein halbes Jahr: „Heute würde man bei einer Komplettrestaurierung ein fehlendes Ersatzteil bauen lassen. Damals hatten wir kein Geld und mussten die Teile in der damaligen Tschechoslowakei auftreiben“.

Heute kann der Kfz-Meister über die wilde Aufbruchszeit schmunzeln. Auch die Lackierung bezeichnet er als „Jugendsünde“: „Kurz nach der Wende kamen wir das erste Mal an Metalliclacke, da musste es Metallic sein. Original war das natürlich nicht“.

Heute eine Rarität

Am Ende unserer Zeitreise stellen wir fest: Moderne Cabrios schirmen den Wind besser ab. Wärmen den Nacken. Federn besser. Liegen stabiler in der Kurve. Das alles ist Fortschritt. Entspannung, Entschleunigung, das ist die Felicia. Und das ist ja auch irgendwie modern.

So eine Felicia ist heute schwer zu bekommen, in gutem Zustand fast gar nicht. Ein bekannter Online-Automobilmarkt listet derzeit genau ein Exemplar, für gut 10.000 Euro, Standort: Schweiz.

Auf den letzten Kilometern, mit den letzten Fetzen Wind in der Nase, kommt Wehmut auf. Das war es, jetzt heißt es wieder: ABS, ESP, adaptive Fahrwerke, Zweizonen-Klimatisierung. Schön, aber nicht ganz so schön wie die letzten Sonnenstrahlen bei der Zieleinfahrt am Hamburger Fischmarkt.

Škoda Felicia: Datenblatt

  • Weitere Namen: Škoda 450, Felicia Super
  • Karosserie: Cabrio mit Stoffverdeck, 2+2 Sitze
  • Bauart: Frontmotor, Heckantrieb
  • Motor: 1,2-Liter-Vierzylinder, 50 PS
  • Höchstgeschwindigkeit: 128 km/h
  • Länge x Breite x Höhe: 4,07 m x 1,6 m x 1,38 m
  • Radstand: 2,40 m
  • Verbrauch: ca. 9,5 l/100 km
  • Bauzeitraum: 1957-1964
  • Gesamtproduktion: 15.873
  • Neupreis 1959: 6.650 Mark
  • Preis aktuell (Zustand 2): 10.000-15.000 Euro

Los gehts. Vor MT-Redakteur Björn und Škoda-Mann Andreas liegen 750 Kilometer - überwiegend offen
Quelle: MOTOR-TALK
Barocke Formen der 50er Jahre gab es auch östlich des eisernen Vorhangs
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Die Felicia war die stärkste und sportlichste Version des tschechischen "Volks"-Wagens Spartak, der später als Octavia verkauft wurde
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Unser Exemplar hat der Oldtimer-Experte Jens Herkommer Anfang der 90er restauriert
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Die ca. 60 PS des optimierten Doppelvergaser-Motors haben mit dem gut vier Meter langen Auto keine Schwierigkeiten
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"Die" Škoda Felicia? Dem Cabrio wird die weibliche Form zugesprochen, bei der 90er-Jahre-Neuauflage des Namens spricht dagegen meist von "dem" Felicia
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Durchs Tor des Berliner Olympiastadions
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Blick ins Cockpit: Drei Rundinstrumente, diverse nicht beschriftete Schalter für Licht, Blinker, Scheibenwischer etc
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Auf der Strecke: Vor uns der direkte Nachfolger unseres Modells. Zu erkennen u. a. an den Heckflossen und der Knüppelschaltung
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Cabriofahren ist ganz einfach: Wenn man schnell genug ist, wird man nicht nass
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Hier gut zu erkennen: Die Klappen unterhalb des Armaturenbretts lassen auf Wunsch Wärme herein.
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Die Scheibenwischer beherrschen eine Geschwindigkeit, und die ist relativ langsam
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Warten auf eine Prüfung: Škoda Felicia
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Zieleinfahrt in Hamburg: Endlich scheint wieder die Sonne
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Škoda Felicia
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Škoda Felicia
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